Warum wohl Roger Willemsen unterzeichnet hat? Ich kenne ihn als klugen Interviewpartner, den es betroffen macht, dass in den USA unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung Daten gesammelt und die Freiheiten der Menschen beschnitten werden. Ob es für ihn ok wäre, wenn in Deutschland zur Durchsetzung von Urheberrechten Daten gesammelt, Richter umgangen und Netzsperren eingeführt werden?
Andererseits: Die wenigen Sätze unter dem Titel "Wir sind die Urheber" haben so wenig Substanz, dass sie wie Buchseiten mit Säurefraß zerbröseln, wenn man sie näher betrachten will. Distanzieren kann man sich als Unterzeichner davon rasch, wenn es irgendwie konkret werden sollte.
Mehrfach bekam ich letzte Woche eine E-Mail, ich möge den Aufruf mit unterzeichnen. Oft war es die Weiterleitung der Weiterleitung einer weitergeleiteten Mail. Und immer gab es den Hinweis, man möge seinerseits die E-Mail an alle Autoren weiterleiten, die man kenne. Wie ein Lauffeuer schien sich die Kunde unter den Autoren zu verbreiten – und denen, die es gerne wären.
Die Aktion erinnert mich an Hoax-Mails, in denen vor einem zerstörerischen Virus gewarnt wird, angeblich Knochenmarkspender für einen kleinen Jungen gesucht werden oder allgemein Tod und Verdammnis drohen, wenn man sie nicht augenblicklich an Freunde und Bekannte weiterleitet.
Viele Autoren haben Angst. Irgendetwas scheint zu passieren. Und so, wie es vielleicht doch einen Computervirus geben könnte, der alle Rechner dieser Welt zerstört, so könnte die Behauptung stimmen, dass Grüne und Piraten das Urheberrecht abschaffen wollen. Oder dass womöglich die Buchhandlungen gesetzlich gezwungen werden, Bücher kostenlos abzugeben, weil sie Google ohnehin schon seit Jahren im Web verschenkt. Wo muss ich unterschreiben? Wenn selbst Elke Heidenreich und Tommy Jaud mitmachen, dann kann das nicht schlecht sein.
Eine andere Kampagne zeigt sehr gut, dass die Autoren nicht wirklich wissen, gegen was oder wen sie kämpfen, aber von einer diffusen Angst geleitet werden. Die Aktion "Ja zum Urheberrecht" der Vereinigung der Krimischriftsteller Syndikat lichtet Schriftsteller ab, denen man das Herz herausgerissen hat. Interessanterweise leben sie auf einigen der Kampagnenmotive dennoch weiter. Und wer ist der Feind? Die Fotos zeigen eine Gestalt mit Messer, die die Guy-Fawkes-Maske trägt, die bei der Anonymous-Bewegung beliebt ist. Doch Anonymous steht für eine Vielzahl von Zielen. Für die Schriftsteller verkörpert die Maskengestalt offenbar eine Bedrohung, die man nicht versteht, aber unbedingt bekämpfen muss.
Auch bei "Ja zum Urheberrecht" hätte ich unterzeichnen sollen, die Initiatorin der Kampagne schickte mir eine Mail mit der Frage, ob das literaturcafe.de nicht mitmachen und den roten Ja-Button platzieren wolle. Ich fragte nach: Zum Thema gibt es eine Facebook-Gruppe und einen "Facebook-Button für UnterstützerInnen"? Die Kämpfer für ein starkes Urheberrecht nutzen die Plattform eines US-Unternehmens, das Datenschutz und Urheberrecht mit Füßen tritt? Solch eine Kampagne kann ich nicht ernst nehmen.
Im "Wir sind die Urheber"-Text solidarisieren sich die Schriftsteller mit ihren Verlagen und wettern gegen "global agierende Internetkonzerne, deren Geschäftsmodell die Entrechtung von Künstlern und Autoren in Kauf nimmt". Doch gleichzeitig pflastern ihre Verlage die Vorschauen und Websites mit Facebook-Logos und -Buttons und feuern eine "Social-Media-Kampagne" nach der anderen ab, weil dort scheinbar das Zielpublikum unterwegs sei. Und viele der Unterzeichnenden haben selbst eine Facebook-Fanseite und sind dort aktiv.
Ist das nicht inkonsequent? Müssten die Urheber ihre Verlage nicht auffordern, sofort alle Aktivitäten bei Facebook und Google zu beenden? Wie kann man etwas fördern, das man als Bedrohung sieht?
Ich habe nicht nachgefragt, weil ich weiß, was ich als Antwort bekommen werde: "Ja, aber man kann sich dem nicht verschließen. Facebook nutzen nun mal viele Menschen und dort können wir sie erreichen. Wir wissen, das ist nicht ganz ok, aber was will man machen? So machen es doch alle."
Wie wollen solch inkonsequente Autoren einem Schüler vermitteln, dass er durch Herunterladen einer MP3-Datei Böses getan hat, wenn er antwortet: "Ja, aber ich wollte nur ganz schnell diesen Song haben. Ich weiß, das ist nicht ganz ok, aber was will man machen? So machen es doch alle." (Nebenbei: Dass die Antwort eher nicht, "ja, aber ich wollte nur ganz schnell den neuen Roman von Martin Walser haben", lauten wird, gewährt einen Blick auf das eigentliche Problem der Branche.)
