Der nächste Gag – Seite 1
Die
zivilste Form eines Raubüberfalls ist eigentlich, einen Film zu machen. Den
Regisseur kann man sich als Kopf einer Bande vorstellen, in der Leute mit den verschiedensten
Talenten und Expertisen zusammengeführt werden. All die Gewerke müssen
ineinander greifen. Und jedes Mal geht es letztlich um die Frage, ob man
zusammen noch mal einen Coup landen, ein letztes großes Ding drehen kann – nur
um dann doch wieder ein nächstes zu planen. Irgendwann brauchen eben doch alle
wieder Geld und vielleicht macht es auch einfach zu viel Spaß, um ernsthaft
damit aufzuhören.
Womöglich
mag Steven Soderbergh das Genre des heist
movie, des relativ unblutigen Ganovenfilms, auch deshalb so gern, weil man
darin eben stets auch nebenbei vom Filmemachen erzählen kann. Vor zehn Jahren,
im dritten Teil seiner Ocean’s-Trilogie, gab es diese schön
selbstreferentielle Szene, in der Danny Oceans Gang ihren ewigen Widersacher
und nun partner in crime, den Casinobesitzer
Terry Benedict (Andy García), um Geld anpumpen muss. Man kann diese Szene so
verstehen, dass García hier im Grunde einen Filmproduzenten spielt, der die
Hand auf dem Geld hält, das die Künstlerbande gerade dringend für ihren neuen
Film braucht. Einen Film, der so sein soll wie die zuvor – nur anders. Warum
zieht ihr nicht noch mal die gleiche Nummer ab, die ihr schon mal abgezogen
habt, fragt Benedict und sagt damit eigentlich: Dreht doch einfach noch
mal den gleichen Film wie Ocean’s 11, das merkt eh niemand. Worauf der Sprengstoffexperte
des Teams, Basher alias Don Cheadle, sagt: "You
don’t run the same gag twice. You do the next gag."
Zehn Jahre
und eine knapp vierjährige Kinofilmpause später macht der Regisseur Steven Soderbergh genau das: the next gag.
Er hat wieder ein heist movie gedreht
– nur anders. Logan Lucky funktioniert dramaturgisch fast exakt so wie Ocean’s 11: Ein gutherziger Ex-Krimineller braucht Geld, macht einen Plan,
versammelt eine Mannschaft, dreht das große Ding; hintendrauf gibt es in kurzen
Rückblenden die Erklärung, wie genau der Trick und damit der entscheidende plot twist funktioniert hat, und
schließlich folgt kurz noch die Auflösung, die nicht nur extrem elegant ist,
das kennt man ja von Soderbergh, sondern schon wieder einen potenziellen
nächsten Film ermöglicht, eine Fortsetzung. Und als Kinozuschauer sitzt man da
und hat zwei Stunden lang großen Spaß dabei zuzusehen, wie jemand noch mal die
gleiche Nummer durchzieht, nur anders.
Die universell Versehrten der amerikanischen Gegenwart
Statt in
Las Vegas mit coolen, edel gekleideten Ganoven spielt Logan Lucky
in den Südstaaten mit, nun ja, intellektuell nicht sehr belastbaren
Kleinkriminellen und vom Leben gezeichneten Mitgliedern der Klasse der white working poor. Die Dreharbeiten begannen drei Monate
vor der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und knapp ein Jahr vor den
Neonaziaufmärschen in Charlottesville: Diese Information ist wichtig, weil
Soderbergh weder einen politischen Film gedreht hat noch irgendeines der
politischen Ereignisse der vergangenen zwölf bis 15 Monate voraussehen konnte
oder tatsächlich vorausgesehen hat.
Seine beiden Hauptfiguren Jimmy und Clyde Logan, gespielt von Soderberghs aktuellem Lieblingsschauspieler Channing Tatum und von Adam Driver, entsprechen rein biografisch und äußerlich aber genau jenem Typus weißer Mann vom Land, der in mittlerweile unzähligen Reportagen in US-Medien als prototypischer Trump-Wähler irgendwo in der Provinz aufgesucht wurde, um ihn den von Trumps Wahlerfolg zutiefst verstörten progressiven Bewohnern der großen Küstenstädte zu erklären. So also schauen sie aus, die lange Übersehenen, wirtschaftlich Abgehängten, die universell Versehrten der amerikanischen Gegenwart, die gegen die sogenannten liberalen Eliten aufbegehren. Indem sie zum Beispiel einen gefährlich Inkompetenten ins Weiße Haus gewählt haben.
