Während der Arbeit an meinem 2007 erschienenen Tatsachenroman Negativ, der auf den Erfahrungen weiblicher politischer Gefangener in Syrien basiert, war ich mit Lebensgeschichten konfrontiert, die ich in meinem eigenen Land nicht für möglich gehalten hätte. Ich stamme zwar aus einem linken, oppositionellen Elternhaus, aber auch zu uns waren keine konkreten Informationen über die Haftzustände durchgedrungen. Als ich dann erfuhr, was in den Gefängnissen passierte und passiert, war das ein gewaltiger Schock für mich.
Bei meinen Recherchen bin ich vielen ehemaligen politischen Gefangenen persönlich begegnet, mit einigen der Frauen bin ich seitdem eng befreundet. Ich habe Briefe und Tagebuchaufzeichnungen ausgewertet, die von Angehörigen aus dem Gefängnis herausgeschmuggelt worden waren. Speziell die Schilderungen in den Tagebüchern lieferten die psychologische Tiefenschärfe, die es braucht, um zu verstehen, welche Qualen die Opfer erlitten haben, und niemand kann das so unmittelbar berichten wie die Opfer selbst. Die Literatur, die in den Gefängnissen entstanden ist, wirft also anhand individueller Schicksale ein Licht auf die sonst unbeleuchtete Seite der Geschichte. Es ist eine Geschichtsschreibung aus der Feder der Marginalisierten.
Die Institution Gefängnis nimmt in Syrien wie in allen diktatorischen Ländern eine prominente Stellung im öffentlichen Bewusstsein ein. Es ist praktisch unmöglich, sich politisch zu engagieren und nicht verhaftet zu werden. Damit sind wir auch schon beim Thema Folter. Fast alle Gefangenen werden gefoltert. Die Folter dient dazu, sie in unterjochte Wesen zu verwandeln und ihrer Würde und jener Menschlichkeit zu berauben, die es ihnen bis dahin erlaubt hatte, sich der geistigen Herrschaft der Tyrannei zu entziehen.
Eine der von mir interviewten Frauen schluchzte mitten im Gespräch plötzlich laut auf: "Warum musstest du meine Wunde wieder aufreißen? Ich habe Jahre versucht, sie heilen zu lassen. Warum musstest du mich daran erinnern, was war?" Damit war unser Gespräch beendet.
Das politische Spektrum der inhaftierten Frauen reichte von radikalen Linken über arabische oder kurdische Nationalistinnen und Liberale bis hin zu ultrarechten Islamistinnen. Ihre mit grauenvollen Details gespickten Berichte stellten mein bisheriges Leben völlig auf den Kopf. Als ich in der Folge des Revolutionsjahres 2011 damit begann, die Schicksale der inhaftierten Frauen systematisch aufzuzeichnen, erschütterten mich ihre Schilderungen immer noch genauso wie zur Zeit der Veröffentlichung meines Buches fünf Jahre zuvor. Der Schmerz der Erkenntnis ließ sich nicht lindern – wie oft ich ihre Berichte auch las.
Die Mauer der Angst bröckelte
Obwohl viele der Gefangenen auf mich so
couragiert wirkten, wenn sie über ihre Erfahrungen vor der Revolution
berichteten, verstummten sie auch Jahre nach ihrer Freilassung noch, sobald sie
über ihre Erfahrungen im Gefängnis zu sprechen versuchten. Das betraf vor allem
die Islamistinnen, die besonders heftig gefoltert worden waren. Dennoch ist die
Mauer der Angst nach der Revolution brüchiger geworden. Die ehemaligen
Gefängnisinsassinnen begannen nun doch, detaillierter über die Schrecken zu
berichten, denen sie im Dunkel der Folterkeller ausgesetzt waren.
