Kendrick Lamars neues Album Damn. ist ein Fehler im System. Nicht,
weil es ohne die längst genreüblichen Verspätungen, Begleitfilme und sonstigen
Brimborien erschienen ist. Sondern weil es im Zeichen eines gar nicht
genreüblichen Bedürfnisses steht: dem nach Vereinfachung. Auf dem Cover ein
Schnappschuss, die Songtitel ein- bis dreisilbig, die Gastauftritte selten und
kurz – das meisterwartete Rap-Album des Jahres möchte alles eine Nummer
kleiner haben als bisher.
Das ist verblüffend, denn
Hip-Hop fängt man nicht an, um Kreismeister zu werden. Ziel sollte die
Weltherrschaft sein. Der ewig beleidigte Rapper Drake und die endlos
beleidigende Rapperin Nicki Minaj kommen diesem Allmachtsanspruch derzeit am
nächsten. Er sammelte mit seinem jüngsten Album More Life in weniger als einem Monat mehr als eine Milliarde
Streams. Sie brauchte nur sechs Jahre, um häufiger in den amerikanischen Charts
aufzutauchen als je eine Künstlerin zuvor. Beide erzwingen ihren Erfolg durch
eine Strategie der Publikumsüberforderung: Minaj-Singles erscheinen in solch atemloser Abfolge und Drake-Alben sind so lang, dass einem weder Zeit noch
Nerv bleibt, um irgendetwas anderes zu hören.
Auch Lamar kennt sich aus mit
Weltherrschaft und Publikumsüberforderung. Sein drittes Album To Pimp A Butterfly, veröffentlicht im
März 2015, behandelte Selbstermächtigung und Selbsthass vor dem Hintergrund
rassistischer Staatsgewalt in den USA. Es war eine komplizierte Abfolge von
inneren Monologen, imaginierten Gesprächen und plötzlich aus dem Künstler
herausplatzenden Kampfansagen. Dazu erklangen Bebop-, Freejazz- und psychedelische
Soul-Versatzstücke, von Lamar mit atemberaubenden Raps in ebenso atemberaubende
Songs übersetzt.
Die gesellschaftliche Sprengkraft dieser Musik konnte man sich als abseits stehender weißer Kritiker gerade noch ausmalen. Nicht jedoch, welche wunden Punkte und offenen Wunden sie bei ihren direkt adressieren Zuhörern treffen würde – Lamars alten, weniger gesegneten Weggefährten und anderen Menschen, deren Alltag nicht um Lebensplanung kreist, sondern um schlichtes Überleben. Für sein musikalisches Programm wurde To Pimp A Butterfly nahezu ausnahmslos gefeiert. Gerade unter afroamerikanischen Beobachtern regte sich jedoch auch Kritik an einigen seiner Botschaften.
Amerikas schwarze Bevölkerung
müsse erst lernen, sich selbst zu respektieren, bevor sie Respekt vom Rest des
Landes erwarten könne, hatte Lamar kurz vor der Veröffentlichung von To Pimp A Butterfly in einem Interview gesagt.
Auch einige Songs des Albums gerieten mit ihren Gedanken zu gesellschaftlicher
Schieflage und schwarzer Eigenverantwortung auf die Schiene der respectabiliy politics. Kein Wunder,
dass Lamar zum erklärten Lieblingsrapper Barack Obamas aufstieg: Der ehemalige
US-Präsident bediente sich bisweilen ähnlicher Rhetorik.
Wie staatsnah darf ein Rapstar sein?
Auf dem Cover von To Pimp A Butterfly hatte Lamar noch einen Staatsstreich vor den Toren des Weißen Hauses inszeniert. Wenig später wurde er buchstäblich durch den Gästeeingang hereingebeten. Während das Album Kritikerpreise und Platinplatten sammelte, musste sich Lamar die Frage gefallen lassen, wie staatsnah und -tragend ein Rapstar von den Straßen des sogenannten Problembezirks Compton im Los Angeles County auftreten darf. Obama hin, Weltherrschaft her – es ging schließlich noch immer um Hip-Hop, Amerikas Stimmungsbarometer der Abgedrängten und Unterdrückten.
