Die jüngst erschienene Ausgabe der Studie Die Ängste der Deutschen, die seit 1992 jährlich von der R+V Versicherung herausgegeben wird, scheint vor dem Hintergrund aktueller Großdebatten zunächst Erwartbares bereitzuhalten. Am meisten Angst haben die Deutschen demnach vor einer "Überforderung des Staates durch Flüchtlinge" (56 Prozent). Ähnlich weit vorne liegen die Angst vor der irrlichternden Außenpolitik Donald Trumps (55 Prozent) oder politischem Extremismus (47 Prozent). Auf weiteren Rängen folgen etwa die Angst vor unbezahlbaren Wohnungen (45 Prozent) oder vor den Folgen des Klimawandels (41 Prozent).
Auf den zweiten Blick sind die
Umfrageergebnisse aber doch überraschend. Denn die meisten großen Ängste haben im
Vergleich zum Vorjahr rapide abgenommen: jene vor Trumps Außenpolitik beispielsweise
um 14 Prozentpunkte, die vor politischem Extremismus um zehn Prozentpunkte, die vor der
Überforderung des Staates durch Flüchtlinge um acht Prozentpunkte. Und mehr noch: In
der Summe sind die Deutschen damit so gelassen wie seit 25 Jahren nicht mehr.
Das erzeugt Erklärungsbedarf. Angesichts
dauerhafter Diskurspanik sowie dem anhaltenden Aufstieg der AfD, deren
Kernkompetenz ja in der erfolgreichen Kultivierung von Ängsten liegt (bei ihren
Anhängern, aber in der Konsequenz auch bei den Vertreterinnen der
pluralistischen Demokratie), sollte man doch gegenwärtig eigentlich annehmen,
dass sich die Bundesrepublik zum kollektiven Panic Room entwickelt.
Eine naheliegende Antwort auf die Frage, warum dies offensichtlich nicht der Fall ist, könnte nun in der schon länger beschworenen Differenz von veröffentlichter und öffentlicher Meinung liegen. Während mediale Angstkurven durch die Debatten um den Aufstieg der AfD oder die Folgen des Klimawandels steigen, können sie demnach gesellschaftlich durchaus abfallen. Wobei die Ergebnisse der Studie auch deshalb bemerkenswert sind, weil mediale Angstkurven ja längst nicht mehr nur dem Betreiben einiger weniger Journalisten folgen (falls sie das je taten), die in ihren vermeintlichen Filterblasen bisweilen selbstreferentielle Empörungsschleifen drehen.
Heute sind die Erregungskonjunkturen
auf Facebook und Twitter zwar durch hinterherhechelnde "Was bewegt das
Netz?"-Berichterstattung an klassische Medien rückgekoppelt, entfalten aber
vielfach auch eine Art diskursatmosphärische Eigendynamik.
Dass dies mitunter hochgradig
verzerrend wirken kann, wir es also bei digitalen Angstamplituden oft mit
Shitstorm-Scheinriesen zu tun haben, sieht man schon daran, dass laut einer
Studie aus dem letzten Jahr 50 Prozent der Likes von Hasskommentaren bei Facebook
auf lediglich fünf Prozent der Accounts zurückgehen. Und wenn nun eben noch die
Angststudie sagt, dass dem erregten Gebrüll der Facebook-öffentlichen Meinung
ein einig gelassenes Vaterland gegenübersteht, das sein Handy abends einfach
weglegt und eine kontemplative Stunde im Rosengarten verbringt, dann könnte man
sich doch, ebenda, entspannt zurücklehnen. Oder?
Kommentare
Schöner Artikel.
Las ich nicht vorhin noch, dass "die Deutschen" Angst vorm Abstieg haben?
Ach ja, hier war's: https://www.spiegel.de/wirts…
Na ja, Hauptsache, es wird immer was geschrieben.
Und ich mache mit.
Tja die Ängste
die da immer jedes Jahr genannt werden! Haben halt mit dem was wirklich problematisch ist, nichts zu tun! Bsp. weise hatten menschen häufig Angst vor einer Geldentwertung, die nie eintrat. Eher könnte eine Deflation der Fall sein.
Eingebildete Ängste sind natürlich auch welche! Sogar die gefährlicheren, weil sie auf nicht realen Fragen beruhen. So die Flüchtlinge - die nachweislich kein Problem darstellen!
Ach ist das Leben schön!
Sie sollten Ihren Beitrag mit Ironie kennzeichnen !
