Die Schriftart Helvetica ist eine der meistverwendeten auf der Welt. 1956 von den Schweizern Max Miedinger und Eduard Hoffmann entworfen, wurde sie mit ihrer ausgewogenen Schlichtheit zu einem Stilklassiker der Typografie. In den vergangenen 60 Jahren haben sich allerdings nicht nur die technischen Bedingungen in Druckereien und die medialen Darstellungsmittel verändert, auch werden ganz alltäglich viele neue Zeichen und Buchstaben verwendet, die es früher noch nicht gab. Zeit, die Helvetica zu modernisieren. Wir haben mit Hendrik Weber und Alexander Roth, den Designern des Schriftgestaltungsbüros Monotype in Berlin, gesprochen. Sie haben dem Klassiker ein zeitgemäßes Gesicht gegeben: Helvetica Now.
ZEIT ONLINE: Haben Schriftdesigner einen Lieblingsbuchstaben?
Hendrik Weber: Ja, das o, weil es der schwierigste Buchstabe ist.
ZEIT ONLINE: Schwierig? Ist doch nur ein Kreis oder ein Oval.
Weber: Nur auf den ersten Blick. Es enthält Feinheiten, die ziemlich herausfordernd sind. Wenn man ein o zeichnet, hat man schon eine Idee davon, wie die gesamte Schrift aussehen wird. Ich brauche am längsten für dieses erste Zeichen.
ZEIT ONLINE: Worauf müssen Sie dabei achten?
Weber: Auf Dynamik, Statik, Rhythmik, Balance, Stabilität. Wirkt es eher progressiv oder reduziert, human oder statisch? Und es muss in verschiedenen Strichstärken konsistent wirken. Wir entwerfen ja nicht bloß ein Zeichen, sondern wir zeichnen es gleich in verschiedenen Strichstärken, leicht, mittel, fett und so weiter.
ZEIT ONLINE: Der Schriftdesigner beginnt beim Omega, nicht beim Alpha?
Alexander Roth: Also, ich beginne beim a.
ZEIT ONLINE: Aha!
Weber: Na ja, es gibt unterschiedliche Fraktionen.
Roth: Aber Hendrik hat recht, am kleinen o kann man schon eine Menge definieren.
ZEIT ONLINE: Dann bitte einen kleinen Grundkurs in Typografie!
Roth: Es geht zum Beispiel um das Höhenverhältnis des kleinen zum großen O. Und um die Breite. Und um die Kurvenspannung, also wie eng und schnell die Rundungen sind.
ZEIT ONLINE: Ist ein gutes o symmetrisch?
Roth: Nein. Es gibt zum Beispiel Schriftarten, in denen das o aussieht, als würde es vornüber fallen. Das macht man auch gern bei geraden Zeichen wie dem kleinen l oder a: Man kippt sie um einen Winkel von 1° in die Leserichtung, und es ist verrückt, was das ausmacht. Es fördert wirklich den Lesefluss.
ZEIT ONLINE: Und niemand merkt, wie ihm geschieht. Sie üben also eine Art Geheimwissenschaft aus, die den Leser optisch und psychologisch beeinflusst.
Weber: Richtig. Die Information kommt nicht von vorn. Der Hinterkopf arbeitet beim Lesen. Das Tolle an diesem Beruf ist, dass wir etwas erzeugen, was der Beobachter im ersten Moment gar nicht so wahrnimmt.
ZEIT ONLINE: Wahrscheinlich hat sich auch noch kein normaler Leser darüber Gedanken gemacht, dass die ewig klassische Helvetica womöglich nicht mehr zeitgemäß ist. Warum musste sie dringend modernisiert werden?
Weber: Diese Schrift ist kulturell sehr wichtig, weil sie weltweit so präsent und eine Art Standard geworden ist. Allerdings ist die letzte Überarbeitung in "Helvetica Neue" schon 36 Jahre her.
ZEIT ONLINE: Das war in vordigitalen Zeiten, als man noch mit Bleisatz und Fotosatz gearbeitet hat.
Weber: Genau. Damals gab es eine ideale Schriftgröße von acht oder neun Punkt. Heute, auf hochauflösenden Retina-Bildschirmen will man wesentlich kleinere Schriftgrößen von vier oder fünf Punkt darstellen. Da hat die alte Helvetica erhebliche Defizite. Auf Plakatgröße, wir nennen das Display, sieht sie immer noch sehr charismatisch aus. Aber im Kleinen, wir sagen Micro, ist sie schlecht lesbar. Es war uns einfach ein Herzensprojekt, diese wertvolle Schrift zu erhalten und sie wieder für junge Designer attraktiv zu machen.
ZEIT ONLINE: Inwiefern ist denn der Buchstabe schuld daran, wenn er in Microtext nicht gut lesbar ist? Liegt das nicht an der Auflösung des Bildschirms?
