Brennen am Baum die Lichter, ist alles in Ordnung. Brennt der Baum,
kippt die Lage ins Gegenteil. Was aber, wenn der Baum steht und die
Familie beisammen ist, es aber in der Welt an allen Ecken und Enden
brennt? Sollten wir darüber reden? Sollten wir es gerade nicht, um eben
dem Fest seine Besinnlichkeit zu lassen?
Wir müssen. Uns bleibt gar keine andere Wahl. Denn geredet wird ohnehin, das Üble da draußen tentakelt sowieso hinein in die gute Stube. Mit einem Terroranschlag in Berlin, mit zweistelligen Wahlergebnissen für die AfD, einem Europa ohne Großbritannien im Westen und mit einem rechtsdrehenden Nachbarn im Osten, mit einer gleichgeschalteten Türkei und mit den Vereinigten Staaten von Amerika, die ihr Schicksal in die Hände eines zweifelhaften Berufsanfängers gelegt haben. Ganz zu schweigen von Wahlen in Deutschland und Frankreich, die im kommenden Jahr anstehen. Und die Leute wissen nicht mehr, was sie glauben sollen. Sie glauben nicht einmal mehr, was sie eigentlich wissen müssten.
Zudem ist alles schrecklich kompliziert, hängt doch alles mit allem zusammen: das neue Smartphone mit der Ausbeutung von Coltan-Minenarbeitern im Kongo, der Kirchgang mit Folklore, Bethlehem mit der Nahostpolitik, der Hirtenstall mit dem Wohnungsmangel, die drei Weisen aus dem Morgenland mit Syrien, unser Frieden mit der Apokalypse von Aleppo. Wer so rasant von Hölzchen auf Stöckchen kommt, hat unversehens einen Scheiterhaufen aufgeschichtet. Ein falsches Wort, und … wooosh!
Was geht in diesen Köpfen vor?
Als Motiv für den familiären Meltdown ist Weihnachten daher auch in der
abendländischen Literatur fest etabliert. Thomas Manns Buddenbrooks ist nicht danach zumute, aber feiern müssen sie doch: "In der
Tat, das weihevolle Programm, das der verstorbene Konsul für die
Feierlichkeiten festgesetzt hatte, musste aufrechterhalten werden, und
das Gefühl ihrer Verantwortung für den würdigen Verlauf des Abends, der
von der Stimmung einer tiefen, ernsten und inbrünstigen Fröhlichkeit
erfüllt sein musste, trieb sie rastlos hin und her." Noch 100 Jahre
später lässt Jonathan Franzen sein großes Gesellschaftspanorama auf ein
"letztes Weihnachten" mit der ganzen Familie zulaufen, das sich die
Mutter so sehnlich wünscht – um das Leben selbst zu korrigieren.
An Weihnachten gluckt zusammen, was selten glückt: Familie. Deshalb ist es eigentlich ein unmögliches Fest. Es kann aus zwei Gründen nicht gelingen. Erstens zerbröselt es unter dem Gewicht der Erwartung, es irgendwie friedlich über die Bühne zu bekommen. Zweitens war die Familie als Keimzelle menschlicher Gemeinschaft noch nie so kompakt und homogen, wie sie gern gezeichnet wird. Als Prototyp aller Echokammern und Filterblasen hat sie jedoch ihre Sozialisierungsfunktion längst eingebüßt. Halt in wirtschaftlicher oder weltanschaulicher Hinsicht findet sich auch anderswo.
