Am Anfang allen Nachdenkens über die Dinge steht die Differenzierung – von Mensch und Umwelt, Geist und Seele, SPD und CDU. Ohne Differenz gibt es nur Identität. Gott behüte!
In diesem Sinne ist das Streben nach semantischer Klarheit im Umgang mit der AfD theoretisch ein hohes Gut. Dass vor und nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg präzise erörtert wurde, dass der eine AfD-Spitzenkandidat ein Mann mit dubioser Vergangenheit im Umfeld von Neonazis ist, der andere ein völkischer Nationalist, dem laut Verfassungsschutz die (ethnische) Homogenität des Volkskörpers heilig ist, kann darüber hinaus auch taktisch wertgeschätzt werden. Die Abnutzung von Begriffen ist ja schließlich real, und wenn jeder Rechte ein Nazi sein soll, verliert das Wort irgendwann ebenso seine abschreckende wie qualifizierende Wirkung: Ein Nazi ist, wer dem Gedankengut der NSDAP anhängt.
Die Frage ist nur, ob die
Differenzierung in diesem Fall wirklich zur Klarheit beiträgt, oder nicht zum
genauen Gegenteil. Immerhin kann die Betonung des Nicht-Nazitums anderer
menschenfeindlicher Rechter auch dahingehend missverstanden werden, dass deren
Denken weniger gefährlich wäre als der echte
Nazi mit Hakenkreuzfahne über dem Sofa, Antisemitismus im Kopf und
Hitler-Apologetik auf der Zunge. Unter den gegebenen Bedingungen – NPD marginalisiert, AfD auf dem Weg
nach oben – ist aber genau das zweifelhaft.
Ein Begriff, vor dessen Nichtgebrauch in diesem Zusammenhang dringend gewarnt werden muss, ist der des Rassismus. Denn auch wenn natürlich nicht alle AfD-Politikerinnen und -Wähler Nazis sind (Fun Fact: Einige sind dafür auch einfach zu extreme Wirtschaftsliberale): Rassismus ist dort, wo systematisch die Gleichheit von Menschen infrage gestellt wird, schon lange gegeben.
Wo von Menschen nicht deutscher Herkunft
implizit und durchaus auch explizit Dankbarkeit
und besondere Zurückhaltung im Auftreten gefordert werden, herrscht
Rassismus. Wo die Mitglieder einer als irgendwie undeutsch konnotierten
Glaubensgemeinschaft als Anhänger einer totalitären Ideologie diffamiert
werden, liegt Rassismus zugrunde. Wo der andere kulturelle Hintergrund von Menschen nie als Teil einer Lösung beschrieben wird, sondern lediglich als Teil eines Problems, das sich nur durch Assimilation bewältigen lässt, bestimmt Rassismus das Denken. Wo all diese Haltungen von
Plakaten schreien, derweil in den Salons und Fernsehstudios höfliche Anzugträger darauf bestehen,
dass sie ja nicht so schreien wie ihre Plakate, hat der Rassismus schon viel zu viel Öffentlichkeit.
Hier ist der Boden, auf dem die Saat von faschistischen Revolutionären wie Götz Kubitschek aufgehen kann. Apropos faschistischer Revolutionär: Wer starke Nerven hat (und nicht dem Glauben unterliegt, dass jedes Zitieren den "Gegner" stärker macht), lese bitte, mit welch schamloser Kälte Kubitschek zuletzt aufschrieb, wie sich die Mittel der Demokratie nun, nach den beiden Landtagswahlen in Ostdeutschland, am besten gegen ihren Zweck richten ließen. Und überlege sich dann, wie viel demokratischen Respekt all jene verdienen, die sich von einem solchen, sattsam bekannten Mann im Rücken des erstarkenden "Flügels" der AfD nicht abschrecken lassen.
Soll man nun aber, vor diesem Hintergrund, pauschal und differenzlos nicht mehr mit Rechten reden? Ausgerechnet jetzt, wo doch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer so – na ja – erfolgreich damit war? Vielleicht muss man sogar mit ihnen reden, stellvertretend für all jene, die von ihnen nicht als gleichrangige Gesprächspartner akzeptiert werden. Aber so, wie man mit einem Leugner des Klimawandels keinen Kompromiss auslotet, tut man es auch nicht mit Menschenfeinden. Dieses Reden kann nur ein Akt der Solidarität mit denen sein, die sich von diesen Menschenfeinden bedroht fühlen. Und als solches kann es in die Richtung derer, deren Lebenshaltung eine Bedrohung darstellt, nicht ansatzweise verständnisvoll sein. Man muss verdammen, was sie sagen dürfen. Agree to disagree ist hier, demokratisch, nicht drin.
