Ja ja, nie wieder. Das war ja mal die westdeutsche Losung, das Versprechen schlechthin. Jedes Land hat solche Sinnsprüche, die es sich noch über die Fahne und über alles hängt. Alles was die Bundesrepublik geworden ist, ist sie auf dem Fundament dieses "Nie wieder" geworden. Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Faschismus. Nie wieder dies oder das.
Das war's jetzt aber. Mit Millionen Stimmen, die für ein völkisch ausgerichtetes Deutschland gestimmt haben und damit auch dafür, dass demokratische Grundsätze auf ebendiesem Weg abgeschafft werden könnten, gilt ab heute: Nie wieder "nie wieder".
Denn in diesem Wort lag der Eid, den man einander gab, sich nicht auf der Grundlage von nationalistischen oder völkischen Grundsätzen nicht nur nicht auszulöschen, sondern auch keine Politik zu betreiben. Auch nicht die Rhetorik zu verwenden, den ganzen alten Mist eben nicht mehr rauszuholen.
Man hat es all die Jahrzehnte geahnt.
Und manche haben auch immer gemahnt. Es gibt diesen Keim im, ja
nennen wir es ruhig, deutschen Volk, das eben doch noch nicht genug
hat. Doch nicht genug hat von dieser Hässlichkeit, die Rassismus
immer hervorbringt. Es war ja ehrlich gesagt auch nie weg.
Ein wahnsinniger Popanz
Die Familien, die in Mölln und
Solingen verbrannt sind, in ihren Wohnhäusern, die Schutzsuchenden
in Hoyerswerda, die von Flammen umzingelt live in die deutschen
Wohnzimmer übertragen wurden – machen wir einen Sprung, das alles
ist tausendfach beschrieben worden – bis hin zu minderjährigen
Kriegsflüchtlingen, die sich nicht trauen, in Clausnitz aus einem
Bus zu steigen, und zum Schluss die abstoßenden Szenen auf den
Marktplätzen, wenn die Kanzlerin auftrat, und Heerscharen von
Menschen ihre Contenance verlierend, erschütternd erniedrigend vor
allem sich selbst gegenüber jegliche Scham und Würde wegwarfen.
Seit Jahrzehnten schon geht das so. Das nennt man Rassismus.
Wofür, fragt man sich? Natürlich zum
wiederholten Mal. Warum diese ungeheure Verschwendung von Energie?
Millionen Gastarbeiter kamen in dieses Land und haben es aufgebaut.
Weil es die Deutschen nicht hinbekommen haben. Die Gastarbeiter haben
das gerne gemacht, sie haben davon sehr profitiert. Aber mehr noch
hat das Land davon profitiert. So sehr, dass man später 20 Millionen
DDR-Deutsche in das System integrieren konnten und weitere Millionen
Russlanddeutsche. Hat alles geklappt. Was nicht geklappt hat, ist,
dass man akzeptiert, dass die ehemaligen Gastarbeiter und ihre Kinder
geblieben sind. Und dann wird dieser wahnsinnige Popanz aufgebaut.
Islam, Terrorismus, Parallelgesellschaften.
Bei den Wahlnachbefragungen gaben AfD-Wähler an, dass sie rechtsextrem gewählt haben, erstens wegen Islamerstarkung und zweitens wegen Terrorbekämpfung. Wenn man seine Sinne beieinander hat, musste man schon spätestens an dieser Stelle vor Lachen vom Sofa gekippt sein. Man geht in Gedanken wieder diese Liste durch: NSU, Pegida, ach, lassen wir das jetzt wirklich! Es ist dieses alte Märchen: Am Rassismus der Rassisten tragen immer die Opfer Schuld.
Hätten die anderen rechter sein sollen?
Wenn ein Land wegen 890.000 Geflohener in Kauf nimmt, dass Rechtsextreme in ein Parlament ziehen, was wird es tun, wenn mal wirklich eine Krise droht?
Die Wahrheit ist, dass über die AfD alles, wirklich alles gesagt wurde. Und auch über die anderen Parteien und ihre Strategie. Selbst am Wahlabend standen Alexander Dobrindt und Sahra Wagenknecht bereits kurz nach sechs an den Mikrofonen und meinten schuldbewusst, sie hätten rechter sein sollen oder "offener über die Probleme in der Flüchtlingsfrage" reden.
