Es ist ein bisschen schräg, dass ein wegen Sprengstoffbesitzes verurteilter bayerischer Pegidist und vier Gleichgesinnte gerade zur Zeit des Münchner Oktoberfestes, vorgeblich gegen den Verkauf von Drogen protestieren möchten – in einem von ihnen weit entfernten Görlitzer Park in Berlin. Aber der "Görli" ist eben zum nationalen Symbol geworden, das sich leicht instrumentalisieren lässt: Ein rechtsfreier Raum sei er, eingenommen von afrikanischen Männern, Berlins Drogenumschlagplatz Nummer eins. Ob das wirklich stimmt, scheint einigen Medien, Politikern und Politikerinnen, Nachbarn und Nachbarinnen, die seit Jahren die Geschichte vom Görli als Angstraum erzählen, nicht so wichtig zu sein. Das passt den Rechtsradikalen sehr gut.
Im Görli kann Ressentiment besser Wurzeln schlagen als das meist braune Gras dort, weil die sogenannte Mitte munter gießt: Als die Bezirksbürgermeisterin Kreuzbergs Monika Herrmann (Die Grünen) kürzlich in einem Interview sagte, sie traue sich nachts nicht in diesen Park, wurde das sehr schnell zur Kapitulation, zur Angst vor den Dealern umgedeutet. Die CDU forderte verklausuliert ihren Rücktritt, Konservative bis Liberale reagierten im Netz mit Häme. Dass Frauen in fast jedem Park in Deutschland in der Nacht Angst haben können, kam in dieser Diskussion nicht vor. Als Berliners Bürgermeister Michael Müller in einer Talkshow vom Kinderbauernhof im Park erzählte, wurde er belächelt. Aus Tübingen kam Boris Palmer vorbei und spazierte durch den Park, um mal zu gucken, ob er einen Grund findet, wieder mal einen fremdenfeindlichen Facebookpost zu schreiben. Und ständig werden besorgte Eltern interviewt, die ihre Kinder ungern in den Görli lassen, weil dort viele Dealer sind. Die AfD nimmt das gern auf. Die Spielplätze sind trotzdem voller Kinder.
Warum auch
nicht? Als Anwohnerin, als Mutter, deren Kind einmal die Woche im Görli zum
Fußballtraining geht, verwundert mich die Präsenz der Debatte um den Park doch
sehr. Nicht einmal wurde ich in Begleitung meines Kindes gefragt, ob ich Drogen
kaufen möchte. Beklagt wird oft, dass Parkbesucher angesprochen würden, aber
das ist ja auf dem Hamburger Fischmarkt nicht anders. Und ist es wirklich
gefährlich, wenn Kleinkinder in der Nähe sind, wenn jemand Marihuana oder MDMA
kauft? Sind die Süßigkeitenregale an den Kassen von Supermärkten nicht eine
größere Herausforderung für Eltern? Und es ist jetzt auch
nicht so, dass die Gefahren für Drogenkonsumenten im Fokus der zahlreichen Kritiker und Kritikerinnen stehen. Deren Problem
sind offenbar Menschen mit dunkler Hautfarbe, die geballt auftreten, laut
sprechen oder Bänke besetzen.
Der Innensenator verkündete, mehr Dealer abzuschieben
Nicht nur Rechtsradikale blasen den Park mittlerweile zum rechtsfreien Raum auf. Dabei tut der Rechtsstaat, was er nach Gesetzeslage kann: Kontrollen, Festnahmen, täglich. Von Januar bis einschließlich 9. September 2019 gab es laut Berliner Zeitung bereits 264 Einsätze im Park. Es gibt einen Wachschutz und einen Parkrat, der mit Dealern und Anwohnern im Kontakt ist. Der Innensenator Berlins verkündete nun, mehr Dealer abschieben zu wollen. Allerdings gibt es illegalen Handel mit Drogen, solange Menschen illegale Drogen konsumieren.