Roth: Früher sagte man, die Buchstaben in kleinen Schriftgrößen "laufen zu", die Formen sind also nicht eindeutig. Damals war es der Tinte geschuldet, heute ist es ein Pixelgewitter. Bei einer digital optimierten Schrift gibt man jetzt dem Computer einen Programmcode mit, wie er die Pixel zu setzen hat. Vor allem auf Windows-Rechnern spielt das eine Rolle.
Weber: Und das Kleingedruckte wird ja immer wichtiger. In Lesegrößen von fünf Punkt geht es nur darum, den Text zu dechiffrieren, das ist reine Effizienz. Je kleiner die Schrift wird, desto weniger Details brauchen die einzelnen Buchstaben, um die entsprechende Information zu kommunizieren.
ZEIT ONLINE: Man könnte jetzt zwinkernd einwenden, dass Firmen im Kleingedruckten meist Dinge verstecken, von denen sie gerade nicht wollen, dass sie gelesen werden. Gibt es eine Daumenregel für einen optimal lesbaren Text oder eine optimal lesbare Schrift?
Roth: Die Schrift spielt eine Rolle, aber es ist auch der Zeilenabstand, das Papier, die Schriftgröße, die Laufweite, also der Buchstabenabstand. Es gibt eine Din-Norm für barrierefreies Gestalten, die bestimmte Zeichen vorschreibt. Zum Beispiel eine Null mit Strich durch, damit man sie nicht mit einem o verwechselt. Oder man versieht das kleine l, das ja leicht verwechselbar ist mit dem großen I, mit einem kleinen Fuß. Sonst hätte man bei "Illumination" drei gleiche Striche nebeneinander. Man kann aber nicht einfach sagen: Ich habe die perfekt lesbare Schrift. Typedesign, Typografie und technische Ausstattung führen zum Ergebnis. Die Lesbarkeit hängt vom Kontext, der Schriftgröße und dem Medium ab.
ZEIT ONLINE: Die Helvetica ist sicherlich auch deshalb ein Klassiker, weil so viele bekannte Marken diese Schrift in ihren Logos verwenden. Lufthansa, Panasonic, BMW, Nestlé, Oral-B, American Apparel, Bayer, BASF. Was strahlt diese Schrift aus?
Weber: Da muss ich kurz ausholen.
Kommentare
"Oh ja, das Versal-sz. Das wurde ja erst vor zwei Jahren eingeführt. Es gibt dafür auch keine richtige Konvention, wie das zu entwerfen ist. Man hat sehr viel Spielraum. Wir fanden es schön, wenn man das z und das s miteinander in einem Zeichen spielen lässt."
Was Könner!
Eigentlich sollte ein Typograph wissen, daß es sich um ein Doppel-"s", bestehend aus den beiden zu dieser Zeit existierenden Bauformen des kleinen s handelt und mit "z" nun wirklich nichts zu tun hat -- vielmehr ist es das, was dabei herauskam, wenn man direkt in einem Zug aus dem "langen s" (das nach seinen wirklich komplexen Nutzungsregeln nie am Ende eines Wortes stehen durfte) am Wortende noch ein End-s angefügt hat.
Selbst der Publikumsjoker ist besser informiert: https://de.wikipedia.org/wik….
Nun steht allerdings gerade in dem von Ihnen zitierten Publikumsjoker, dass sowohl die Ligatur aus langem s un d kleinem z als auch die Ligatur aus langem und rundem s typographisch prägend für das ß waren. So falschliegen die Typographen also offenbar doch nicht.
Helvetica now gefällt mir nicht schlecht, aber ich wäre überrascht wenn es mehr als eine von vielen Serifenlosen Schriftarten bleiben wird, die original Helvetica wird es hoffentlich nicht ersetzen.
Nun ist es eh ein bisschen frech, die neue Schrift bei so teils erheblichen Änderungen noch Helvetica zu nennen.
Die Frage ist doch: Wer benutzt wirklich noch die Helvetica?
Ich meine nicht die Optik sondern die Original-Form. Eher wird die Helvetica Neue doch jetzt schon mit der Ur-Helvetica gleichbedeutend angesehen und ob ihrer größeren Schnittvielfalt benutzt. Vergleicht man beide, gibt es auch da schon teils erhebliche Unterschiede.
Wichtig ist nur, dass die Anmutung und Intention der Schrift gewahrt bleibt und die Überarbeitung war aus den im Artikel genannten Gründen dringend notwendig. Wir mit Schrift arbeitenden Menschen wollen auch weiterhin diesen Designklassiker im täglichen Geschäft verwenden können, ohne schlechte Kompromisse. Sie auf dem letzten Stand zu belassen wäre eine Musealisierung und würde unweigerlich dazu führen, dass sie einfach in Zukunft weniger oder gar nicht mehr genutzt würde.
