Der Intellektuelle ist tot, zumindest in den öffentlichen Diskussionen. Nur wohin hat es ihn verschlagen? Längst haben Coaches und Berater jene Plätze in den Medien besetzt, wo man einstmals noch Figuren wie Hannah Arendt, Jürgen Habermas oder Marcel Reich-Ranicki wahrnahm. Nun kann man sagen, dass sich die Bedingungen verändert hätten und die Medienlandschaft inzwischen partikularisiert sei. Deswegen könnten kluge Köpfe kaum noch zu einer die Milieus überragenden Bekanntheit gelangen. Doch diese Erklärung für die Absenz von Denkern erscheint allzu einfach. Trägt daran nicht auch die Entwicklung der Geisteswissenschaften eine Mitverantwortung, deren Vertreter sich bisweilen mit einem eremitischen Dasein abgefunden haben?
Gerade auf die literaturwissenschaftliche Germanistik als inzwischen kulturwissenschaftliche Basisdisziplin mag diese Diagnose zutreffen. Wer den letzten Bremer Tatort gesehen hat, wurde mit dem grotesken Stereotyp des Philologen konfrontiert: Während die Kommissare einer im buchstäblichen Sinne blutrünstigen Mörderin auf der Spur sind, wedelt der esoterisch anmutende Professor auf der Polizeiwache mit einer Studie zum Vampirmythos. Einen Lacher kann das abgeben. Für die Wirklichkeit hat dieses populäre Urteil allerdings bedenkliche Konsequenzen.
Die Gründe dafür sind
vielfältiger Natur, wie der französische Philosoph Geoffroy de Lagasnerie in
seiner luziden Streitschrift Denken in
einer schlechten Welt darlegt. Seine Anklage richtet sich vor allem gegen das
selbst verordnete Neutralitätsgebot, das sich in der Nachkriegszeit als Folge der ideologischen Vereinnahmung durch die Nazis etablierte. Statt zu bestimmten Problemen auf
Basis des kulturellen Erbes Stellung zu beziehen, habe man sich mit einer
passiven Beobachterrolle zufriedengegeben. Man genügte sich selbst und fühlte
sich für alles Politische nicht zuständig. Was de Lagasnerie daher jetzt einfordert,
ist eine stärkere wissenschaftliche Flankierung gesellschaftlich relevanter
Diskurse.
Öffentliche Rechtfertigungspflicht
In der Tat hat sich ein Teil der Forschungsgemeinde, insbesondere der älteren Garde, seit mehreren Dekaden mit der Abarbeitung realitätsferner Nischenthemen begnügt. Man zog sich biedermeierlich (und sicherlich auch ein wenig selbstgefällig) ins Unpolitische zurück. Verstärkt wird dieser Eindruck der Beliebigkeit durch eine massive Überproduktion an Studien und Artikeln, deren Bedeutung für die gesellschaftlichen Diskurse kaum erörtert wird. Es wäre nun falsch, der Rede von der neoliberalen Verwertbarkeit von Forschung zu verfallen, aber auch die kulturwissenschaftlichen Subdisziplinen, die ihr Überleben oftmals überhaupt nur noch durch die Lehramtsausbildung behaupten können, werden öffentlich finanziert und haben eine Rechtfertigungspflicht, die nicht bloß als Bedrohung von außen empfunden werden sollte.
Andrea Geier, Professorin für Germanistik an der Universität Trier und Vertreterin einer "engagierten Literaturwissenschaft", argumentiert im Gespräch ähnlich: "Ich werbe dafür, auf diese Nützlichkeitszumutungen nicht zu defensiv zu reagieren. Wir sollten die Frage nach der Bedeutung der Geisteswissenschaften aktiv aus eigenem Interesse stellen. Wir sollten uns den echten Krisen, die wir haben, stellen, wie etwa dem Bedeutungsverlust von Literatur in der Medienkonkurrenz, wir sollten diskutieren, wie wir die Relevanz unserer Methoden bestimmen." Sie plädiert dafür, das öffentliche Gespräch über Wissenschaft stärker mitzugestalten.
Geier selbst ist auf dem Gebiet der Gender Studies aktiv und steht für jene, die kanonische Texte aus neueren Perspektiven analysieren. Auch Bereiche wie Migration, Mensch-Tier-Beziehungen, Ökologie und Klimatologie sind derzeit brisant. Zu all diesen Themen gibt es rege Debatten in den Medien und glücklicherweise einige vereinzelte Forscher. Zu erwähnen wären Roland Borgards als wichtigster Vertreter der Animal Studies im deutschsprachigen Raum oder Ortrud Gutjahr als Verfechterin einer interkulturellen Germanistik. Auch auf die Linguistik, die sich etwa mit Jan Schneider zu einem anwendungsorientierten Begleitfach für gesellschaftliche Diskussionen entwickelt hat, trifft der Vorwurf der Weltabgewandtheit kaum zu.