Weihnachten als Wille und Vorstellung
Weihnachten ist die einzige Zeit, in der wir der Auseinandersetzung mit den unwahrscheinlichsten Gesprächspartnern gar nicht entgehen können. Mit der Cousine, die sich brennend für Sarah und Pietro Lombardi interessiert, und dem Cousin, der vor seiner Playstation festgewachsen ist – was halten die eigentlich von der Identitären Bewegung? Mit dem Schwager, dessen Herz an Borussia Dortmund hängt – ob er Hooligans gegen Salafisten für eine gute Sache hält? Mit der Tante, die sich in Fifty Shades Of Grey versenkt und dem Großvater, der sich in Ernst Jünger vertieft – was die wohl über Flüchtlinge, Mauern und Zäune denken? Mit der neuen Frau des Vaters, dessen Schwippschwägerin und deren Neffen, Kind und Kegel, Hinz und Kunz – alles Köpfe, von denen man nicht weiß, was in ihnen vorgeht.
Einfach fragen? Schwierig. Schließlich hat sich die bürgerliche Familie
"wenigstens an Weihnachten" als heilige Familie zu konstituieren.
Deshalb reist die verstreute Verwandtschaft zu den Feiertagen aus
bisweilen sehr entlegenen Gegenden an, geografisch wie ideologisch. So
will es die Tradition, so will es die Werbung. So will es, glaubt man
den gängigen Erzählungen, vor allem die gastgebende Partei. Je weiter das
Ideal familiärer Eintracht in die Ferne rückt, umso vehementer muss es
beschworen werden. Weihnachten als Wille und Vorstellung. Und damit
fängt das Theater an.
Kommentare
naja..bei Weihnachten kommt in unserer Familie nichts politisches auf dem Tisch..Man muss ja nicht noch an diesen besinnlichen Feiertagen über das politische Chaos reden.
Wir wissen alle,dass vieles in unserem Lande chaotisch verläuft.
Daher ist es gut,wenn man zumindest an Weihnachten mit seiner Familie abschalten kann !!
Sehe ich auch so.
Herr Frank, mit Verlaub, Sie schießen deutlich über das Ziel hinaus.
Lass ihn, nach dem 3. Verdauungsschnaps wird bei der Zigarette auf dem Balkon / der Terasse eh Klartext geredet und er wird sich vielleicht wundern, wenn er dort dann gegen eine Wand redet.
Aber der Autor hat mit der Wichtigkeit natürlich recht, in diesen Rauhnächten wird das Blei für das nächste Jahr gegossen, über die Zukunft gegrübelt, Pläne werden geschmiedet, Schicksalsweichen gestellt...
Entfernt. Wir bitten darum, sachlich und konstruktiv zu diskutieren. Danke, die Redaktion/dl
Was ist käsequark? Etwas gegen die drohende gesellschafltiche Spaltung unternehmen zu wollen?
Entfernt. Bitte beachten SIe das Thema des Artikels und äußern Sie sich sachlich. Danke. Die Redaktion/dl
Bei uns verlaufen solche Diskussionen immer sehr harmonisch, da wir generationenübergreifend rechtspopulistisch orientiert sind.
Ha - ich glaube, ich mag Ihren Humor!
Entfernt. Bitte achten Sie auf einen respektvollen Umgangston. Danke. Die Redaktion/rgo
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Haben Sie etwa nicht auch den einen unmöglichen Onkel in der Familie, der nach der dritten Flasche Wein bekennt, dass er Merkel nicht völlig unerträglich findet?
Weihnachten ist die schönste und globalste Geburtstagsparty der Welt ! Egal wie man zu Religionen stehen mag, hier ist von Hilflosigkeit, Rettung, Liebe und von Licht und Wärme die Rede und das ist das richtige für die dunkelste Zeit im Jahr. Eine Sternstunde unserer Kultur, welche die Augen von Kindern wie uralter Menschen noch zum Glänzen bringt. Lieder und Märchen wie sie hier seit Jahrhunderten gesungen und erzählt werden, liebevoll und gewaltlos. Gehen wir behutsam damit um.
Es ist erwiesen, dass es Weihnachten die meisten Streitigkeiten in den Familien gibt. Alle sind auf Harmonie getrimmt, da reicht manchmal ein falsches Wort und der Riesenzoff ist da. Im übrigen wird meistens über die Verwandten gelästert, wenn sie wieder auf dem Heimweg sind.