Man saß da und fragte sich, was verstehen die eigentlich unter "rechte Flanke spielen"? Wenn eine Partei von rechtsaußen kommt und noch weiter nach rechtsaußen driftet, wie die AfD, wie kann man dann ebenfalls noch rechter werden und demokratisch bleiben?
Das geht nicht. Es sei denn, man sympathisiert mit dem Gedanken, dass in Deutschland künftig doch an den Grenzen geschossen, dass in Anatolien entsorgt, dass der Bundestag gejagt wird, eben weil man sich von Grundsätzen des "Nie wieder" verabschiedet hat. Anders geht es nämlich nicht. Rechtsaußen zu sein, bedeutet, dass man gestattet, dass die Minderheiten im Land nicht nur ihrer Würde beraubt werden, sondern auch ihrer Rechte. Und das wiederum ist kein Rechtsruck, wie es seit gestern Abend heißt, sondern ein Abdriften ins Rechtsextreme. Dorthin, wo dieses Land nie wieder sein wollte.
Kommentare
Sehr traurig, was manche hier machen.
Die Zeit hat eigentlich einen sehr guten Ansatz. Sie fragt die AfD-Wähler, warum sie ihr Kreuz bei der Partei gemacht haben.
Die Welt macht das auch.
Aber leider gibt es eben auch solche Journalisten und Politiker, die lieber auf Konfrontation gehen.
Eure Sache, macht ruhig so weiter. Dann kommt die AfD nächstes Mal auf 20 Prozent.
Oh, wie ein bockiges kindergartenkind...
"mähhh, die sagen mir ich soll das nicht machen, jetzt mache ich es erst recht"
Ich bin ja für folgendes neues Konzept:
Die Zeitungen sollen schreiben, dass AfDler nicht unsterblich sind. Nach einer weile werden sich die AfD-Selbstmorde aus Trotz zur Lügenpresse potenzieren.
"Millionen Gastarbeiter kamen in dieses Land und haben es aufgebaut. Weil es die Deutschen nicht hinbekommen haben. Die Gastarbeiter haben das gerne gemacht, sie haben davon sehr profitiert. Aber mehr noch hat das Land davon profitiert. So sehr, dass man später 20 Millionen DDR Deutsche in das System integrieren konnten und weitere Millionen Russlanddeutsche. " - Zumindest die türkischen Gastarbeiter kamen erst nach dem Wirtschaftswunder. Und was das mit der "Integration" von "20 Millionen DDR Deutsche" zu tun haben soll, bleibt auch schleierhaft.
Immer wieder erstaunlich, wie Fakten von einer Seite sehr gedehnt werden dürfen.
Deutsche müssen nicht "integriert" werden, Frau Kiyak.
Die sind und bleiben Deutsche. Egal woher sie kommen.
Sie kennen die türkische Verfassung scheinbar besser als das GG.
http://www.faz.net/aktuell/f…
Die NATO hat Deutschland gezwungen, arbeitslose Türken aufzunehmen, um die Türkei zu stabilisieren. Man hatte Angst, die Türkei könne sich der SU anschließen. Damals war kalter Krieg.
Die Story, die Türken hätten Deutschland nach dem Krieg aufgebaut, ist ein Märchen. Ich wüsste ja gerne, ob Frau Kiyak tatsächlich an Märchen glaubt oder ob sie genau weiß, dass es nicht stimmt, was sie schreibt. In beiden Fällen hat sie aber den Beruf verfehlt.
Ich finde es immer belustigend, wenn Menschen, die offensichtlich so wenig Ahnung von Geschichte haben, den AfD-Wählern vorwerfen. Sie hätten nichts aus der Geschichte gelernt.
"Millionen Gastarbeiter kamen in dieses Land und haben es aufgebaut. Weil es die Deutschen nicht hinbekommen haben."
Bei dem Satz dachte ich an die alten, großen, faltigen, kaputten Hände meiner Großeltern, die nichts anderes als Arbeit kannten.
