Was sollte eine Partei tun, die komplett am Ende mit ihrem
Latein ist? Was wäre dringend zu erledigen, wenn sie zunehmend an Wählerzustimmung
verliert und es an Lösungsvorschlägen für die vorhandene Problemlage mangelt?
Richtig. Entweder sollte sie einen monatelangen Castingprozess für den Parteivorsitz
einleiten. Oder aber einen Newsroom einrichten. Also eine Art
Nachrichtenagentur, aber nicht so eine, wie man sie von der Zeitung oder einem
Fernsehsender kennt, sondern ein Zwischending zwischen Parteizeitung, Schwarzem
Brett und Mitgliederrundbrief.
Die SPD hat das in diesem Frühjahr gemacht. Sie hat einen sogenannten Newsroom eingerichtet und dafür eine ehemalige Journalistin angeworben,
deren Zuständigkeit es ist, die digitalen Kanäle der SPD mit politischen Themen
zu füllen und für einen zeitgemäßen Auftritt zu sorgen, der sagen soll: Wir wissen
Bescheid, wir haben die Sache im Griff, wir sind sexy, hot and loud. Katarina Barley twitterte zum Einstand des Newsrooms und der neuen Digitalexpertin: "So
happy". Karl Lauterbach: "Willkommen in der Familie", und die Ex-Kollegen
schickten der ehemaligen Kollegin ein freundlich gemeintes "Viel Glück!". Die
Branchenblätter berichteten ebenfalls. Alles also superduper exciting, thrilling,
undsoweitering. Das war im April. Also gut, dann hören wir mal kurz in die Newszentrale
rein:
Heute wird das Forum
Willy Brandt #Berlin in der Behrenstraße 15 nach sechs Monaten wieder eröffnet.
Der Parteivorstand kam
auch zur Herbstklausur zusammen und hat mit Blick auf den #SPDBPT im Dezember
wichtige Weichenstellungen in Richtung programmatische Erneuerung vorgenommen.
Schön, dass du da
bist! #unsereSPD
Noch aufsehenerregender als die Nachrichten sind die
Bildchen, die folgen: Herzchen, Feuerwehrauto, Sonnenschirm. Rund um die Uhr
macht es pling, pling, pling, und es
kommen Nachrichten aus dem Nachrichtenraum, die keinerlei Nachrichtenwert
haben. Die SPD nennt ihren Newsroom inzwischen nicht mehr Newsroom, sondern "Digitale Plattform".
Was heißt denn "zielgruppengerecht"?
An genau dieser Stelle hatte man sich einst über Ralf Stegners ("Guten Morgen aus Bordelsholm") Twitterei lustig gemacht. Das war aber vor der Newsroom-Ära! Deshalb die viel zu späte, aber aufrichtige Bitte um Entschuldigung. Was Stegner auf seinem Account leistet, muss als gesammeltes Werk zuerst bei Reclam erscheinen und später im Literaturarchiv Marbach landen. Seine Kommentare lesen sich brokkolionenmal relevanter und geistreicher, als die mit Hütchen und Helmchen dekorierten Tweets, die rein ästhetisch aussehen, als lade die SPD zum Kindergeburtstag in einen dieser McDonald's-Schulbusse ein.
Man hatte das mit dem SPD-Newsroom sowieso schon vergessen,
als nun diese Woche bekannt wurde, dass die CDU das jetzt auch plant. Der Generalsekretär
Paul Ziemiak will in der Parteizentrale einen Newsroom einrichten. Aber nicht irgendeinen, sondern mit
eingebautem "Krisenradar". Die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass es dazu ein
54-seitiges Konzept ("Neu.Start") gibt, das bislang leider nur ihr vorliegt,
aber sie zitiert daraus. Darin geht es unter anderem um die Aufarbeitung des
Rezo-Videos, wonach die CDU in ihrer Reaktionsfähigkeit darauf zu langsam, zu dialogunfähig und "nicht zielgruppengerecht" gewesen war.
"Zielgruppengerecht" als Terminus lässt
schon wieder auf einen dieser zahlreichen Dienstleister schließen, die jetzt
überall in die Timeline schießen und Einfluss im Netz versprechen. In
diesem Frühjahr gab es zwei wichtige Konferenzen. Eine organisiert von der VDZ-Akademie
("Digital Bootcamp: In drei Tagen zum Profi für den digitalen Wandel"). Der Gastgeber der anderen Konferenz war der BDI ("#whicheurope", zur
Eröffnung sprach übrigens Philipp Amthor!). Das Ziel der Dienstleister und der
Konferenzen ist es, die digitale Kompetenz der Teilnehmer zu optimieren. In der
Fachsprache hat sich dafür der Begriff Digital
Bootcamp etabliert.
Kommentare
Ihre Kolumne ist wie immer sehr lesenswert. Danke!
Was Rezo angeht... Es ist schon befremdlich, dass SPD & CDU nicht in der Lage sind, darauf sachliche Antworten zu liefern.
Nebenbei... Auch viele Redaktionen könn(t)en etwas aus diesem Video lernen.
MfG
"Nebenbei... Auch viele Redaktionen könn(t)en etwas aus diesem Video lernen."
Zum Beispiel?
"Wir wissen Bescheid, wir haben die Sache im Griff, wir sind sexy, hot and loud. Katarina Barley twitterte zum Einstand des Newsrooms und der neuen Digitalexpertin: "So happy". "
Ab dem Tweet hätte man den Newsroom eigentlich gleich wieder dichtmachen können.
News von Parteien interessieren nicht die Bohne und sind zu 99 Prozent nur peinlich. Ebenso wie anschließenden Diskussionen. Habe mich schon längst aus Twitter ausgeklinkt. Zu doof.
Frau Kiyak, Sie haben völlig Recht, die Tweets sind meistens dämlich, Newsrooms eine andere Art von Propaganda und man sollte lieber mit einem ruhigen und bedächtigen Blick ins Parteiprogramm schauen.
Oder noch besser die ganz reale Politik im Hier und Jetzt verfolgen.
Die Professionalisierung der Politik, wie ich sie nenne, macht mir schon länger Sorgen.
In den USA, die hier sehr viel weiter sind als in Deutschland, wird - ausnahmsweise wirklich von beiden Seiten - haargenau definiert, welche Wählergruppen man mit welchen Argumenten und auf welchen Kanälen erreichen kann und auf der Basis dessen dann Wahlkampf betrieben.
Das ist möglich aufgrund der gigantischen Mengen Geld, die involviert sind (hieran sind wie immer, wenn es um die Aushöhlung der Demokratie in USA geht, die Republikaner Schuld).
In Deutschland wird Wahlkampf zum Glück ausschliesslich über öffentliche Gelder finanziert.
Aber wenn Parteien sich selbst Propagandaapparate bauen, wie im Artikel beschrieben, dann verschwimmt die Grenze zum Wahlkampf und den dafür einzusetztenden Ressourcen. Ich sehe das als demokratiezersetzend an, siehe wieder USA. Ich halte es auch nicht für einen Zufall, dass die AfD da an vorderster Front marschiert ....
"Es ist nicht zwingend etwas Schlechtes, wenn Parteien viel Geld in die Hand nehmen, um ihren digitalen Einfluss zu professionalisieren. Es ist aber auch nicht zwingend etwas Gutes."
Die einzige vernünftige Antwort auf dieses zukünftige Wirrwarr: Guter Journalismus.
Jepp, wir sind verloren...