Kennt man diese Geschichte, ergibt alles einen Sinn auf Kendrick Lamars neuem Album Damn. Der Rapper verengt den Blickwinkel sowohl textlich als auch musikalisch: Er verzichtet auf songübergreifende Erzählstränge und den fiebrigen, mit zahlreichen Kollaborateuren erarbeiteten Livesound von To Pimp A Butterfly. Stattdessen besinnt er sich im doppelten Sinne auf seine Herkunft. Damn. ist ein Instant-Denkmal für amerikanische Rapmusik, das zahlreiche stilistische Eigenheiten der Genre-Hochburgen Los Angeles, Atlanta und New York auf sich vereint. Die Songs handeln von Lamars Leuten zu Hause in Compton, von Freunden, Cousins, seinem Vater – aber auch von ihren gemeinsamen Feinden.
Ein Album für die Community
Vor der Veröffentlichung von Damn. hatte Lamar ein Versprechen abgegeben: Statt die großen Problemstellungen der US-Gegenwart zu beackern, wollte er das Album seiner Community und der dort verrichteten Basisarbeit widmen. Diese Herangehensweise entpuppt sich nicht als Abkehr vom Politischen, sondern als Strategie zur Verhandlichung der Regierungs- und Rassismuskrisen in seinem Heimatland. Natürlich geht es auf Damn. auch um Trump und dessen Programm für ein weißeres Amerika, um die Polizei, regierungsnahe Medien, die Organe des neuen Staats. Es geht Lamar allerdings nicht mehr darum, all das mit einem einzigen großen Knall zum Einsturz zu bringen.
Deshalb wirkt Damn. zunächst genügsam. Es besitzt
weder den musikalischen Wagemut von To
Pimp A Butterfly, noch die erzählerische Detailversessenheit von Lamars
Major-Label-Debüt Good Kid, M.A.A.D City
aus dem Jahr 2012. Tatsächlich geht die Platte systematischer vor als ihre
Vorgänger, hakt die Problemstellungen nacheinander ab, versieht Songtitel wie Loyalty., Pride., Fear. und God.
nicht umsonst mit einem abschließenden Punkt, der zu sagen scheint: Das letzte
Wort ist gesprochen. Ende. Nächstes Thema. Ende. Und so weiter.
Christlicher Glaube, erträglich für Zweifler
Die Geschichten und
Lösungsvorschläge stehen für sich und folgen zugleich einem gemeinsamen
Leitmotiv. Mehr denn je rückt Lamar seinen christlichen Glauben in den Fokus
der Songs, belässt es jedoch bei einer auch für Zweifler verträglichen Version
aus Sündenangst, Vergebungshoffnung und grundsätzlicher Nächstenliebe. Ein
vorab heiß diskutierter Gastauftritt von Bono im Song XXX erscheint vor diesem Hintergrund beinahe folgerichtig – und erweist
sich ohnehin als halb so wild. Lamar rappt gewohnt elastisch über die
Verführungen von Rache und Waffengewalt, Bono singt gewohnt salbungsvolle
Worte, und dann gehen sie hin in Frieden.
Dieser dezente Umgang mit
gewichtigen Themen und Namen ist charakteristisch für Damn., auch darin grenzt sich Lamar von anderen Rappern seiner
Größenordnung ab. Wo Drake zuletzt auf globale Shoppingtour ging, seinen Songs
neuste Trends aus England, Jamaika und Südafrika einverleibte und auch damit
den eingangs erwähnten Allmachtsanspruch unterstrich, setzt Lamar der
Weltmusik seines ewigen Rivalen eine enger gefasste, aber souveränere – und
natürlich besser gerappte – Community-Musik entgegen. Auf Damn. ist er der Kreismeister von Compton. Das klingt doch gar
nicht so schlecht.