„Das erzeugt Erklärungsbedarf. Angesichts dauerhafter Diskurspanik sowie dem anhaltenden Aufstieg der AfD, deren Kernkompetenz ja in der erfolgreichen Kultivierung von Ängsten liegt“
Da ist eigentlich kein Erklärungsbedarf nötig:
Die AfD spricht, im Gegensatz zu anderen Parteien, die Sorgen der Menschen an. Denn wie der Autor schon festgestellt hat:
„Am meisten Angst haben die Deutschen demnach vor einer "Überforderung des Staates durch Flüchtlinge" (56 Prozent).“
Und das ist nunmal ein Kernthema der AfD.
Und auch bei anderen Themen(Islam etc.) hat die AfD eine ganz andere Meinung wie die anderen Parteien. Und deshalb der Aufstieg der AfD.
Die Amerikaner würden sagen : German-Angst.
Was dem einen die Flüchtlinge sind , sind auf der anderen Seite der Weltuntergang.
Angst ist im übrigen ein Ur-Instinkt. Wer keine Angst hat, lebt nicht lange.
Markwardt mal wieder mit einem ihm eigenen Weitblick, der zum Nachdenken und - erfreulicherweise - immerhin ein bisschen zu Hoffnung beiträgt. Ganz im Sinne der "Dialektik der Aufklärung" bleibt abzuwarten, ob diese selbstverstandene Unabhängigkeit als tatsächliche Abhängigkeit entlarvt wird. Dabei bleibt jedoch die Frage, was passiert, wenn destruktives Verhalten in proaktives Handeln umschlägt und Rechtspopulisten anfangen, selber zu gestalten: Was, wenn es immer mehr Klimaleugner und unseriöse Nachrichtenmagazine geben wird?
"Dabei bleibt jedoch die Frage, was passiert, wenn destruktives Verhalten in proaktives Handeln umschlägt"
Das tut es doch schon. Aktuell können Sie dazu einen Artikel über einen Besorgtbürger lesen, der mit Reizgas auf Schulkinder und deren Lehrerin losgegangen ist, in der letzten Zeit gab es dazu auch diverse Beispiele mit Schusswaffengebrauch oder dem altbekannten Neonazi-Mob, der Leute einfach totprügelt.
Wenn diese Klientel lange genug von ihren Panikmeistern eingeseift wird, dreht sie eben irgendwann durch. Die sehen, dass es mit der Machtergreifung selbst in Sachsen nicht klappt und dann denken sie daran, was Kalbitz gesagt hat: Wenn das mit der AfD nichts wird, bleibt nur noch "Helm auf". Und so handeln die dann.
"Was, wenn es immer mehr Klimaleugner und unseriöse Nachrichtenmagazine geben wird?"
Auch wenn diese Frage vermutlich rhetorisch gemeint war, nehme ich sie zum Anlass für einen Kommentar:
Angst kann destruktiv sein und zu Handlungsunfähigkeit führen. Sie kann aber auch konstruktiv eine Reaktion auf eine kommende (erkannte) Gefahr hervorrufen, indem sie Motor für mögliche Problemlösungen ist.
Sollte die Partei der "einfachen Lösungen" weiter an Macht gewinnen, wird es immer schwieriger, Probleme, die die Menschheit betreffen, mit den nötigen Mitteln politisch zu unterstützen und zu finanzieren.
Aber:
Die Menschen, die sich für konstruktive Lösungen einsetzen (z.B. gegen den vom Menschen verursachten Klimawandel) werden deshalb nicht verschwinden.
Ich hege die Hoffnung, dass sie es weiter schaffen Gehör zu bekommen und genügend Unterstützung erhalten, dass wir nicht sehenden Auges ungebremst auf eine Klimakatastrophe zusteuern. Greta Thunberg macht es vor, diejenigen die jetzt bei Friday for Future demonstrieren, sind die Wähler von Morgen, die sich intensiv mit dieser Frage beschäftigt haben bzw. beschäftigen werden.
Ich HOFFE inständig, dass sich Ihre These langfristig nicht bewahrheiten wird!
Ich HOFFE, dass die "Besorgt-Bürger" es nicht schaffen werden, notwendige Entwicklungen zu verhindern!
Ich hoffe, dass ein großer Teil dieser "Besorgt-Bürger" endlich wieder zur Besinnung kommt!
Nur der Glaube daran will sich nicht so recht einstellen.
Deshalb glaube ich an eine Mehrheit, die die "besorgten" Bürger überstimmen kann.
Das Problem ist: Durch massive, propagandistische Fütterung wenig medienaffiner Menschen in Sozialen netzwerken hat sich längst eine alternative Realität geformt, in der Deutschland kurz vor dem Untergang steht.