Kommentare
Schwierig.
Es geht wahrscheinlich letztlich um einen Spagat in der Haltung:
Reden muss man mit allen, die reden (und auch zuhören!) wollen - gleichzeitig aber muss man auf bestimmten Werten bestehen.
Nur: die pauschale Absage an Rassismus in jeder Form reicht schlicht nicht aus, konstruktive Gespräche über Lagergrenzen hinweg zu führen.
Gleichwohl hat „Verständnis“ immer eine Grenze, und Verständnis verdienen eben nicht nur die AfDler, sondern auch und nicht zuletzt die Opfer des Hasses, der von ihr gesät wird.
Das Paradoxe ist ja: Man begründet die Stärke der AfD im Osten auch damit, dass der Osten nach der Wende gezwungen war, alles Ostdeutsche abzulegen. Alles an der DDR, kulturelle, gesellschaftliche, strukturelle Gegebenheiten sollten abgelegt werden, damit man ganz und gar sich dem westdeutschen Duktus verschrieb. Heute weiß man, dass das nicht klug war und der "Ossi" sich in seiner Identität abgelehnt fühlt. Gleichzeitig fordert der aber genau das, das Ablegen alles Nicht-Deutschen, von jedem Flüchtling/ Migrant/ etc..
Man sollte meinen, der "Ossi" wisse es besser.
Naja, es ist ja nicht so, daß die Ostdeutschen da irgendwie überrollt wurden, bevor sie überhaupt wußten, wie ihnen geschah. Die Währungsunion und die Wiedervereinigung konnten den meisten doch gar nicht schnell genug gehen. Die wenigen mahnenden Stimmen wurden konsequent überhört, war doch endlich der Kabelanschluß in Reichweite. Die Ossis wollten doch so sein wie die Wessis.
Zwar konnte der Otto Normalossi die Folgen ebenso wenig absehen wie der Otto Normalwessi, aber die Opferrolle steht ihnen nicht zu.
Leider ist es mit dem Herumsprechen nicht mehr getan, die Büchse der Pandora ist offen, und wie mit dem Klimawandel, stehen die etablierten Parteien vor der AfD wie das Kaninchen vor der Schlange. Zumal, wir erinnern uns noch, auch die CDU/CSU nicht zimperlich in ihrer Wortwahl war, wenn es um Geflüchtete ging. Gegen die AfD ist sie mit Gesetzeverschärfungen gegen Flucht vorgegangen, anstatt die Diskurs der offenen Gesellschaft, der Aufnahmebereitschaft der Vielen zum Thema zu machen und ihn zu unterstützen. Jetzt ist der vergiftete Brunnen so tief, dass keiner mehr weiß wie man da rauskommt. Und wenn Herr Schäuble sagt, die Lebensverhältnisse in der Lausitz müssen mit 17 Milliarden nur besser werden, dann ist der Spuk vorbei. Das ist er nicht, hier geht es um Macht, um Menschenverachtung und um das Aushebeln der Zivilgesellschaft mit ihren großen, auch empathischen, Errungenschaften. Darüber hilft reden gar nicht weiter. Aber Nazis endlich als Nazis zu bezeichnen bzw. als Faschisten wäre schon, auch im Kontext der ÖR und Journalisten ein erster Schritt, die Bedrohungen der Wirklichkeit nicht weiter zuzukleistern bzw. schön zu reden.
„Wo von Menschen nicht-deutscher Herkunft implizit und durchaus auch explizit Dankbarkeit und besondere Zurückhaltung im Auftreten gefordert werden, herrscht Rassismus.“
Wenn von deutschen implizit und durchaus auch explizit Dankbarkeit und besondere Zurückhaltung im Auftreten Flüchtlingen gefordert wird, ist das auch Rassismus?
Wenn ich in ein fremdes Land als Gast oder zum arbeiten Fahre, bin ich auch zurückhaltend und dankbar, warum ist das Rassismus wenn ich dies in meinem Heimat Land erbitte?