Und dann kommt jemand daher und erzählt dieses Märchen, das man immer noch in die Köpfe der Menschen zu pflanzen versucht.
"Immer wieder erstaunlich, wie Fakten von einer Seite sehr gedehnt werden dürfen."
Nun, lauwarme Ausgewogenheit und faktenbasierte Analyse sind nicht Kiyaks Domäne. Womöglich fühlt sie sich in der Rolle eines linken Gaulands wohler, sieht man sich vergangene Eskapaden der Dame an. Man sollte ihr mangelndes Reflektionsvermögen jedoch nicht absprechen.
Danke für den Link! Diesen Aspekt war mir unbekannt. Und Danke für die Kolumne, Frau Kiyak, sonst wüsste ich das immer noch nicht.
"Das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei wurde am 30. Oktober 1961 in Bad Godesberg unterzeichnet ..
... Im August 1961 unterbrach schließlich der Mauerbau den bis dahin noch anhaltenden Zustrom von Arbeitskräften aus dem Osten. Zwei Monate später gab die Bundesregierung dem Drängen der türkischen Regierung nach, da diese eine Absage ansonsten „als eine Diskriminierung betrachten müsse“.
Der Mauerbau wird seltsamerweise immer unterschlagen. Weshalb wohl?
Sie stellen wilde Behauptungen auf und ziehen daraus den Schluss, die Autorin habe ihren Beruf verfehlt? Diese Taktik kennt man doch aus dem AFD und russischen Propaganda Lager, wenn man keine Argumente gegen einen Artikel hat muss es eben gegen den Autor gehen... Zu Frau Kelek darf man übrigens auch durchaus geteilter Meinung sein. https://www.freitag.de/autor…
Allerdings geht es hier um ein anderes Thema, nämlich das es nicht akzeptabel ist, wie ein gewisser Prozentsatz des deutsche Wahlvolkes einer offen rechtsextremen Partei den Einzug in den Bundestag ermöglicht und dies auch noch mit Protest gegen was auch immer begründet ...
Es zeigt einfach mangelnde Empathie für das Land, in das Frau Kiyak oder ihre Vorfahren gezogen sind.
Wer das nicht versteht, dass ein geteiltes Land wieder vereint sein möchte, und dass dies Vorrang hat, dem ist nicht zu helfen.
Vielleicht sind ausschließlich finanzielle Motive auch nicht förderlich, um in ein neues Land zu gehen.
+ Millionen Gastarbeiter kamen in dieses Land und haben es aufgebaut. Weil es "die Deutschen" nicht hinbekommen haben. +
Nein. Weil viele Menschen in der Türkei es bekannterweise nicht hinbekommen haben, sich dort zu versorgen und sich darum gerissen haben, nach D zu gehen. Es war ein gegenseitiges Abkommen, das - von türkischer Seite aus - vorsah, nur möglichst Ungelernte nach D zu bringen.
Mich verblüfft auch die Zahl "20 Millionen" - 1989 waren es meines wissens so ca. 16.8 Millionen nach offiziellen Zahlen.
"Zumindest die türkischen Gastarbeiter kamen erst nach dem Wirtschaftswunder."
Ob´s Ihnen gefällt oder nicht: Die Gastarbeiter kamen MIT dem Wirtschaftswunder, nicht danach.
Der zerstörerische Krieg eines rechtsradikalen Irren hatte nämlich so viele Millionen Menschenopfer gefordert und so viel zerstört, dass ein Wirtschaftwunder ohne die Mithilfe der Gastarbeiter gar nicht möglich gewesen wäre.
(Aus welchem politischen Grund die Türkei ihre Leute hier haben wollte, spielt dabei gar keine Rolle.)
"Und was das mit der "Integration" von "20 Millionen DDR Deutsche" zu tun haben soll, bleibt auch schleierhaft."
Ganz einfach: Die Integration der 20 Millionen DDR-Deutschen in unser Gesellschafts- und Wirtschaftssystem ist leider bis heute nicht gelungen, wie die Arbeitslosenzahlen, der Anteil der Hartz-IV-Bezieher und auch die gestrigen Ergebnisse leider zeigen. Die DDR hätte wohl doch besser für sich allein bleiben sollen.
