Wie kann nach einem Krieg aus einem Menschen wieder ein Mensch werden? Die Frage stellt Martin Zandvliet in seinem Film Unter dem Sand. Es ist keine kleine. Und wie bei allen komplizierten Problemstellungen ist es klug, alle irrelevanten Details wegzulassen, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Also haben die Figuren in Unter dem Sand keine Vergangenheit – es reicht völlig aus, was jeder Zuschauer ahnen kann. Da sind zunächst die elf deutschen Jungs im Alter zwischen 15 und 18, die in Dänemark nach der Kapitulation im Mai 1945 in Kriegsgefangenschaft geraten sind und jetzt die von der deutschen Wehrmacht an der dänischen Nordseeküste vergrabenen Minen räumen müssen. Vermutlich waren sie Teil von Hitlers letztem Aufgebot. Vermutlich waren die Väter des einen oder anderen – oder gar aller – Soldaten und haben sich mit Schuld beladen, mit schwerer oder weniger schwerer. Vielleicht hat sich auch der eine oder andere Junge in den wenigen Tagen seines Soldatseins schon selbst mit Schuld beladen. Der dänische Regisseur und Drehbuchautor Zandvliet erzählt davon nichts. Für ihn sind es schlicht Menschen, sehr junge Menschen, die nicht vom Krieg sprechen, sondern davon träumen, was sie tun wollen, wenn sie denn endlich heimkehren können: essen, ein Mädchen finden, Maurer oder Mechaniker werden. Solche Dinge.
Ihnen gegenüber steht Carl Rasmussen, dänischer Feldwebel, der die Jungs beim Minenräumen zu überwachen hat. Auch über ihn liefert der Film keine Details aus seiner Vergangenheit, sondern nur die Gewissheit, dass der Krieg ihn innerlich versehrt hat. In der allerersten Szene des Films wird er beim Anblick von abziehenden Wehrmachtsoldaten so von seinem Hass auf die Besatzer überwältigt, dass er blindwütig auf sie einschlägt. Das große Verdienst von Zandvliet und seinem Hauptdarsteller Roland Møller ist gleich hier zu erkennen: hinter dem Hass auch Rasmussens Verzweiflung durchschimmern zu lassen, sodass die Gewalt nicht nur abstößt, sondern auch Mitleid erregt. Wie tief müssen Wunden sein, dass einer so handelt.
Auf historische Fakten gestützt
Und dann gibt es noch die Bäuerin, auf deren Hof in den Dünen der kleine Trupp aus Rasmussen und den elf Jungen während der Entschärfungsaktion haust. Sie hat ein Kind, ein kleines Mädchen. Aber wo ist ihr Mann? Wir erfahren es nicht und ahnen es doch mit Gewissheit.
Der Hass liegt über den Figuren wie das Salz in der Luft über der Küste. Es ist ein hochexplosiver Hass, der jederzeit losbrechen und sich entladen kann: in einem Lachen über den Beinahe-Tod eines Jungen; in einer nächtlichen Misshandlung; in dem Befehl, ein als geräumt geltendes Minenfeld zwecks endgültiger Gewissheit noch einmal zu Fuß abzumarschieren.
Bei seinen Recherchen zu Unter dem Sand hat sich Zandvliet auf historische Fakten gestützt. Das britische Oberkommando in Dänemark hatte sofort nach der Kapitulation etwa 2.000 deutsche Kriegsgefangene verpflichtet, die Minen der deutschen Wehrmacht zu räumen. Schätzungsweise 2,2 Millionen lagen an der Nordseeküste vergraben – mehr als an allen anderen europäischen Küsten zusammen, weil die NS-Führer die Landung der Alliierten an dieser Stelle der Atlantikküste befürchteten und weniger in der Normandie. Dokumentiert ist die Entschärfung von 1,4 Millionen Land- und Seeminen allein in den ersten fünf Monaten nach Kriegsende. Erst 2012 wurden Dänemarks Küsten offiziell für minenfrei erklärt. Dennoch fand das dänische Militär unmittelbar vor den Dreharbeiten, als es den Strand, an dem gedreht wurde, zur Sicherheit noch einmal absuchte, einen weiteren alten Sprengsatz.