Und ja, es gibt Kriminalität im Görlitzer Park. Als Anwohner sieht man öfter, wie sich Dealer streiten, schreien, schubsen. Eine Gefahr für Vorbeiradelnde ist das kaum. Kenner des Parks sagen, dass die Gewaltdelikte oft unter den konkurrierenden Händlern stattfinden. Jede Körperverletzung ist natürlich eine zu viel. Doch die überregionale Aufmerksamkeit steht nicht im Verhältnis zu den tatsächlichen Gefahren. Die Berliner Kriminalitätsstatistik des ersten Halbjahres 2019 zeigt, dass der Görli gar nicht der öffentliche Raum mit den meisten Drogendelikten ist, rund um die Warschauer Brücke sind es mehr, am Kottbusser Tor werden fast dreimal so viele Handtaschen geklaut und am Alexanderplatz mehr als doppelt so viele Körperverletzungen verzeichnet.
Doch gemessen an den Tweets und Fernsehbeiträgen wird der Görlitzer Park als größeres Problem wahrgenommen, weil nirgendwo sonst in Berlin so viele Menschen mit dunkler Hautfarbe auf einmal sichtbar sind. Als störend wird es bereits empfunden, so entnimmt man Interviews, wenn sie Blickkontakt aufnehmen.
Und deswegen kommt ein Pegidist aus Bayern und führt eine peinliche Performance auf, aber das ist dann gar nicht mehr nur schräg, wenn man sich ansieht, wohin das alles führen kann: Ein anderer Pegidist etwa ist Nino K., war mal Redner bei einer Pegida-Demonstration, völlig aufgepeitscht schrie er 2015 in ein Mikrofon etwas von "faulen Afrikanern" und bekam Jubel. Er radikalisierte sich weiter und versuchte ein Jahr später mit einer Bombe Menschen vor einer Moschee in Dresden umzubringen. Auch im Görlitzer Park wächst dieser Hass.
Kommentare
"Dass Frauen in fast jedem Park in Deutschland in der Nacht Angst haben können, kam in dieser Diskussion nicht vor. "
In unserem Dorf in Süddeutschland, können Frauen ( und auch Männer) selbst in der Nacht ohne Bedenken durch den ganzen Ort laufen, selbst dann, wenn die Straßenlampen bereits aus sind.
Schade, dass dies in vielen Orten nicht mehr geht und noch bedenklicher, dass man sich anscheinend in Berlin damit arrangiert hat.
Ich find es schlimmer, dass teilweise Zustände herbeigeredet werden wollen, die nicht der Realität entsprechen. Um Angst, Furcht und Misstrauen zu schüren.
Von Menschen, die durch Radikalität, Gewalt und einer Missachtung von demokratischen und meines Erachtens moralischen Werten in Erscheinung treten.
Zwiespalt und Spaltung und Feindbilder haben noch nie zu Lösungen geführt.
Viele Menschen haben Ängste und Befürchtungen - in einer schnelllebigen Zeit.
Viele Ängste und Befürchtungen sind aber auch nur geschürt und sollen das Positive verhindern.
Das was Berlin resp. Kreuzberg als tolerante und weltoffene Haltung verkauft wird ist in Wirklichkeit nur eine Mischung aus Gleichgültigkeit, Ignoranz und Angst vor der eigenen Courage. Am Görlitzer Park versteht man unter Milieuschutzgebiet eben etwas völlig anderes. Wenn selbst ein Kreuzberger Baustadtrat befürchtet der nicht allzuweit entfernte abgetakelte Hermannplatz könne durch Konsum-Neubauten attraktiver werden dann ahnt man das sich in diesem Stadtteil eine besonders alternative Art von Spießigkeit breit gemacht hat. In dieser Blase ist nur eines strafbar - Normalität.
Wenn ich Rechtsradikal, Vorstrafe wegen Sprengstoffes und Oktoberfest lese mache ich mir mehr Sorgen als bei jedem Gedanken an Drogendealer.
Diese sind ein durchaus unangenehmes, belästigendes und zu oft verharmlostes Thema.
Aber wenn Gewalttäter vor Gewalt, kriminelle Flüchtlinge vor kriminellen Flüchtlingen und Lügner vor Lügen warnen, drehen sich einem Magen wie Hirn um.