Der 16-jährige Oliver Aldort spielt hinreißend Klavier und ist sehr selbstbewusst. Jeden Morgen, sagt er, sei er als Kind voller Euphorie aus dem Bett gesprungen. Denn es gab immer ein Projekt, an dem sein Herz gerade hing – und natürlich seine Brüder, mit denen er spielen konnte, wann immer er wollte. Oliver ist nie zur Schule gegangen.
Die Filmemacherin Clara Bellar ist für ihren Dokumentarfilm Being and Becoming durch die USA und Europa gereist und hat überall brillante Kinder getroffen, die dem System Schule entgangen sind. Deren Eltern bewegen sich in ganz unterschiedlichen Traditionen und Szenen: esoterisch angehauchte Aussteiger, Professoren, Künstler, Bildungsbürger, reiche Leute, nicht so reiche Leute. Sie alle eint aber, dass sie reflektiert und eloquent vor der Kamera sprechen. Die Familien sitzen in Blumenwiesen oder kreativ gestalteten Gärten, basteln an Kunstwerken, spielen Klavier, spazieren am Strand, backen gemeinsam Pizza.
Eltern und Kinder haben überzeugende Argumente dafür, warum ein Kind ohne Lehrplanvorgaben lernen soll, nach seinen eigenen Impulsen lernen. Sie wollen ihre Kinder nicht einfach zu Hause unterrichten (Homeschooling), sondern nennen ihre Methode Unschooling – selbstbestimmtes Lernen, manchmal heißt es auch autonomes, natürliches oder organisches Lernen.
Olivers Mutter, Naomi Aldort, die Erziehungsratgeber schreibt, sagt, Mozart sei schließlich auch nicht zur Schule gegangen. Manche Kinder lernen, indem sie viele Dinge parallel verfolgen. Kinder lernen, wenn sie Zeit haben zum Tagträumen und Spielen. Viele (wie Wolfgang Amadeus und Oliver) befassen sich tagelang leidenschaftlich und ausschließlich mit einer Sache. In dieser Phase haben sie keine Zeit für andere Dinge. Gehen sie zur Schule – 45 Minuten Mathe und 45 Minuten Englisch – geht ihre Kreativität verloren, davon ist Aldort überzeugt.
Aber was ist, wenn die Kinder keine Musikgenies sind? Was ist mit Lesen, Rechnen und Fremdsprachen? Die erwachsene Tochter des Pariser Kunstpädagogen Arno Stern erzählt, sie wollte als Fünfjährige gerne Hebamme werden. Wie man das wird, stand in einem Buch. Innerhalb von wenigen Tagen konnte sie lesen, sagt sie, denn jetzt war es ihr wichtig geworden. Ihr Bruder sagt, er habe wochenlang nichts anderes getan, als Deutsch zu lernen. Als er es konnte, kam das nächste Projekt dran. Andere Jugendliche, die nie zur Schule gegangen sind, dann aber doch eine Abiturprüfung ablegen wollten, um zu studieren, beteuern, auch das sei kein Problem gewesen. Mathe und Chemie konnten sie sich schnell aneignen, weil sie wussten, wofür sie lernten – und vor allem: wie man lernt.
Es ist wahr, dass Kinder in der Schule oft nur das lernen, was für die nächste Klassenarbeit gefragt ist, und den Stoff dann sofort vergessen. Sie vergessen manchmal sogar, dass Lernen Spaß macht, und wissen mehr von ihren Defiziten als von ihren Talenten. Kinder lernen schneller und nachhaltiger, wenn sie es von sich aus tun und wenn sie ausprobieren, was sie lernen, statt es nur vorgetragen zu bekommen.
Kommentare
Headline: Für immer Ferien
Diese Headline macht klar, dass die Autorin >unschooling< nicht verstanden hat, nämlich dass diese Kinder GAR KEINE Ferien benötigen, da sie permanent der eigenen Neugierde folgend lernen und gefördert werden.