Man erreicht diese Menschen nicht. Sie ziehen sich in ihren Zirkel zurück und finden dort wieder Bestätigung.
"Markwardt mal wieder mit einem ihm eigenen Weitblick,..." Der Artikel hat durchaus einiges für sich, bleibt aber leider recht eindimensional. Man hätte genauso bei der nur kurz angesprochenen Klimawelle bleiben können und den, den Deutschen ganz eigenen, heiligen Zorn analysieren können, der ja ganz offensichtlich destruktiv wirken muss, wenn er etwas bewirken soll, und aus Ängsten gespeist, schon totalitäre Züge annimmt. Aber war dann wohl nicht selbstreferentiell genug.
"Dabei bleibt jedoch die Frage, was passiert, wenn destruktives Verhalten in proaktives Handeln umschlägt und Rechtspopulisten anfangen, selber zu gestalten:..."
Na, bisher hat es ja gereicht, wenn Rechtspopulisten einfach nur da sind und andere Parteien vor sich hertreiben und zum Handeln zwingen.
" Was, wenn es immer mehr Klimaleugner und unseriöse Nachrichtenmagazine geben wird"
Was halt immer eine Bewertungs- und Prioritätenfrage ist. Schauen Sie sich, apropos Blase, mal in der Welt um, wen der in Westeuropa so "befürchtete" Klimawandel überhaupt interessiert und ob Westeuropa da überhaupt irgendwie relevant ist.
Leider haben Sie da vollkommen Recht.
Trotzdem habe ich die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass sich das wieder ändert. Bekanntlich stirbt sie ja zuletzt. ;-)
So viel Text für ein verzweifelten Derailing
"Ich HOFFE inständig, dass sich Ihre These langfristig nicht bewahrheiten wird!"
Nur dem Verständnis halber: Ich gehe nicht von einer "Machtergreifung" aus oder von einem in der Breite erfolgenden Revolutionsversuch oder dergleichen. Dafür ist Deutschland politisch einfach zu stabil.
Aber ich bin mir sicher, dass rechtsextremer Terror uns noch lange beschäftigen wird, ebenso wie spontan erfolgende rechtsextreme Gewalttaten nicht einfach aufhören werden.
Macht mir das Angst? Nein, Angst habe ich, wenn ich mich konkret in einer Gefahrensituation befinde. Ich habe kein Interesse daran, mich "abstrakt bedroht" zu fühlen, ich bin kein Freund der Art und Weise, wie Terror in den letzten 20 Jahren thematisiert und instrumentalisiert wurde. Ich bin bspw. extrem skeptisch, wenn Innenminister jetzt Dinge wie die VDS wieder aus der Mottenkiste holen. Aber ich sehe diese Form von Terror als ein zu lösendes Problem, dem man kühl abwägend und natürlich mit der nötigen Entschlossenheit gegenübertreten muss und das wird nicht einfach werden.
Der ganze Artikel ist ein einziges Derailing.
Ihrem Ansatz mit rechtsextremem Terror umzugehen stimme ich zu 100% zu. auch ich sehe diese Gefahr.
Aber was die "Machtergreifung" extrem rechter Politik in D betrifft, kann ich leider Ihren Optimismus nicht teilen. Der schnelle Aufstieg der "A"fD in mehreren Bundesländern zur 2.-stärksten Partei, ihr schneller Einzug in den Bundestag mit nicht unerheblicher Fraktionsstärke und die vielen Betonköpfe, die ihr zujubeln bereiten mir schon Sorge. Hinzu kommt noch, dass diese Partei auch dadurch gestärkt wird, dass sehr rechte Themen in CSU u. co. bereits (wieder) angekommen sind und ernsthaft diskutiert werden. Das gibt den Braunblauen mit den "einfachen Lösungen" eine Bedeutung, die sie nicht verdienen.
Das perfide an der Sache ist, dass sich der Politische Diskurs und der rauere Umgangston bereits in der ganzen Gesellschaft durchsetzt, das merkt man auch hier im Forum. Durch ihre unsäglichen Provokationen geht die "A"fD auf Stimmenfang, macht aber gleichzeitig eine politisch konstruktive Auseinandersetzung unmöglich.
Dass die Demokratie in einem Land durch dieses destruktive Denken und Handeln aufgeweicht werden kann, sehen wir in den Ländern, die bereits populistige Parteien in der Regierung haben (hatten) oder gar die Regierung führ(t)en.
Das macht mir schon auch Angst.