Kommentare
Geisteswissenschaften haben sich überlebt.
Sie kreisen um überflüssige Thematiken und beschäftigen sich selbstverliebt in internen Zirkeln mit abwegigen Themenkomplexen wie die Genderproblematik beim Klobesuch oder ähnlichem.
Wir brauchen ein naturwissenschaftliches Grundverständnis unserer Welt. Nur so können wir Umweltprobleme, Klimaprobleme usw. effektiv angehen und sachlich beurteilen. Auf naturwissenschaftlichen Gebieten fehlt es bei uns an Bildung.
Leider dürfen immer noch zu viele geisteswissenschaftlich ausgebildete Journalisten in den Medien über naturwissenschaftliche Thematiken schwadronieren.
Selbst die "Gentechnikexpertin" des BUND ist eine Germanistin/Philosophin. Das lässt nichts Gutes ahnen.
Geisteswissenschaftler spielen leider noch eine viel zu große Rolle auf dem Gebiet der veröffentlichten Meinungen.
Man schaue sich nur einmal die Autoren von ZON genauer an. Wenn man die Autoren anderer Zeitungen miteinbezieht kommt man zu dem Schluss, das Geisteswissenschaftler den öffentlichen Diskurs weitestgehend bestimmen.
Daher stimme ich Ihnen vollkommen zu. Der nüchterne, pragmatische Einfluss der Naturwissenschaften kommt in diesem Land zu kurz.
"Überproduktion an Studien und Artikeln, deren Bedeutung für die gesellschaftlichen Diskurse kaum erörtert wird."
Ist das so? - In den Medien kann man immer wieder von Studien lesen und deren gesellschaftliche Relevanz wird auch erörtert.
Allerdings sind das dann Studien zu Themen, die die Menschen allgemein derzeit bewegen. Wie etwa: wie steht es um die Integration der Flüchtlinge, der Menschen mit Migrationshintergrund?
"Andrea Geier, Professorin für Germanistik an der Universität Trier... ist auf dem Gebiet der Gender Studies aktiv"
"Gender Studies" sind für viele Menschen mittlerweile ein rotes Tuch.
Denn während sich in Ländern wie Afghanistan oder Indien "Geschlechterrollen" ausmachen lassen, die Mädchen und Frauen aufgezwungen werden,
ist es in Europa objektiv so, dass Frauen alle Möglichkeiten offen stehen.
In Deutschland sollen Jungs schon ihren Müttern die Frage gestellt haben, ob sie auch "Bundeskanzlerin" werden können...
Es gehe um "das genaue Lesen von Texten, die Fähigkeit, das Gelesene zu erfassen und zu beschreiben."
Lese-Verstehens-Kompetenz nennt sich das. Und diese Fähigkeit wird bei Sprachtests abgeprüft, um festzustellen, ob der Prüfling den gehörten oder gelesenen Text verstanden hat, folglich der Fremdsprache mächtig ist.
Ist das jetzt wirklich etwas, das bei Muttersprachlern ein Studium voraussetzt?
- Dann kann man die Geisteswissenschaften vergessen.
"Lese-Verstehens-Kompetenz nennt sich das. Und diese Fähigkeit wird bei Sprachtests abgeprüft, um festzustellen, ob der Prüfling den gehörten oder gelesenen Text verstanden hat, folglich der Fremdsprache mächtig ist."
Es ist eine Sache, die Worte eines Textes "zu verstehen". Es ist eine ganz andere, die Bedeutung zu erfassen und zu interpretieren. Zu besichtigen ist dieses Phänomen in den sozialen Medien sowie diversen Foren wie diesem hier.
Wer nur die Worte versteht und nicht kritisch überprüft und hinterfragt, ist sehr leicht zu manipulieren.
Meinen Sie diese pragmatischen Naturwissenschaftler und Ingenieure, die in den 70er Jahren einen GAU in AKW als ausgeschlossen bezeichneten?
Oder den pragmatischen Kölnmediziner aus China?
Angesichts des Wahnsinns, den uns Naturwissenschaften bisher so beschert haben, wäre eine gewisse Bescheidenheit dieser Disziplinen angebracht.
Wie wäre es mit denen, die uns CT und MRT beschert haben? Autos und Flugzeuge? Diejenigen, die es möglich gemacht haben Menschen auf dem Mond zum bringen? Die Elektrizität entdeckt und das Internet erfunden haben?
Oder kurz gesagt: Diejenigen, die maßgeblich unser allen Lebenstandard möglich gemacht haben?
Seit: Klonmediziner
Ja, was ist mit denen?
Die Natur "klont" seit Jahrhunderten. Nennt sich dann eineiige Zwillinge oder Mehrlinge.