Word!
Das habe ich anhand der Beispiele auch gedacht. Z.B. ist von eckigen auf runde Punkte zu gehen ein ganz schöner Eingriff, dafür dass es nur eine Modernisierung und keine neue Schrift sein soll.
Die genannten Punkte sind ja nur ein Stilset, nicht Default.
@Redaktion: das ist mir schon beim Lesen aufgefallen, dass die gewählte Bildunterschrift beim obigen Beispiel unglücklich ist.
Bitte hier noch mal schlaumachen: https://www.monotype.com/res…
"Z.B. ist von eckigen auf runde Punkte zu gehen ein ganz schöner Eingriff, dafür dass es nur eine Modernisierung und keine neue Schrift sein soll."
Muss man nicht nutzen, da es nur hinzugefügte Alternativen sind. Wer eckige Punkte will, kann diese noch immer nutzen.
Wie kommt VW nur dazu, den heutigen Golf noch Golf zu nennen, wo der doch nun wirklich nicht mehr aussieht wie der Ur-Golf?
Im Alltag benutzen die meisten Leute Helvetica ohnehin, ohne es zu wissen, unter dem Namen "Arial".
Uarial ist ein nicht ganz fehlerfreier Neuschnitt zur Umgehung des copyrights. Das aks Helvetica zu bezeichnen geht etwas weit. Ähnlich ist die Arial aber durchaus.
Das ist zwar richtig, aber nur die halbe Wahrheit. In der Praxis wird sofern Sie nicht explizit die Schriftersetzung abschalten bei den meisten Office-PCs Arial in Ausdrucken durch Helvetica des Druckers ersetzt.
Leider nonsens
Auf den 99,9 der Office-PCs läuft Windows, Mac oder Linux (wobei sich an der Stelle auch z.B. Solaris oder OS/2 aus Anwendersicht nicht von Windows unterscheiden). Ursprünglich lief hier wahlweise Adobe Type 1 oder Microsoft/Appe Truetype. Inzwischen hat sich Opentype durchgesetzt, auch wenn Truetype nach wie vor sehr weit verbreitet ist und Type-1 noch nicht völlig unwesentlich verbreitet hat. Allen drei Schrift-Standards ist gemein, daß daß womit sie schreiben und was sie zu sehen bekommen auch genau das ist, was ausgedruckt wird. Eine Ersetzung finden bereits auf dem Bildschirm statt (und dann folgend im Ausdruck), wenn sie ein Dokument mit Helvetica-Schrift bekommen, aber nur Arial installiert haben (oder umgekehrt). Das betrifft auch andere Schriften, weshalb alle mitgelieferten Schriften verschiedenen Schriftfamilien zugehören (Arial und Helvetica gehören in der Tat zu einer solchen). Unter Windows 3.x ließ sich soweit ich mich erinnere das ändern - da konnte bei installierten CorelDraw Helvetica durch die fast identische Swiss ersetzt werden. Das Ergebnis ist bei Arial/Helvetica etwas dürftig, kommt dem Original aber zumindest nahe. Eine Ersetzung im Drucker findet schon ewig nicht mehr statt (ich weiß gar nicht wann Drucker aufgehört haben überhaupt mehrere Druckerschriften zu haben). Insofern war aber eine Modernisierung durchaus auch angebracht - Kopien und Nachahmer waren vielfach schon weiter als das original. Und wem Zeichen fehlen, der wechselt die Schrift.
Nichts geht über die zeitlose Klarheit von Comic Sans MS
...sehr schön bei Todesanzeigen und als Laufschrift bei wissenschaftlichen Werken ...
Das versale ß ist ja oberscheußlich, läßt "Dynamik, Statik, Rhythmik, Balance, Stabilität" komplett vermissen und stellt eine mißratene Ligatur aus einem umgekehrten Minuskel-L und einer 3 dar. Die außreissende Micro-Oberlänge mit Abwärtsdrang nach Rechts unter die obere Schnittlinie transportiert übliche Gestaltungsmittel der Minuskel in die Versal-Ästehtik, - FURCHTBAR!
Und die Digitalmöglichkeiten, z. B. kontextabhängige Letterweiten/-stellungen je nach Vor- und Nach-Buchstabe, zumindest als Option und ggfls auch bis zur durchgestaltet-überlegten Ligatur, deren Hilfe zur Lesbarkeit, Flüssigkeit usw. mit dem Fotosatz gänzlich verschwand, wurden offenbar auch nicht genutzt. Dabei zeigen die Beiden doch ansonsten, daß sie was können ...
Ein Link zum kompletten Satz wär' schön ... wie war das mit dem Marketing?
ähem: ... Versal-Ästhetik ...