Amanda Jenssen ist geduldig. Ein Interview nach dem anderen muss sie geben, hier in Stockholm, in der Garderobe der Konzerthalle Debaser. Am Abend wird sie unten im Club auftreten. Nett sein steht auf ihrem Programm, schließlich sind die Journalisten aus dem Ausland gekommen. Sie sollen die Kunde von der nächsten jungen Schwedenpophoffnung nach Hause tragen und dort verbreiten. Jung, platinblond, hübsch und stilbewusst – ja, das mit der Karriere im übrigen Europa könnte funktionieren. Singen kann sie auch, dazu spielt die Band eine retrofuturistische Mischung aus Rockabilly, Barblues und Hitparadenpop.
Pop aus Schweden. Das ist nichts Neues und bleibt doch stets spannend. Hier brodelt die Musikszene, hier klettert offenbar jeden Monat eine andere Band aus dem Probenkeller direkt ins Licht der Öffentlichkeit. Der Schwedenpop hat einen Nimbus, deshalb horcht die Musikbranche seit Jahren nach Stockholm, Malmö und Göteborg. Warum ausgerechnet zwischen Schäreninseln und Elchwäldern, in dieser kleinen Monarchie mit acht Millionen Einwohnern, so viel gute Musik entsteht, bleibt ein Rätsel. Schweden ist sogar der drittgrößte Exporteur englischsprachiger Popmusik, gleich hinter den USA und Großbritannien.
Amanda Jenssen heißt also das nächste Exportgut. Sie ist 21 und in ihrer Heimat ein Star, seit sie 2007 durch die Castingshow Idol bekannt wurde. Zwar landete sie nur auf dem zweiten Platz, aber ihr Album Killing My Darlings erspielte sich Platin, das nächste namens Happyland erreichte die Top Drei der Charts. Warum nur daheim bleiben, wenn sich auch in der Ferne Platten verkaufen ließen? Amanda Jenssens Lieder könnten durch alle Radios Europas dudeln, typisch schwedisch ist eigentlich nur ihr helles Haar. Musikalisch geht sie glatt als Engländerin durch, singt nahezu akzentfrei.
Die Skandinavier spielen auf internationalem Niveau. Auch Agnes Carlsson, die zwei Jahre zuvor Schwedens Idol wurde, hat mittlerweile Erfolg in England, Australien, Frankreich und Deutschland. Castingshowmusik scheint nur in Dieter Bohlens Herrschaftsgebiet ein verrufenes, unterbelichtetes Genre zu sein, das einfältige Kompositionen mit "denglischen" Reimen hervorbringt. Kein Wunder, dass es unsere Mark Medlocks, Tobias Regners und Elli Erls nicht über die Grenzen des deutschsprachigen Raumes hinaus schaffen.
Was ist anders in Schweden? Zunächst gibt's dort bessere Bohlens. Max Martin ist einer von ihnen. Er prägt seit Mitte der Neunziger die internationalen Charts. Seine Hitliste ist lang, er schrieb Songs für Ace of Base, Robyn, Backstreet Boys, Celine Dion, Bon Jovi, Bryan Adams, Kelly Clarkson, Pink, Avril Lavigne, Katy Perry, Leona Lewis und Kesha. Auch das Produzentenduo Bloodshy & Avant aus Stockholm befeuert den Popmarkt: Hier bestellen Madonna, Maroon 5, Jennifer Lopez oder Britney Spears ihre Nummern. Perfektes Englisch ist eine Grundvoraussetzung, um in diesem Geschäft Fuß zu fassen. Den Schweden fällt es nicht schwer. Sie lernen die Sprache schon im Kindesalter. Englische Filme laufen unsynchronisiert im Fernsehen.
Hochglanzpop aus Schweden hat Tradition. Am Anfang waren Abba, sie zeigten der Welt, wie aus traditionellen Melodien und aufwändigen Produktionstechniken Hits entstehen. Heute lassen sich die Musikkonzerne von Max Martin und seinen Kollegen helfen. Zwar bringt das kommerzielle Geschäft das meiste Geld. Aber der Mythos Schwedenpop schwebt vor allem über der vibrierenden Indieszene.
