Vier Tage nach seinem 90. Geburtstag ist der Schriftsteller und Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki mit der Ludwig-Börne-Medaille für sein Lebenswerk geehrt worden. "Seine Liebe zur Literatur wird nur von der Leidenschaft, sie zu kritisieren, übertroffen", sagte der Stiftungsvorsitzende Michael Gotthelf über Reich-Ranicki. In der Paulskirche würdigten vier Laudatoren den Preisträger: der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung , Frank Schirrmacher, der Publizist Henryk M. Broder sowie die TV-Entertainer Harald Schmidt und Thomas Gottschalk.
Reich-Ranicki sagte in seinen Dankesworten: "Ich habe immer wieder versucht, die Literatur lesbar zu machen für ein möglichst großes Publikum." Dennoch sei er nach seinem Empfinden ein Außenseiter geblieben.
Gottschalk nannte Reich-Ranicki einen begnadeten Entertainer. Er sei entgegen seiner eigenen Wahrnehmung für die große Mehrheit der Deutschen "kein Außenseiter, sondern eine Ausnahme". Auch Schirrmacher hob die Popularität Reich-Ranickis hervor. Er sei jedem Tankwart bekannt und zugleich "das Staatsoberhaupt in der literarischen Republik".
Schmidt trug zu Ehren des Preisträgers das Gedicht "Erinnerung an die Marie A." von Bertolt Brecht vor. Broder wünschte sich von Reich-Ranicki in seiner Laudatio, dass sich der Kritiker auch jenseits der Literatur einmischt, wenn wie jüngst Zustände im Gaza-Streifen fälschlicherweise mit jenen im Warschauer Ghetto verglichen würden.
Vor der Übergabe der Medaille war es bei der Feier zu einem Zwischenfall gekommen. Ein Störer besetzte minutenlang das Rednerpult und wollte offensichtlich für Volksabstimmungen werben. Er gab das Pult aber schließlich freiwillig wieder frei.
Die undotierte Ehrenmedaille ersetzt in diesem Jahr den sonst stets im Juni verliehenen Ludwig-Börne-Preis. Diesen hatte der in Frankfurt lebende Reich-Ranicki bereits 1995 erhalten. Mit ihren Auszeichnungen erinnert die Börne-Stiftung an den in Frankfurt geborenen Dichter Ludwig Börne (1786-1837). Der scharfzüngige Autor gilt als Wegbereiter des politischen Feuilletons. Die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) nannte Reich-Ranicki in der Paulskirche "den anderen großen Frankfurter Kritiker neben Ludwig Börne."
Kommentare
Staatsoberhaupt der literarischen Republik...
...größenwahnsinniger gehts nimmer? Es scheint in Deutschland jedes vernünftige Maß abhandenzukommen. Während das wahre Staatsoberhaupt respekt-und gnadenlos von Journalie aus dem Amt gemobbt wird tituliert man einen - zugegeben - hervorragenden Literaturkritiker wechselweise als Papst oder Staatsoberhaupt. Eigenartige Jornalie mit eigenartigen Maßstäben.
Kleinkarriert
Titel haben heute nicht mehr die Bedeutung, welche sie vor 50 Jahren noch hatten. Der Papst ist existent, interessiert aber einen stetig wachsenden Prozentsatz in der Bevölkerung nicht. Degradiert zu einer Nenngröße, ein Maß, kaum Gewicht. So verfährt es sich auch mit den anderen Titeln & Ämtern. Zumal man doch wohl schreiben & sagen darf was man möchte.
Das hat nichts mit Größenwahn zu tun, sondern schlicht mit Ehrerbietung und Anerkennung.
[...]
Entfernt wegen hetzerischen Aussagen. Die Redaktion/is
Nicht gut
Die Lebensleistung, insbesondere die Erfahrungen zur NS Zeit sollten geehrt und beachtet werden.
Aber als "Staatsoberhaupt der literarischen Republik" kann man Herrn Ranicki bestimmt nicht sehen, zumindest nicht in einem positiven Sinne.
Bei seinen Auftrittem im literarischen Quartett war er immer uneinsichtig und ließ keine anderen Meinungen zu.
Er war sehr von sich überzeugt, für mich zu sehr.
Ein Staatsoberhaupt (auch als Metapher) sollte ein Volk repräsentieren. Schon aus seiner - wie er selber sagt - "Außenseiterrolle" heraus, ist diese Bezeichnung völlig verfehlt und wirkt dadurch übertrieben und damit unseriös.
Seinen Höhepunkt fand die Selbstüberschätzung in der Ablehnung des Deutschen Fernsehpreises. Wenn ich keinen Preis bekommen möchte, gehe ich nicht zu einer derartigen Verleihung.
Herr Ranicki hat sich aber dennoch immer durchgekämpft und das ist schon sehr respektabel. Deutschland hat er nach vorne gebracht - ohne Frage.
"Laudatio"
Schade, dass der Hinweis auf die in meinen Augen unsägliche "Laudatio" von Broder entfernt worden ist. Diese ist erstens in Bezug auf den Anlass völlig deplaziert, zweitens mehr als zynisch und drittens recht unappetitlich. Wie schön wäre es gewesen, wenn Reich-Ranicki noch während der Laudatio aufgestanden und laut "Grässlich! Aufhören!" gerufen hätte.
(Mag aber sein, dass in dem gelöschten Kommentar tatsächlich gehetzt wurde, das will ich hiermit gar nicht bestreiten.)
Als Hetze habe ich den erwähnten Kommentar...
...nicht empfunden und war erstaunt über die Löschung. Die erwähnte Laudatio findet man immer noch: Auf Spiegelonline. In vollem Wortlaut.