ZEIT ONLINE: Die Presse in Deutschland hat sich vor der Bundestagswahl intensiv mit der AfD auseinandergesetzt, um die Rechtspopulisten zu entlarven und ihren Einzug in den Bundestag zu verhindern. Am Ende hat die AfD hat knapp 13 Prozent der Stimmen bekommen, mehr als befürchtet. Nun sagen Politiker und Medienexperten, die Berichterstattung sei nutzlos, vielleicht sogar kontraproduktiv gewesen und habe der AfD womöglich sogar geholfen. Haben Sie einen ähnlichen Eindruck?
Martin Emmer: Ja, teilweise schon. Ich würde diesen Vorwurf aber auch den wahlkämpfenden Politikern machen. In den letzten Wochen haben sich so viele von ihnen kritisch über die AfD geäußert, dass man es als zusätzlichen Motivationsschub für jeden AfD-Wähler verstehen konnte. Ein Beispiel war das Deutschlandfunk-Interview des Thüringer Ministerpräsidenten Ramelow, der die AfD im Wesentlichen als Partei von Neonazis beschrieben hat. Wenn man solche Äußerungen macht, darf man sich nicht wundern, dass sich viele AfD-Sympathisanten freuen, dass sie mit ihrer Stimme die Regierenden weiter provozieren können.
ZEIT ONLINE: Eine zu kritische, verdammende Haltung gegenüber der AfD führt also zwangsläufig zu Trotzreaktionen?
Emmer: Sagen wir mal so: Wenn Politiker die Wähler dazu aufrufen, nicht für die AfD zu stimmen, ist das ein Beleg dafür, dass die Provokationspolitik der Partei funktioniert. Tatsächlich sind bei der AfD auch Nazis dabei, aber die sind eben nur ein Teil der Partei. Viele, die für die AfD gestimmt haben, sind eher politikferne Protestwähler. Sie haben sich für die AfD entschieden, weil sie den etablierten Politikern "in den Arsch treten" wollen, um es mal provokant zu formulieren. Wenn die Repräsentanten der großen Parteien dann jammern und sich beschweren, wie viele Leute die AfD gewählt haben, dann ist das Ziel der Protestwähler erreicht. Daher haben all jene Lamentos vor der Wahl, wie faschistisch und unakzeptabel die AfD doch sei, der Partei in der letzten Woche bestimmt ein, zwei Prozentpunkte zusätzlich eingebracht.
ZEIT ONLINE: Welche Konsequenzen sollten die Medien daraus ziehen? Lieber mal ein AfD-Thema auslassen?
Emmer: Es kommt nicht darauf an, wie viele Berichte über die AfD publiziert werden, entscheidend ist eher das Wie. Wenn man Studien zu Medienwirkungen betrachtet, dann zeigt sich, dass reine Quantität nur einen begrenzten Einfluss auf Ansichten, Meinungen, Radikalisierungen hat. Es geht eher darum, was für ein Bild von Politik, was für ein Bild von Parteien in den Medienberichten konstruiert wird. Das hat sehr viel mit der Art und Weise der Berichterstattung zu tun. Medien und Politik spielen alle dasselbe Spiel: Nach einer kontroversen AfD-Aussage melden sich Minuten später Politiker der etablierten Parteien zu Wort, die dann Empörung äußern. Die Medien berichten darüber und kurbeln die Spirale des Skandals unbewusst an. Sie bedienen also Mechanismen, auf die es die AfD abgesehen hat. Stattdessen würde ich zu einer sachlichen, inhaltlichen Diskussion raten.
ZEIT ONLINE: Halten Sie es für möglich, dass wir Medien politische Radikalisierungen gar nicht aufhalten können? Wird die aufklärerische Kraft der Presse überschätzt?
