Nach der Kontroverse um die, so Regisseur Bill Condon, "exklusiv schwule Szene" im neuen Disney-Film Die Schöne und das Biest drängt sich eine Frage auf: Was hätte der 1967 verstorbene Firmenpatriarch wohl zu dem Film gesagt, den der familienfreundliche Unterhaltungskonzern am Donnerstag in die Kinos bringt? Bekanntlich ist auch Märchenonkel Walt zu Lebzeiten nicht unbedingt für seine Toleranz bekannt gewesen.
Bestenfalls muss man Walt Disney attestieren, dass er – wie es Neal Gabler in seiner Biografie The Triumph of the American Imagination diplomatisch formuliert – "wenig sensibilisiert für den gesellschaftlichen Rassismus" gewesen sei. Ein Blick ins Disney-Portfolio offenbart jedoch eine Vielzahl von offen rassistischen (Dumbo, Fantasia) beziehungsweise antisemitischen (Die drei kleinen Schweinchen) Stereotypen, das historisch hochgradig problematische Plantagenmusical Song of the South aus dem Jahr 1946 wurde vom Disney-Konzern sogar aus dem Verkehr gezogen.
Bewusstsein für kulturelle Vielfalt
Man braucht die – wenn man ehrlich ist – allerhöchstens homoerotisch anmutende Tanzszene zwischen LeFou (Josh Gad) und Gaston (Luke Evans) in Die Schöne und das Biest also nicht gleich zum Inbegriff eines westlichen Werteverfalls hochzujazzen, wie es Vitaly Milonov, Wladimir Putins Sprachrohr im Kampf gegen "schwule Propaganda" in Russland, gerade getan hat. Es reicht schon anzuerkennen, dass auch Disney langsam in der Realität anzukommen scheint. Ein afroamerikanischer Stormtrooper (John Boyega) in Star Wars: The Force Awakens, eine gebürtige Hawaiianerin (Auli'i Cravalho) in der Hauptrolle des Südseemärchens Vaiana – bei Disney kehrt ein Bewusstsein für die Themen kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt ein. Die traditionelle Vorstellung der All-American-Family hat, auch wenn das politische Klima in den USA gerade anderes suggeriert, als Wertemodell ausgedient.
Aber das neu entdeckte gesellschaftliche Bewusstsein im Haus Disney ist nicht zuletzt einem kommerziellen Kalkül geschuldet. Bill Condons Aussage, dass mit LeFou die "erste homosexuelle Figur" in einer Disney-Produktion zu sehen sei, zielt auch auf die sich rasant verändernde Demografie des Kinopublikums ab. Dass Die Schöne und das Biest abgesehen von dem kurzen Intermezzo zwischen LeFou und Gaston am Ende doch nur brave heteronormative Unterhaltung bietet – geschenkt. Auch in Russland wird der Film nach einigem hin und her nun in die Kinos kommen, allerdings mit der Freigabe "ab 16". Womit sich die These, es gebe keine schlechte Publicity, erneut bestätigt.
Märchen sind die neuen Blockbuster
Die Schöne und das Biest belegt vor allem eins: Disneys Strategie der Diversifizierung ist seit jeher Teil des Geschäftsmodells. 2015 kündigte Disney-Präsident Robert Iger erstmals eine Reihe von Realfilmadaptionen populärer Animationsfilme aus der letzten "goldenen Zeichentrick-Ära" in den neunziger Jahren an. Damals hatte Disney unter Michael Eisner den klassischen Kanon noch einmal mit Klassikern wie Arielle die Meerjungfrau, Mulan, König der Löwen und Aladdin bereichert. Die Schöne und das Biest ist die erste Neuverfilmung aus dieser sogenannten Disney-Renaissance und er folgt in der irren Erfolgsspur von Alice in Wunderland, Maleficent und The Jungle Book, die weltweit jeweils über eine Milliarde Dollar einspielten. Kulturelle und ökonomische Vielfalt gehen bei Disney Hand in Hand.
Die Entscheidung, den eigenen Zeichentrickkatalog erneut zu verwerten, verspricht doppelten Ertrag. Der Rückgriff auf bekannte Stoffe, die dem Disney-Repertoire durch frühere Adaptionen ohnehin schon einverleibt sind, weckt die Nostalgie eines der Zielgruppe längst entwachsenden Publikums (die diese popkulturelle Erinnerung wiederum der nächsten Generation vermacht haben), die überfällige Modernisierung des Stoffes ist dem technischen Begriff des "Reboot" gewissermaßen eingeschrieben.
Die Logik hinter dieser Verwertungskette ist verblüffend. Die computergenerierten Animationen von Pixar, ebenfalls eine Tochter des Disney-Konzerns, lösten mit dem Erfolg von Toy Story Mitte der neunziger Jahre sukzessive die klassische Zeichentricktechnik ab, gleichzeitig emulierten die Bilder dank immer besseren CGI-Technik (computer generated images) eine naturalistischere Ästhetik.
Kommentare
Alles viel zu kitschig und sehr langweilig. In den Disney-Filmen geht es nur noch um möglichst hohen Umsatz, Drehbuch oder künstlerische Aussage treten völlig in den Hintergrund. Kein Wunder, dass die meisten Oscars dieses Jahr an kleinere Labels gehen, die mit "La La Land" oder "Moonlight" einzigartiges Kino abgeliefert haben.
Besonders furchtbar: Marvel-Filme. Da schau ich ja noch lieber deutsches Problemkino.
The Junglebook fand ich schon sehr gut umgesetzt.
"Es reicht schon anzuerkennen, dass auch Disney langsam in der Realität anzukommen scheint"
Hmmm....nichts für ungut, aber das ausgerechnet Disney ein Film über eine an Stockholmsyndrom leidende junge Frau gelingen soll, wage ich doch sehr zu bezweifeln....
Ich lass mich gern überraschen und werde mir Die Schöne und das Biest ansehen, erwarte aber wieder mal enttäuscht zu werden, wie es schon vor 26 Jahren der Fall war.
Das werden sie sich dann sparen können. Der Film ist nahezu komplett identisch mit der Zeichentrickvorlage.
Wobei ich sagen muss, für mich wirkt es, als sind sie selbst an ihrem Dilemma schuld, sie gehen definitiv mit einer falschen Erwartungshaltung an einen Märchenfilm heran.
Ich habe damals den Zeichentrickfilm gemocht, ich bin sicher, auch dieser wird mir zusagen, aber ich versuche auch nicht, den Film, vor allem während des schauens, dauerhaft auf Plausibilität zu prüfen.
"Die Schöne und das Biest"
Ja, vielleicht schön, aber nicht attraktiv.
Unsympathische Schauspieler und als erneuter Aufguss zu leicht durchschaubar.
In Zeiten von Trump, sollte man amerikanische Filme eigentlich boykottieren!
"Die Schöne und das Biest ist die erste Neuverfilmung aus dieser sogenannten Disney-Renaissance"
War nicht bereits "Cinderella" 2015 die erste Neuverfilmung eines Disney-Animationsklassikers? Inklusive sprechender Mäuse?
Cinderella gehört nicht zu der Reihe von Animationsfilmen, die der Autor als Disney-Renaissance bezeichnet. Damit meint er die im Artikel zitierten Filme wie Ariel, die Meerjungfrau oder Der König der Löwen, also Disney-Animationsfilme aus den Neunzigern.