In Berlin widmet sich eine Partyreihe diesem Phänomen. Seit drei Jahren wird im Magnet Club in guter Regelmäßigkeit auf Nordisch gefeiert. Es kommen Bands und DJs aus Schweden, nun zum zehnten Mal. Wer sich so was ausdenkt, muss das Erfolgsrezept des skandinavischen Pop doch kennen. Nun, der Initiator Björn Bauch weiß auch nicht so recht. Die Mischung aus Musik und Lifestyle habe es ihm angetan.
Kommentare
Ganz gut aber sehr vereinfacht
Recht guter Artikel, allerdings verschwindet die Mühe an Tiefgang bei Zitaten wie "Das schwedische Sozialsystem – es wurde mittlerweile überarbeitet – hat es jungen Künstlern ermöglicht, direkt nach dem College zwei Jahre lang Arbeitslosengeld zu beziehen und die Zeit im Studio zu verbringen." Das ist grob verlässig und verschweigt, dass zwei Drittel der Schulabgänger ihre Zeit mit Studieren verbringen und eben nicht arbeitslos sind. Auch mag "lange Zeit [wurde das Internet] liberaler genutzt" so stimmen, leitet es jedoch fehl, da die Liberalität schon seit längerer Zeit durch sehr scharfe (im Vergleich zu D) Gesetze dahin ist. Anmerkungswert wäre da eher gewesen (nach dem Hinweis der Proberäume), dass eine im Vergleich zu Mitteleuropa ausgesprochene Sub- und Indiekultur mit Hunderten Konzerten in kleinsten Nest existiert. Nicht zuletzt ist es aber die Winzigkeit des Marktes, die Internationalität erst ermöglicht, ja sogar erzwingt.
Songwriting ist Trumpf.
Interessanter Artikel. Aber bei lauter Rätselraten (“... bleibt ein Rätsel”, “... weiß auch nicht so recht") muss man sich doch schon fragen, wie tief dafür recherchiert wurde. Ich kann jetzt nicht für den Indie-Sektor à la The Knife sprechen, aber von einem Bekannten — einem Musiker, der sein Zubrot u.a. als Songwriter für Bohlen verdient —, habe ich mal folgende Erklärung gehört: es gibt im kommerziellen, also im Hitparaden-Sektor ganze Songwriting-Workshops, gewissermaßen Autorenkollektive, die nichts anderes tun, als permanent neue Songs zu schreiben, für die dann Musiker gesucht werden bzw. ins Ausland verkauft werden. Zum Schmunzeln brachte mich dann allerdings die Information, daß solche Elaborate auch immer nach den Kategorien A, B und C bewertet und entsprechend eingeteilt werden; A geht nach America, B nach Britain, und C, nun ja, ist für den Continent, also für Deutschland. ;) Soll sich jeder einen Reim darauf machen...
Kommentar zu den Kommentaren
@ Hofres
"Nicht zuletzt ist es aber die Winzigkeit des Marktes, die Internationalität erst ermöglicht, ja sogar erzwingt."
Oder ist ein funktionierender Binnenmarkt veilleicht doch nicht so falsch?
@jack_carlton
"...aber von einem Bekannten — einem Musiker, der sein Zubrot u.a. als Songwriter für Bohlen verdient"
So also verdienen Herr Bohlen usw. Geld, sie "verschachern" Musik. Und dann wundern sie sich, dass das kein Mensch außer den zwangsbeglückten DSDS-Fans kaufen will?
Musik, Literatur, Kunst ist viel, viel, viel mehr als nur Markt!
schon sehr lange
Zitat aus dem Artikel "Der Schwedenpop hat einen Nimbus, deshalb horcht die Musikbranche seit Jahren nach Stockholm, Malmö und Göteborg."
Oder seit Jahrzehnten. Schon in den Sechzigern haben Bands wie the Hep Stars mit ihrer Version des Trashmen Hits "Surfin Bird" oder Manufacture, the Bootjacks, Steampacket, the Lee Kings oder Soon or Later als eines der wenigen Länder mit den Größen England und den USA mithalten können. International wird leider nur oft nichts daraus.
Aber Schweden ist ein Mysterium des roch n' Roll.
Mir hat der Artikel gefallen.