Deutschland wurde nach dem Krieg von niemanden außer den Deutschen selbst aufgebaut. Wieso hätte uns auch jemand helfen sollen?
Gastarbeiter wurden angeworben, weil es mehr Arbeit als Arbeitskräfte gab, also erst nach Beginn des Wirtschaftswunders, ab Mitte der fünfziger Jahre. Die Kriegstrümmer waren da schon längst weggeräumt und der erste türkische Gastarbeiter kam erst 1962.
Gegen linksgrünen Geschichtsrevisionismus!
Alerta, alerta!
Der Druck, den die USA auf die Bundesregierung ausübte, war immens:
https://www.derwesten.de/pol…
Die Bundesregierung hatte damals, ca. 1959, "kulturelle Bedenken" ....
Ja absolut Herr Prettner... die wilden Thesen sind übrigens dem Buch von Frau Heike Knortz entsprungen... https://www.swr.de/internati…
Das ist halt Mely Kiyak, das müssen Sie nicht so eng sehen.
Die Deutschen haben die Gastarbeiter holen müssen, weil sie sonst nix gebacken bekommen hätten.
Da erübrigt sich jeden Gegenrede...
Schon mal was vom Marshall-Plan gehört?
Das ist nicht richtig. Die Gatsarbeiter kamen nicht NACH dem Wirtschaftswunder, Also unterlassen Sie bitte solche Falschaussagen. Ich komme aus NRW. Diese Leute kamen, weil es nicht genug Arbeitskräfte für den Bergbau und die Schwerindistrie gab.
Interessant, dasss man für solche kruden Falschaussagen 172 Likes bekommt. Liegts mit der Bildung in Deutschland so im Argen? Oder gibts inzwischen einfach zu viele Rassisten, die keine Türken mögen?
Au backe, meinen Sie das Ernst?
"Deutschland wurde nach dem Krieg von niemanden außer den Deutschen selbst aufgebaut. ... Gastarbeiter wurden angeworben ... ab Mitte der fünfziger Jahre. Die Kriegstrümmer waren da schon längst weggeräumt"
In welchen Netzwerken muss man verlinkt sein, um für eine so schräge, geschichtswidrige und zutiefst falsche Aussage 25 Likes zu bekommen? Im Internet wird schon jede Menge manipuliert.
Tipp: Nehmen Sie ein normales Geschichtsbuch (nicht nur die rechte Presse) und lesen Sie nach. Oder schauen Sie sich historische Quellen und Bilder an. Das bildet ungemein.
Aussländer haben Deutschland wohl aufgebaut, auch die Türken.
Wer glauben Sie hat in den 60‘er70‘er Jahren die Drecksarbeit gemacht? Wohl kein Akademiker mit perfekten deutsch Kenntnissen?!
Erzählen Sie kein Unsinn, wenn Sie es nicht persönlich miterlebt haben!
Sonst klingen Sie genau wie die aus dem rechtsaussen Flügel der AfD. Oder, vielleicht sind Sie sogar aus diesem Lager.
Schönen Abend.
Der von mir genannte Artikel beschreibt nur, dass die US-Regierung auf die deutsche Regierung einen hohen Druck ausübte, was die Anwerbung von türkischen Gastarbeitern angeht.
Ihre Quelle kritisiert, dass behauptet würde, man habe Gastarbeiter generell nur auf außenpolitischen Druck hin zugelassen. Dass ist ein ganz anderes Thema.
Entfernt. Bitte vermeiden Sie Relativierungen. Die Redaktion/ur
Der Kommentar, auf den Sie Bezug nehmen, wurde bereits entfernt.
"Bei den Wahlachbefragungen gaben AfD-Wähler an, dass sie rechtsextrem gewählt haben, weil erstens wegen Islamerstarkung und zweitens wegen Terrorbekämpfung"
Wo kann man nachlesen, dass AfD-Wähler sich nach der Wahl als "rechtsextrem" bezeichnen? Oder haben Sie, wie ich vermute, die Vokabel "rechtsextrem" nur selbst eingefügt?
Steht dort nicht. Die Partei, aber nicht die Wähler wird als rechtsextrem bezeichnet.