Auf nach North Carolina und West Virginia also: Jimmy (Tatum) war ein Quarterback-Star in der High School, bevor eine Knieverletzung allen Hoffnungen ein Ende machte; nun humpelt er durchs Leben, verliert seinen Bauarbeiterjob, kann nicht mal mehr die Handyrechnungen bezahlen und seine Ex-Frau hat sich wie zum Hohn auch noch einen besserverdienenden Deppen geangelt. Jimmys jüngerer Bruder Clyde (Driver) war als Soldat im Irak und kam schwerverletzt nach Hause; nun ist er als einarmiger Barmann das Gespött der Säufer auf der anderen Seite des Tresens.
Daniel Craig spielt den Safeknacker
Soderbergh
operiert bei seiner Figurenentwicklung entlang des schmalen Grats zwischen
herzensguter Liebe für diese beschädigten Charaktere und deren Zurschaustellung,
ja Lächerlichmachung für die immer nächste Pointe. So wie er überhaupt
das weiße Amerika der unnützen Männer in ihren komisch aufgequollenen Körpern
noch mal in den Blick nimmt, mit all ihren enttäuschten Hoffnungen, dem verzweifelten
Festhalten an überkommenen Ritualen, Idealen, billigen Stunts – dass eine
heruntergekommene Autorennstrecke ein wesentlicher Schauplatz dieses Films sein
musste, ist klar.
Soderbergh holt alles an komischem Potenzial aus diesen Männerfiguren heraus, letztlich findet er sie natürlich als Filmcharaktere einfach toll. Und so schenkt er dem britischen Bond-Darsteller Daniel Craig als Südstaaten-Slang kauendem Safeknacker die mit Abstand lustigste Rolle, die dieser je spielen durfte. Die große Kunst und Erfahrung des Regisseurs Soderbergh erkennt man in dem Zusammenhang unter anderem daran, dass er seinen Film nicht zur Nummernrevue überdrehter Schauspielerauftritte werden lässt. Das heist movie verlangt eben Plotdisziplin und eine strenge Ökonomie des Erzählens, der große Zaubertrick muss erst vorgeführt und dann erklärt werden. Weil das gelingt, ist Logan Lucky eben ein so großer Spaß.
Und deshalb ist die Rückkehr Soderberghs als Regisseur, Kameramann und mutmaßlich auch Drehbuchschreiber (der Autorinnenname Rebecca Blunt ist ein Pseudonym) ins Kino eine ganz und gar gute Nachricht. Als Soderbergh vor vier Jahren seinen Rückzug aus dem Filmgeschäft verkündete und andeutete, er werde nur mehr fürs längst größere Freiheit bietende Fernsehen arbeiten, wenn überhaupt, hat kaum jemand an die Endgültigkeit dieses Entschlusses geglaubt. Dafür liebt Soderbergh das Kino doch offensichtlich zu sehr, auch die Bündigkeit der dort möglichen Erzählungen. Nicht jeder Stoff eignet sich für eine viele, viele Stunden dauernde Fernsehserie und zu viel Zeit langweilt auf Dauer vielleicht auch etwas. Für Logan Lucky hat Soderbergh seinen eigenen Filmverleih Fingerprint Releasing gegründet und damit endgültig die völlige Kontrolle über sein künstlerisches Schaffen erlangt. Wenn er heute noch einen Terry Benedict um Geld anpumpt, dann nur noch zu seinen eigenen Bedingungen.
Steven Soderbergh muss also niemandem mehr erklären, warum man den gleichen Gag nicht zwei Mal macht. Weshalb es nur folgerichtig ist, dass das mutmaßlich nächste ins Kino kommende Projekt des Produzenten Steven Soderbergh eine komplett weiblich besetzte Version der Ocean's-Filme sein wird. Mit Männern hat er sich jetzt auch wirklich genug beschäftigt. Ocean's Eight startet kommenden Sommer. Fortsetzung folgt, ziemlich sicher.
Kommentare
"So wie er überhaupt das weiße Amerika der unnützen Männer in ihren komisch aufgequollenen Körpern noch mal in den Blick nimmt, mit all ihren enttäuschten Hoffnungen, dem verzweifelten Festhalten an überkommenen Ritualen, Idealen, billigen Stunts – dass eine heruntergekommene Autorennstrecke ein wesentlicher Schauplatz dieses Films sein musste, ist klar. "
Äh....what ?
Ich denke, der Film ist großartig. Aber nur mit Originalton.
«Diese Information ist wichtig, weil Soderbergh weder einen politischen Film gedreht hat»
Warum kommt dann erstmal ein kompletter Absatz darüber, wie der Autor die derzeitige Entwicklung in den US bewertet. Was hat das mit dem Film zu tun und was soll dieses Zeigegefingere auf Klischees („So sehen sie aus...“).
*seufz* Überall diese klebrigen Spinnweben.