Kommentare
Der Film mag inhaltlich ja toll sein, aber nach Ansehen der Video Clips würde ich sagen "gehobene TV Kost" -eben "gut gedacht doch fürs Deutsche Fernsehen gemacht".
Wer sich in der ARD ZDF Bildsprache und Erzählweise im 20 Uhr 15 Programm wohl fühlt, bekommt sicher etwas Gehaltvolles. Wen es bei DEGETO Kost schüttelt, na ich weiß nicht. Sind ja aber auch nur Video Clips, vielleicht sind die Filme anders
Der Film wurde auf dem Toronto Film Festival vorgestellt, ebenso wurde er auf dem Sundance gezeigt - das sind ja nun nicht irgendwelche Festivals.
"Land of Mine received very positive critical acclaim. It received a standing ovation at the Toronto Film Festival with Stephen Farber of The Hollywood Reporter stating Director Martin Zandvliet has come up with a fresh and compelling approach to this well-traveled territory [...]"
Wie man anhand eines Clips ein solches Urteil fällen kann, ist mir schon ein Rätsel - dazu ist der Film viel zu Komplex, wenn man den Artikel gelesen hat.
Aber vielleicht ist so ein Film auch zu unbequem - es geht um den 2. Weltkrieg, bzw. kurz danach, um Deutsche, um Schuld, um junge deutsche Männer, die von ihrem Land ausgenutzt wurden, in den letzten Kriegstagen vom Hitlerregime verheizt wurden, in einen Krieg geschickt, der nicht mit zu gewinnen war, das wusste man und nun mussten diese halben Kinder die 'Sünden ihrer Väter' bereinigen und dabei bekamen sie noch den Hass ab - sie, die genauso Opfer waren - aber Ihnen reichen 1 Minute irgendwas um ein Urteil zu fällen ...
Der Beitrag klingt am Anfang so, als handele es sich wieder einmal um einen der üblichen Klichee-Filme, die den Menschen im Grunde nicht gerecht werden. Vielleicht geht dieser Film aber tatsächlich auf die unglauublich schwierige Situation der Menschen damals ein? Nach dem Ansehen wissen wir mehr.
Historisch korrekt ist es sicher - aber bis auf die individuelle Färbung bekannt. Wurde in Norwegen genauso gemacht - sind natürlich klare Kriegsverbrechen aber - wie zu erwarten - nie geahndet
Die Opferrolle steht dem Deutschen nicht...sowas birgt immer die Gefahr der Relativierung!
"Die Opferrolle steht dem Deutschen nicht...sowas birgt immer die Gefahr der Relativierung!"
"dem Deutschen"? So jemanden gibt es genausowenig wie "den Engländer", "den Russen" ... Täter und Opfer sind immer individuelle Personen, daher ist es unmoralisch die Schuld anhand der Nationalität festzumachen.
Dänemark ist nicht gerade dafür bekannt, dass die Nationalsozialisten dort besonders extrem gewütet hätten. Im Gegenteil Dänen galten bei den Nazis als Arier und die meisten Dänen jüdischer Herkunft konnten die Dänen nach Schweden ausschiffen. Winston Churchill nannte Dänemark immer "Hitlers Schoßhündchen", weil aus seiner Sicht die Dänen zu wenig gegen Nazis unternahmen.
Aha, und weil die Deutschen dort nicht besonders extrem gewütet haben, hätte die Dänen die Minen selbst räumen sollen?
Ich bin jetzt nicht informiert - war so etwas zu der Zeit schon als Kriegsverbrechen geächtet?
Ich meine, wenn ich so die Daten zu den Kriegsgefangenen in den verschiedenen Lagern bedenke - deutsche in russischer Kriegsgefangenschaft, russische in deutscher, amerikanische in japanischer, die hatten eigentlich meist andere Sorgen...