Spätestens an dieser Stelle beginnt dann die Diskussion, warum das Betreiben einer Fanseite bei Facebook etwas anderes sei, als der "Diebstahl" einer MP3-Datei, wobei der nächste sofort einwenden wird, dass Kopieren kein Diebstahl sei, weil... Und wieder einmal kommen wir keinen Meter weiter.
Kommentare
super Artikel
kannte die Siet noch gar nicht.
Danke
Mitlesen - Mithören - Mitsehen
Der Kampf von Autoren, Musikern und Filmemachern für eine Stärkung des Urheberrechts ist ein Kampf gegen Windmühlen. Die Technik wird ihnen immer einen Schritt voraus sein. Daher sollten sich jene, die sich für eine Stärkung einsetzen fragen, ob ihr Augenmerk nicht in eine verkehrte Richtung zeigt?
Vielleicht schaffen sie es die Weitergabe zu unterbinden. Dann rufen sie aber bestimmt aus den Reihen der unzufriedenen User jene Programmierer auf den Plan, die auch hierfür wieder eine Tür öffnen. Bestimmt überlegen schon einige, ob das mitlesen, mithören und mitsehen nicht jene Tür ist?
Schon im Zeitalter der Schallplatte war es nicht verboten, beim Freund, oder einem Bekannten seine Platten anzuhören. Das Internet macht es nun möglich, dass sich jene beiden nicht in unmittelbarer Nähe befinden müssen. Man stelle sich ein Programm vor, welches über das Internet es ermöglicht, Musik von einem anderen Rechner zu hören. Ob hier das Urheberrecht angewendet werden kann, ist fraglich, denn es findet kein Austausch von Daten statt. Es wird einfach eine Datei gestartet. Und heute ist jedem klar, dass fast alles, was gestreamt wird, auch aufgezeichnet werden kann.
Und was für die Musik zählt, trifft nicht minder beim Buch und Film zu. Mit Facebook haben mir ein Netz im Netz. Eine Verbindung, die es ermöglicht, bei effektiver Nutzung, den direkten Austausch unnötig zu machen. Auch das Cloudcomputing zielt darauf ab, dass Daten nicht mehr ausgetauscht, sondern nur noch abgerufen werden.
Wir sind Piraten?
Die Debatte über das Urheberrecht ist nunmehr Hysterie und Aktionismus auf beiden Seiten gewichen. Die Verhältnismäßigkeit wird in keinem Lager mehr beachtet.
WIR - die Masse Nicht-Urheber und Nicht-Hacker - wünscht sich Vernunft, Kompromiss-Bereitschaft und endlich eine Lösung, damit der Unfug (YouTube-Sperren etc.) hierzulande ein Ende findet. WIR versprechen gerne, nicht Eure Bücher, nicht Eure Musik-Werke, keine Tatort-Folgen mit russischen Untertiteln (...) auf unsere PCs zu 'saugen', sondern weiterhin das zu tun, was die große Masse schon immer getan hat: Wir kaufen Bücher im Laden oder bei Amazon, wir kaufen Musik bei ITunes und wir schauen uns den Tatort weiterhin in der ARD an.
WIR sind nicht URHEBER und nicht ANONYMUS.
Der ARD ist es fast....
ewgal ob Sie Tatort sehen oder nicht!
Sie bekommt dafür GEZ-Gelder, was gut und richtig ist, denn es ist ihr Auftrag bestimmte Sachen zu zeigen.
Diesen Satz ...
... verstehe ich nicht
"Darüber hinaus haben viele Autoren einen Brotjob, der mit Kunst rein gar nichts zu tun hat. Ist Schreiben also doch ein Hobby?"
Genauer verstehe ich nicht, was er zu einer Diskussion über das Für und Wider des Urheberrechts in Zeiten der allseits verfügbaren Digitalkopie beiträgt.
Diese Verfügbarkeit gefährdet gängige Geschäftsmodelle in der Verwertung von digitalisierbaren Produkten. Ob schreiben ein Beruf oder ein Hobby ist, spielt dabei überhaupt keine Rolle. Ist das, was dabei herauskommt, so gut, dass es erst einen Agenten, dann einen Lektor, dann einen Verlag, danach möglichst viele Buchhändler und schließlich die Leser überzeugt, fließt Geld. In die Kasse des Verlags und in die Taschen des Hobby- oder Berufsautors.
Findet letzters irgendjemand anstößig?
Manchmal habe ich den Eindruck, diejenigen, die geneigt sind, die Frage mit Ja zu beantworten, das sind vor allem, die, deren schriftstellerischen (wahlweise musikalischen etc.) Versuche leider nicht so gut sind, dass sie in der oben genannten Überzeugungskette bestehen (dazu gibt es übrigens in der aktuellen ZEIT ein sehr schönes Interview mit einem Piraten-Musiker, der an deren Urheberrechts-Entwurf mitgearbeitet hat).
Das bezieht sich auf
"das Urheberrecht ermöglicht, dass wir Künstler und Autoren von unserer Arbeit leben können". Sofern Stipendien und Brotjobs Realität sind, ist eben sehr die Frage, wie wieviele Urheber vom Urheberrecht in der heutigen Form tatsächlich hinreichend profitieren? Antwort: keinesfalls sonderlich viele. Schützenswert erscheint es ja vor allem denjenigen, die davon am meisten profitieren - und die vorallem haben wohl den Aufruf unterzeichnet....