"Es ist wie mit einem Film über die Titanic", sagt die Regisseurin Alison Klayman , nachdem sie zur Documenta-Eröffnung in Kassel ihren Film Never Sorry über den chinesischen Künstler Ai Weiwei gezeigt hat. "Jeder weiß, welches Schicksal droht." Ai Weiweis Werke werden seit Jahren in London , München , Venedig, Sydney, in den besten Ausstellungshallen der Welt gezeigt. In China wird er seit ebenso langer Zeit schikaniert und bedroht. Am 3. April 2011 wurde er schließlich sogar verhaftet und an einem unbekannten Ort eingesperrt. Klaymans Dokumentation endet damit, wie der Künstler nach 81 Tagen in Haft nachts zum ersten Mal wieder sein Atelier betreten darf. Er sieht schmaler aus und leise, beinahe hilflos ob der vielen Journalisten sagt er, was er selbst oft kritisiert: "Sorry" . Er kann jetzt keine Interviews geben.
Für die Dauer eines Jahres wird Ai Weiwei, der niemals zu schweigen schien und täglich mehrere Tweets auf Twitter absetzte , von den Behörden im Anschluss an seine Haft zum Schweigen verpflichtet. Ein Jahr lang darf er, der in China und der ganzen Welt umherreiste, Peking nicht verlassen. So versucht die Regierung, Chinas bedeutendsten Gegenwartskünstler für China unsichtbar zu machen.
Nach Kassel kam deswegen ein Vertrauter Ai Weiweis, um an der Premiere teilzunehmen. Just einen Tag zuvor hatte er mit dem Künstler telefoniert und bestellte Grüße. "Er versucht jetzt, etwas ruhiger zu leben", sagt er.
Kaum etwas kann man sich weniger vorstellen, nachdem man das anderthalbstündige Porträt über diesen Kunstberserker gesehen hat. Transparenz ist das Prinzip seiner Kunst. Er fordert sie vehement von den chinesischen Behörden und macht sie gleichzeitig zu seinem Stilmittel. Jahrelang schrieb er ein tägliches Blog, bis es geschlossen wurde . Seitdem twittert Ai Weiwei. Er baute zwei große Ateliers, in denen er zahllose Assistenten beschäftigt, um seine auch räumlich gewaltigen Werke zu fertigen.
"Wir sind wie Auftragskiller für ihn", beschreibt einer von ihnen im Film seine Arbeit für Ai Weiwei. "Er sagt, was zu erledigen ist, und wir erledigen das für ihn." Zum Beispiel bemalten sie mehr als 100 Millionen Sonnenblumenkerne aus Porzellan. Von Hand. Damit ließ Ai Weiwei im Oktober 2010 den Boden der riesigen Turbinenhalle der Londoner Tate Modern füllen. Man sieht ihn in Klaymans Dokumentation über das Samenmeer gehen und für Fotografen posieren. Einer seiner Assistenten filmt ihn dabei. Und Klayman filmt den Assistenten.
Mehr als zwei Jahre lang begleitete die junge amerikanische Filmemacherin den Künstler. Sie wohnte in einem kleinen Appartement in Peking, arbeitete als Journalistin, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und fuhr beinahe täglich hinaus zu seinem Atelier, um Bilder für ihr Projekt zu sammeln. Manchmal begleitete sie Ai Weiwei auf dessen Reisen durch China, nach Deutschland und England . "Ich war so jung, so unbekannt, so unwichtig für die Behörden, dass ich nahezu ungehindert arbeiten konnte", erzählt sie. 300 Stunden Material hatte sie am Ende. Klayman hat sich – so scheint es – von der Dokumentationswut ihres Objekts anstecken lassen.
Kommentare
Staatsfeind Nr.1 ?
Ais Verhältnis zu den Behörden ist doch sehr gut. Als Architekt fertigte er "Ordos 100". Ein Riesen-Projekt der chinesischen Kommunisten. Durch das Projekt "Ordo", heute eine chinesisch-mongolische Geisterstadt und ein Teil der chinesischen Immobilienblase, wurde Ai sehr vermögend.
Und wie kamen die 1000 Chinesen nach Kassel, die Ai kurz für die Vermehrung seines Ruhms benutzte. Vielleicht ohne Reisevisas?