Emmer: Diese aufklärerische Kraft wird in ihrer unmittelbaren Wirkung überschätzt. Medien können nicht sofortige Meinungsänderungen bewirken. Aber langfristig, durch einen bestimmten Stil der Berichterstattung, durch eine breite Darstellung der gesellschaftlichen Vielfalt, kann man schon zu einer Veränderung der politischen Kultur beitragen. Wir erleben gerade einen Vertrauensverlust in gesellschaftliche Institutionen. Nun braucht es Zeit und Ausdauer, um dieses Vertrauen zurückzuholen. Da kann eine weniger sensationslüsterne Berichterstattung, eine Beruhigung des Diskurses schon helfen.
ZEIT ONLINE: Ganz konkret gefragt: Wie können wir Medien dazu beitragen, dass sich gesellschaftliche Gräben nicht weiter vertiefen?
Emmer: Was ich für sehr kontraproduktiv halte, ist das moralische Urteilen, das Abwerten von rechtspopulistischen Wählern. Man muss auseinanderhalten, über wen man spricht. Äußerungen einzelner Personen kann man sicher hart kritisieren. Aber solche moralischen Urteile über die gesamte AfD, ihre gesamte Wählerschaft, die sind sehr kontraproduktiv, weil sich diese aus ihrer Sicht missverstandenen Leute immer mehr in ihre Wagenburg zurückziehen.
Wofür ich plädiere, ist eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten der
AfD. Wenn ich die Debatte betrachte im Kontext des Rechtspopulismus, dann
bemerke ich, dass viele Sprecher sich die Finger nicht schmutzig machen wollen.
Die wollen auf bestimmte Argumente nicht eingehen und beurteilen ihre Gegner
stattdessen sofort moralisch. Anstatt zu widersprechen, wird dann zum Beispiel sofort
der Vorwurf der Verharmlosung des Nationalsozialismus erhoben. Das kann ja im
konkreten Fall richtig sein, aber man muss dann auch erklären, wieso das so ist.
Kommentare
"Am Ende hat die AfD hat knapp 13 Prozent der Stimmen bekommen, mehr als befürchtet."
Da könnte man mal eine wirklich guten, kritischen Bericht daraus machen. Von wem genau "befürchtet"? Und warum? War diese Furcht (und teilweise diese Angst und dieser Hass) berechtigt? Warum genau berechtigt oder nicht berechtigt? Was treibt diese Menschen genau an ihre "Befürchtungen" durch die Massenmedien zu verbreiten? Wer sind diese Personen genau?
Der Tenor des Interviewten im Artikel ist:
"Konservativ = Rechtspopulistisch = Rassismus"
Wie soll da eine weitere sachliche Diskussion aussehen?
Richtige Ansätze, aber die Medien kommen da immer noch zu gut weg.
Berichte über die Einwanderung dringend benötigter bestens ausgebildeter Fachkräfte, gar dei Verheißung eines neuen Wirtschaftswunders, ausgelöst durch die Flüchtlinge, Behauptungen, dass uns die Flüchtlinge quasi nichts kosten, die Leugnung der Möglichkeit, dass mit den echten Flüchtlingen auch religiöse Fanatiker und Terropristen ins Land kommen könnten, ......, man könnte das noch fortführen, haben doch die provoziert, die genau gesehen haben, dass das alles nicht stimmt. Warum sollten die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten oder aus Marocko etc besser ausgebildet sein als die Deutschen. Das war eine absurde Behauptung.
Warum wundert man sich dann, dass viele Menschen den Medien nicht mehr glauben?
Ich glaube sie kommen nicht zum Kern der Wahlerfolge der AfD. Ihr Chefredakteur hat ja bei Frau Maischberger den Hauptgrund dargelegt. Die Flüchtlingsfrage teilt die Nation. Da die bisherigen Parteien im Bundestages nur die eine Seite (Willkommenskultur) vertreten, musste die andere Seite eine andere Partei unterstützen. Ich glaube die Altparteien haben immer nicht verstanden. Alle anderen Länder haben es verstanden und nicht nur die osteuropäischen Länder.