"Wenn ich in ein fremdes Land als Gast oder zum arbeiten Fahre, bin ich auch zurückhaltend und dankbar, warum ist das Rassismus wenn ich dies in meinem Heimat Land erbitte?"
Warum sind Sie dankbar, wenn Sie in einem anderen Land als Gast sind? Wofür denn dankbar? Daß Sie da sein dürfen? Brauchen Sie nicht, keine Sorge, in den meisten Menschen sind Deutsche als Umsatzbringer gern gesehen. Die erwarten keine Dankbarkeit. Eher Zurückhaltung, fragen Sie mal die Mallorquiner ;-)
Aber natürlich ist mir aufgefallen, daß Sie hier wohlweislich von "zu Gast sein" und "zum Arbeiten hinfahren" geschrieben haben. Kein Wort darüber, daß es auch und vor allem um Menschen geht, die in Deutschland leben. Die ein Recht darauf haben, hier zu sein. Die als Bürger hier sind, als Teil der Gesellschaft. Und von denen erwarte ich weder, daß sie dankbar sind noch daß sie zurückhaltender sein sollten als die Deutschen. Ich maße mir auch nicht an, zu entscheiden, wie sich Menschen in "meinem" Heimatland zu verhalten haben. Tatsächlich ist es ja auch gar nicht meins. Ihres übrigens auch nicht. Wenn sich alle an die Gesetze und an die üblichen Regeln des Anstands halten (fragen Sie im Zweifel Ihre Mutter), dann paßt das.
Hm, der Gedanke ist imho im Ansatz richtig, gibt aber keine Antwort auf die Frage, warum viele "Migrationsskeptiker" einerseits Zurückhaltung und Assimilation einfordern, dann aber mit der Strichliste an der Straße stehen, wenn gemäßigte Muslime gegen muslimischen Terror demonstrieren - jede Teilnehmerzahl als Beleg für mangelnde Distanzierung von Terrorakten interpretierend.
"Wenn sich alle an die Gesetze und an die üblichen Regeln des Anstands halten (fragen Sie im Zweifel Ihre Mutter), dann paßt das"
Aber genau das ist das Problem, weil aufgrund einer anderen Sozialisation diese "üblichen Regeln des Anstands" eben ganz anders verstanden werden.
Halten Sie sich doch einfach mal für längere Zeit im Nahen Osten auf, dann werden auch Sie verstehen, dass man diese unterschiedliche Sozialisation nicht einfach mal austauschen kann.
Deutschland ist meine Heimat ob ich es will oder nicht, da ich hier geboren bin, natürlich gehört es mir nicht. Dankbar kann ich sehr wohl als Gast sein, wenn ich gastfreundlich aufgenommen werde, wenn ich arbeite, weil ich dort Arbeit bekommen habe. Sie werden es nicht für möglich halten aber ich habe bald 10 Jahre arbeitend im Ausland verbracht und auch dort bin ich als Ausländer beleidigt worden.
Zurückhalten ist auch eher so gemeint, dass sich alle an recht und Ordnung halten.
Warum sie am Ende persönlich gegen meine Mutter vorgehen, wissen Sie sicherlich nur selbst.
Eine sehr unterschiedliche Sozialisation zu Ihrer eigenen werden Sie aber auch von Ihrer Schulzeit bei Mitschülern an durchs weitere Leben auch bei Deutschen kennengelernt haben, oder?
Rassismus und Hass gelten übrigens außerhalb ganz spezifischer Milieus in Deutschland als unanständig.
Bonu… wenn das Wort „Heimat” bzw. „Heimatland” auch nur irgendeine Bedeutung haben soll – wie kann es denn nicht sein Heimatland sein? Dann ist Ihr zu Hause ja auch gar nicht Ihr zu Hause, und Ihre Wohnung ist überhaupt gar nicht Ihre.
@kowosch: Selbstverständlich gibt es unterschiedlichste Sozialisierungen. Vielleicht haben Sie mal von Clustering aus der Informatik gehört, oder von Lern-Algorithmen neuronaler Netze. Dort gibt es sehr verschiedene Inputs, mit verschiedenen Merkmalen, welche dennoch einige Kerneigenschaften teilen.
So gibt es sehr viele verschiedene Grün-Töne, von hell bis dunkel. Das sind die unterschiedlichen Sozialisierungen von beispielsweise Europäern. Doch worum es dem Vorredner gerbri möglicherweise ging sind die Rot-Töne.