Ai schaffte es auch in kürzester Zeit von ganz unten nach ganz oben.
Warum taucht keiner von Ais Galeristen in diesem Film, wie etwa Urs Meile, auf. Und wo ist Uli Sigg? Ai Weiwei, der nur im Westen bekannte chinesische Gegenwartskünstler und Dissident, war laut eigenen Angaben kaum künstlerisch tätig, bis er 1995 den einflussreichen Uli Sigg, in Peking kennenlernte: http://www.nzz.ch/aktuell...
Alison Klayman (USA) beschreibt mit der von aussen gesehenen und "moralisch empörenden" Dokumentation einmal mehr den westlichen Blick auf China. Interessant wäre ein Film über die Verhältnisse von Kunst und Politik im heutigen China, aber der brächte Ai kein Geld in seine Kasse.
Na, da isser ja, der Artikel, nach dem ich gesucht hatte.
Über den Film, der seit Wochen auf der ZEIT Online Homepage beworben wird, an prominenter Stelle, oben rechts, mit dem Foto eines Stinkefingers, der gegen das Mao-Portrait über dem Eingang zum Gu Gong gestreckt wird.
Ich denke mal, daß diese Werbung beim normalen Chinesen nicht unbedingt freundlich aufgenommen wird.
Um das mal vorsichtig auszudrücken.
Stop, ein' hab ich noch, wurde beim Rüberkopieren vergessen:
Glücklicherweise werden wohl wenige "normale" Chinesen das sehen, das Interesse an einer deutsche Website, noch dazu mit vorwiegend politischem Inhalt und weniger leicht bekleideten Mädels, hält sich hier in Grenzen.
So, der mußte da noch dran.
Damit zu Ai Weiwei.
OK, da hat nun eine junge westliche Filmemacherin ein Portrait dieses "bedeutenden" chinesischen Künstlers präsentiert.
Ais Bekanntheits- und insbesondere auch Beliebtheitgrad hält sich hier in China in überschaubaren Grenzen.
Warum also ist Ai im Westen so bekannt und so angesehen?
Ich stelle jetzt mal die gewagte Hypthese auf, daß der Grund wohl am ehesten darin zu suchen ist, daß Ai sich mit vielerlei spektakulären Aktionen zum Vorzeigedissidenten hochgearbeitet hat.
Ein Künstler, der so virtouos auf der Klaviatur der Provokation spielt, und das gegen ein eh schon heftig suspektes Regime wie das in Peking, den muß man mögen.
Die Aktion, mit der sich dieser Künstler aus meiner Liste der von mir geachteten Personen entfernt hat, waren die toten Kinder in Szechuan.
Es drehte sich dabei ursprünglich beileibe nicht um "den unglaublichen Pfusch", für den chinesische Behörden beim Bau öffentlicher Gebäude verantwortlich sind.
Anfangs beschuldigte er lokale Funktionäre, Zement, der für den Bau der Schulen vorgesehen war, privat verscherbelt zu haben.
Dieser Vorwurf wurde dann auf tolerierten Pfusch umgebogen, da mußte man sich keine keine Gedanken um Beweise und ähnliche Unannehmlichkeiten machen.
Und nun werden die Namen der zu Tode gekommenen Kinder für zahlreiche "künstlerische" Installationen Ais mißbraucht.
Und dafür verachte ich ihn.
Besser totschweigen?
Es ist eine Unterstellung, aber ich frage trotzdem: Meinen sie das dieser "tolerierter Pfusch" besser totgeschwiegen haette werden sollen?
Wenn es offensichtliche keinen Schutz und keine Kontrolle gegen derartige Verbrechen gibt (oder sehen sie hier keinen Handlungsbedarf?), sollen also Menschen, die zumindestens im Ausland eine gewisse Popularitaet besitzen, schweigen, nur um ihren Vorwurf zu entkraeften die Katastrophe zu missbrauchen?
Diese Zeilen:
"Ai Weiwei, der nur im Westen bekannte chinesische Gegenwartskünstler und Dissident"
und
"Ais Bekanntheits- und insbesondere auch Beliebtheitgrad hält sich hier in China in überschaubaren Grenzen."
entsprechen ja denn Richtlinien der Partei....