Damn. von Kendrick Lamar ist erschienen bei Top Dawg / Aftermath / Interscope / Universal.
Kommentare
Dieser Mann ist einer der wichtigsten Künstler unserer Zeit.
"Er verzichtet auf songübergreifende Erzählstränge"
Naja, er wird im Intro von der fehlgeleiteten Justinia erschossen und die Lieder danach beschreiebn wie das Leben an ihm vorbeizieht. Finde das schon einen geschlossenen Erzählstrang ;)
Tolles Album, das mit jedem Hören besser wird. Kendrick ist natürlich auch ein Ausnahmekünstler, der Kunst zur Geslelschaftsbildung nutzt und nicht für den Kommerz...
Und ein Künstler der mit jedem Album besser wird. Section.80 war in Ordnung (richtig gut gefallen haben mir da nur HiiiPoWeR, A.D.H.D und Spiteful chant) Good Kid M.A.A.D City war aber schon oberstes Niveau und lässt sich auch 30 mal hören ohne nachzulassen. To pimp a butterfly hat dann gezeigt dass Kendrick in einer ganz anderen Liga spielt als die Drakes und mittlerweile Kanyes dieser Welt. Erfrischend an DAMN. ist, dass der Erfolg der letzten beiden Alben ihm nicht mehr so zu Kopf zu steigen scheint. Dies ist einfach solider HipHop mit minimalistisch durchdachtem Konzept. TPAB war super konzipiert und lyrisch genialer als die Vorgänger. Ich hatte aber den Eindruck, dass er durch den Erfolg philosophischer und weniger persönlich wird, vor allem bei "mortal man".
Diese ominöse Staatsnähe, die hier unterstellt wird, ist übrigens genauso ziemlich daneben wie oben bereits kritisierter Satz. Der Mann lebt immernoch in Compton. Und weil ein schwarzer Präsident dann deine inhaltlich sehr richtige Musik mag, bist du dann staatsnah? Ich glaube da verwechselt jemand, persönliche Vorlieben mit Staatsnähe. Der Mann ist einfach politisch und gesellschftlich engagiert ohne Politiker sein zu wollen.
>Deshalb wirkt Damn. zunächst genügsam. Es besitzt weder den musikalischen Wagemut von To Pimp A Butterfly, noch die erzählerische Detailversessenheit von Lamars Major-Label-Debüt Good Kid, M.A.A.D City aus dem Jahr 2012. Tatsächlich geht die Platte systematischer vor als ihre Vorgänger, hakt die Problemstellungen nacheinander ab, versieht Songtitel wie Loyalty., Pride., Fear. und God. nicht umsonst mit einem abschließenden Punkt, der zu sagen scheint: Das letzte Wort ist gesprochen. Ende. Nächstes Thema. Ende. Und so weiter.
Das klingt für mich komplett falsch. DAMN. ist alles andere als genügsam. Kendrick ist innerlich zerrissener als je zu vor und klingt auch wütender als je zuvor (DNA.? XXX.?). Genauso wenig sind die Themen abgehakt, manche Songs wie LOVE. schneiden das Thema mal gerade eben so an.
Systematischer? Das Album ist nicht nur inhaltlich weniger durchstrukturiert als die vorherigen Platten, sondern auch musikalisch, sinnbildlich für einen Menschen, der mit sich selber und den (nahezu messianischen) Erwartungen, die an ihn gestellt werden, nicht im Reinen ist.
Weiterhin besitzt das Album trotz allem, anders als dargstellt, auch ein durchgängiges und übergreifendes Konzept. Nicht umsonst wird am Ende von DUCKWORTH. an den Anfang zurückgespult. Kendrick wird am Anfang erschossen, das Leben zieht an ihm vorbei und er weiß selber nicht so genau, was er davon halten soll.
Auch die unterstellte Staatsnähe scheint mir sehr weit hergeholt...
Prima. Bessere Kritik als meine oben.