Bis heute existieren keine genauen Statistiken über die Zahl der weiblichen politischen Gefangenen unter Hafiz al-Assad, dem bis 2000 regierenden Vater des jetzigen Präsidenten. Schätzungsweise waren es mehrere Hundert. Ihre Haftdauer schwankte zwischen drei und achtzehn Jahren. Die Foltermethoden umfassten ein weites Spektrum. Peitschenhiebe. "Reifen"-Folter (bei der die auf dem Boden hockenden und an Händen gefesselten Opfer in einen Autoreifen gezwängt und dann geschlagen werden). Ausdrücken von Zigaretten auf der Haut. Elektroschocks an den Brüsten, im Genitalbereich, an der Zunge und an anderen Stellen. Verbrennen der Finger. Die am meisten verbreitete Foltermethode aber war die Vergewaltigung, von der die islamistischen Gefangenen am stärksten betroffen waren. Die Wärterinnen sorgten während der Folter dafür, dass die Schreie gut zu hören waren, um die anderen Frauen zusätzlich unter Druck zu setzen und ihre Geständnisse zu beschleunigen. Es ging also in der Haft um mehr als um das Eingesperrtsein in einer Zelle – es war ein psychologischer Krieg.
Kommentare
Sollte es einen Gott geben, hat er die Rollen falsch verteilt.
Furchtbar schlimm. Die Islamisten hätten Assad nie angreifen sollen. Syrien war ein relativ stabilies Land in der Region. Die Islamisten haben mit ihrem Wunsch, dort einen Schariastaat zu errichten, alles begonnen. Nun haben sie die Suppe auszulöffeln.
Ja ein stabiles Land, weil jegliche Opposition auf bestialische Art und Weise unterjocht wurde.
Ich finde ja, wer Anderen so ein Regime wünscht, sollte selbst unter einem solchen leben müssen.
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf menschenverachtende Kommentare. Die Redaktion/cj
Top Beitrag. Sie bekommen den großen Schlechtmenschenpreis für ausgezeichnete Empathielosigkeit.
Mir ist ein bisschen unklar, warum man sich nur auf Frauen beschränkt hat. Zwar kann die Haft für Frauen durch die genannten Umstände schlimmer sein und allgemein ist die Situation ein bisschen anders, aber man könnte den Artikel sicher trotzdem leicht ohne Verluste auch auf Männer ausweiten, wodurch er allgemeiner wird.
Warum kann man sich nicht einfach mal mit dem Leid der Frauen beschäftigen? Sie laufen ja auch nicht in eine Ärztekonferenz über Krebsbehandlungen rein und rufen, dass man sich mit MS auch zu beschäftigen hat. Einzelne Probleme werden einzeln abgearbeitet und der Artikel muss nicht allgemeiner werden, wenn er von missbrauchten und gefolterten Frauen handelt. Außerdem ist sexualisierte Gewalt nun mal statistisch und weltweit betrachtet etwas was Männer Frauen antun und man sich deshalb mit der Mehrheit der Opfer (= Frauen) befasst.
Frauen und Kinder sind eher selten bewaffnete Kämpfer - d a s macht es so abscheulich!
Bewaffneter Mann gegen bewaffneter Mann ist von Waffengleichheit geprägt. So etwas nicht: hier werden Wehrlose gequält um den Horror und Terror zu erhöhen.
Dem kann ich nicht beipflichten. Wer verallgemeinert, will immer auch relativieren. Die Methode ist zur Genüge bekannt.
Um auf ihre Frage zu antworten: Weil sich immer fast nur und ganz überwiegend mit dem Leid der Frauen beschäftigt wird, und zwar in einem Maße und Umfang, dass dies die Gleichgültigkeit der Gesellschaft gegenüber männlichem Leid aufzeigt. Bei den Vergewaltigungen in Foltergefängnissen ist es so, dass diese auch nicht unbedingt von Männern erfolgen müssen. Männer wie Frauen kommen prinzipiell als Täter in Frage. Männer werden z. B. meist mit Hilfe von Schraubenziehern vergewaltigt. Dieses Thema hat also nur bedingt etwas mit sexualisierter Gewalt im Zivilleben zu tun.
Ihre Einstellung ist letztlich sexistisch. Die gefolterten Männer in Gefängnissen, im übrigen wesentlich mehr als Frauen, haben keine Waffen. Ihnen wird keine Aufmerksamkeit zu teil, weil sie immer auch Täter, nämlich Soldaten waren. Und sie werden auch von Frauen gefoltert.