Ich empfehle den Film "Alphabeth" von Erwin Wagenhofer, in dem leicht nachvollziehbar wird: "98% der Kinder kommen hochbegabt zur Welt. Nach der Schule sind es nur noch 2%".
>>Längst versuchen Lehrer, den individuellen Eigenheiten, Talenten und Lerngeschwindigkeiten einzelner Kinder besser gerecht zu werden als früher.<<
In einem von PISA überschatteten, statistischem Wettbewerb ausgelieferten System, können individ. Notwendigkeiten und Neigungen niemals adäquate Berücksichtigung finden!
>>Aber vor einem Missbrauch durch die eigenen Eltern wäre im Einzelfall ohne Schulpflicht eben kein Kind geschützt.<<
Ich finde es bezeichnend, bei Ideen/Strukturen, die Freiheit od Freiwilligkeit als Handlungsmotiv unterstützen oder gar voraussetzen, sofort den Missbrauchsgedanken aufzuwerfen.
Gleichzeitig/zusätzlich wird ausgeblendet, wieviel Missbrauch per Schulpflicht nicht nur möglich ist, sondern schon immer in Kauf genommene Realität ist (zB Stigmatisierung als Störer, Sympathie/Antipathie usf) !!
Aufgrund der aktuell wirtschaftsgetriebenen Welt sind mittlerweile nicht nur Kinder sogen. "bildungsferner" Familien vernachlässigt.
Individuelles Lernen benötigt Zeitinvesment! Und derweil alles immer schneller geht, haben wir immer weniger Zeit zur Verfügung.
Da liegt der Fehler!
Naja...
Ich habe gerade das Buch "Mein Vater mein Freund" von Arno und Andre Stern gelesen. Und ich komme zu dem schluss, dass die Autorin oben sehr vielschichtig und zu Recht auch kritisch auf die dinge blickt. Eltern müssen intellektuell, finanziell und psychisch aber auch überhaupt emotional in der Lage sein, ihren kindern das zu bieten, was z.B. die Sterns boten. Solche Eltern sind aber eben nicht der Schnitt.
Ihre aus dem o.g. Film zitierte Passage "98% der Kinder kommen hochbegabt zur Welt. Nach der Schule sind es nur noch 2%" halte ich für irreführend. Vielmehr müsste es wenn überhaupt um die angeborene Begeisterungsfähigkeit und den Willen, selbstständig die Welt zu entdecken gehen, der evtl. hier und dort durch Schule unterbunden wird.
Zudem ist Schule sehr in Bewegung. Schule heute ist in Deutschland ganz anders, als ich sie noch Anfang der 80er Jahre erlebt habe. Ich glaube, dass wir in 10 bis 20 jahren noch weietre starke Innovationen in der Schule hierzulande erleben werden, und begeisterte Kinder.
Integralrechnung kommt dann sicher zu kurz
Das Kinder Spaß man musizieren und basteln haben kann ich verstehen. Gute Pädagogen werden Spaß an Naturwissenschaften durch Experimente erzeugen können und Spaß man schreiben und lesen. Aber spätestens bei langweiligen theoretischen Themen wie höhere Mathematik wird sich kein Teenager freiwillig dran setzen und die Themen die einem nicht so liegen werden sicher so auch nicht vermittelt. Das man sich durch beissen muss um hinterher super stolz auf seinen Erfolg zu sein, ist auch ein tolles Gefühl. Unterricht und Hausaufgaben vermitteln auch das man pünktlich sein muss, auch Dinge erledigen muss, die man nicht mag. Der Umgang mit Menschen, die man nicht mag, muss man auch lernen oder seinen Platz in einer Gruppe zu finden.
merkwürdig
>>bei langweiligen theoretischen Themen wie höhere Mathematik<<
Merkwürdig, dass sich dafür aber doch immer wieder freiwillige Studenten finden!!??
>>Unterricht und Hausaufgaben vermitteln auch das man pünktlich sein muss, auch Dinge erledigen muss, die man nicht mag.<<
Sie verwechseln hier etwas. Nicht "Unterricht und Hausaufgaben" sind Grundbedingungen, sich einem "muss" zu unterwerfen, sondern Einsicht. Und nur so kann "ich muss" zu "ich will" werden.
>>Der Umgang mit Menschen, die man nicht mag, muss man auch lernen<<
Dem widerspreche ich ganz entschieden!
Das kann vlt hilfreich sein - aber MÜSSEN??
Meines Erachtens ist es an der Zeit zu lerne, den Umgang mit Menschen, die man nicht mag zu hinterfragen - und bei berechtigter Abneigung, den Umgang strikt zu vermeiden.
Ich verstehe Ihre Bildungsziele nicht.
Schulsystem überarbeiten, Schulpflicht behalten
Sich dem Bildungssystem, welches erst über Jahrhunderte von der westlichen Welt mühsam aufgebaut werden musste, gänzlich zu entziehen kann keine Lösung sein. Einerseits kann niemand einem Kind sämtlichen Stoff in allen relevanten Fächern von der ersten bis zur zwölften Klasse beibringen, andererseits entwickeln sich so unsere Schulen ähnlich wie in den USA zu Gefängnissen für die Abgehängten und "Asozialen" deren Eltern sich keine Privatschule oder Unschooling leisten können.
Das Schulsystem muss grundlegend reformiert werden. _Grundlegend_, das bedeutet wir müssen uns Gedanken darüber machen was heute an Stoff wirklich wichtig ist und was nicht und wie man mit Kindern aus schwierigen Verhältnissen umgehen sollte. Ein paar wischi-waschi Ideen in den Raum werfen die dann nach 5 Jahren, vielleicht, überhaupt erst in Kraft treten schadet nur.
Viele ist für mich in der Pädogogik nur eine Hypothese
Was ich sonderbar und bedenklich finde, ist das es zu all diesen neuen pädagogischen Ansätzen nie eine valide Untersuchung oder Statistik gibt. Es gibt Fachartikel. Dort schreibt einer seine subjektive Erfahrung, seine Hypothese und im besten Fall ein Vergleich zwischen 2 Klassen auf- eine nach der neuen Methode unterrichtet eine nicht. Das würde in der Medizin, der Biologie und der Chemie zur Hypothesenbildung also als Vorversuch ausreichen und nicht um damit an die breite Öffentlichkeit zu gehen und eine neue Methode oder Theorie zu verkünden. Auch lese ich selten ein kritische Überlegung, ob man dies oder das überhaupt übertragen kann. Kinder und vor allem die Eltern sind in bestimmten Kulturen sozialisiert, haben Werte die sich von Land zu Land unterscheiden. Ob also eine tolle Methode aus Finnland, Vietman oder USA hier funktioniert, ist somit nicht sicher. Trotzdem schreiben viele: "schaut dahin, warum machen wir das nicht auch hier?"
Nicht die Schule ist das Problem,
sondern der gesellschaftliche Umgang mit ihr.
Den wenn eins ganz klar auffällt, stehen hier in den Kindern Eltern zur Seite, die die Bildung ihrer Kinder nicht outsourcen.
Nicht nur die Kinder werden neugierig auf neues gemacht, sondern sie erfahren Unterstützung im Umgang mit dem was sie lernen wollen.
Während die Outsource Eltern oftmals ihren eigenen Kindern nur Unterstützung gegen die Lehrer Gewehren.
Und ja es gibt noch mehr dazu zu sagen, aber ich wollte nur diesen Punkt erwähnen.
Und nein ich halte Eltern die Ihrer Kinder auf öffentliche Schulen schicken nicht generell für Outsource Eltern, auch hier gibt es einige die Ihre Kinder mit aller Kraft unterstützen.
Für manche Familien ist die Schule die beste Option. Aber nicht für alle.
Und gezwungen werden sollte keiner.
Freilernen ist schön. Schule nicht. Punkt.