Er ist einer der größten Klassikstars aller Zeiten. Seit mehr als einem halben Jahrhundert steht Plácido Domingo auf den Bühnen der Welt, er hat über 150 verschiedene Opernrollen in über 4000 Aufführungen gesungen. Seit er aus Altersgründen in seinem angestammten Stimmfach Tenor nicht mehr singen kann, erarbeitet er sich mit bewundernswürdiger Energie die großen Baritonrollen der Musiktheatergeschichte. Der 78-Jährige ist außerdem als Dirigent tätig – 2018 leitete er mehrere Walküre-Aufführungen bei den Bayreuther Festspielen. In den USA leitete Domingo die Oper in Washington D.C. und amtiert noch immer als Intendant in Los Angeles.
Jetzt aber sieht sich der spanische Künstler mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Die Nachrichtenagentur AP hat eine umfangreiche Recherche veröffentlicht, in der neun Frauen erklärten, Plácido Domingo habe sie bedrängt und mit dem Entzug von Rollenbesetzungen gedroht, für den Fall, dass er zurückgewiesen werde. Sechs weitere erklärten, sie hätten sich unwohl geführt durch Domingos Verhalten. Drei Dutzend Mitarbeiter von Opernhäusern bestätigten darüber hinaus AP, dass sie Zeuge eines unangemessenen Verhaltens des Sängers gegenüber Frauen gewesen sind.
Dass Domingo ein Schürzenjäger ist, so sagen einige der Befragten, sei allerdings ein offenes Geheimnis in Klassikkreisen gewesen. Vielfach wurde jungen Sängerinnen von Kolleginnen und Kollegen darum geraten, sich nie allein in einem Raum mit Domingo aufzuhalten. Die Vorwürfe reichen bis zu drei Jahrzehnte zurück. An der Berliner Staatsoper, wo Domingo in den vergangenen Jahre wiederholt mit Daniel Barenboim zusammengearbeitet hat, war wegen der Theaterferien keine Stellungnahme zu bekommen.
Seit 1962 ist Domingo verheiratet, seine Frau Marta ist selbst ausgebildete Sängerin, hat ihre Karriere ihm zuliebe aber aufgegeben. Sehr eifersüchtig sei sie nicht, sagte der Ehemann: "Sie hat keine Probleme damit, wenn eine schöne Frau auf mich zukommt und mir ein Kompliment macht. Sie kann es allerdings nicht ausstehen, wenn sich die Dame versteckt, sobald sie auftaucht. Das macht sie richtig wütend."
Plácido Domingo wollte auf konkrete Fragen von AP nicht antworten, schickte aber eine Erklärung an die Nachrichtenagentur, in der er sich gegen die Vorwürfe wehrt, er habe sich in unangemessener Weise den jungen Frauen genähert. Er betonte, dass all seine Beziehungen einvernehmlich gewesen seien. "Es schmerzt mich zu hören, dass ich jemandem unangenehme Gefühle bereitet habe, egal, wie lange es her ist und ob meine Absichten nur die Besten waren", schreibt er. Des Weiteren räumt er ein, dass Verhaltensweisen, die in der Vergangenheit toleriert, also lediglich als Kavaliersdelikte eingestuft wurden, in Zeiten der Metoo-Bewegung mittlerweile als unangemessen gewertet werden. Und das sei gut so.
Ungebetene Besuche in der Garderobe, mehr als freundschaftliche Umarmungen, Küsse auf den Mund, auch wenn sein Gegenüber ihm nur die Wange angeboten hat, wiederholte nächtliche Telefonanrufe, insistierende Einladungen zum Dinner. Die Liste der Avancen, die AP in der Recherche offenlegt, ist lang. Bis auf eine einzige Befragte allerdings wollten sich alle betroffenen Frauen nur anonym äußern. Nur die Mezzosopranistin Patricia Wulf taucht in dem Bericht mit Klarnamen auf.
Seit Jahrzehnten ist Plácido Domingo es gewohnt, dass ihm überall, wo er auftaucht, Applaus entgegenbrandet. Darüber ist ihm im Privaten vielleicht das Gespür dafür abhanden gekommen, dass es auch Frauen geben könnte, die sich ihm nicht zu Füßen werfen mögen.
Künstlerisch ist er ein Phänomen. Wie er sich über die Zeit seine unverwechselbare Mischung aus südlich-sonnigem Timbre und maskuliner Kernigkeit bewahren konnte, bleibt rätselhaft. Ebenso wie sein genaues Alter. In manchen Lexika wird 1934 als Geburtsjahr angegeben. Damit wäre er jetzt bereits 85.
Kommentare
Und täglich grüßt das Murmeltier. Ich glaube es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass einige Verhaltensweisen damals tatsächlich als Kavaliersdelikte durchgegangen sind. Etwas mehr getätschelt, sehr innige Umarmung, ein anzüglicher Spruch usw. Mittlerweile kennt man das schon und es wird immer endlose Debatten geben, was zu viel sei und wo man nicht gleich so zimperlich sein solle. Ich muss aber zugeben, dass ich Männer (und auch Frauen), die in der Hinsicht sich stets immer im grauen Bereich bewegen, auch nicht wirklich verstehen kann. Klar, sowohl als ich, als auch die meisten anderen Menschen auf dieser Welt sind Wesen mit sexuellen Trieben. Doch dieses exzessive Bedürfnis mit jeder x-beliebigen Person des anderen Geschlechts zu jedem Anlass sich irgendwie auf einer zumindest abgeschwächten sexuelle/intime Ebene in Kontakt zu treten, werde ich nie verstehen. Abgesehen davon, dass offensichtlich das Schamgefühl bei jenen Leuten maximal unterentwickelt sein muss, stellt sich mir eine Frage: Werden solche Leute wie Herr Domingo nicht irgendwann müde davon?
Ich glaube nicht, dass es dabei um sexuelle Erfüllung geht. Wie ein anderer Forist bereits geschrieben hat, es geht dabei vielfach um Macht.
Entfernt. Bitte bleiben Sie beim Thema. Danke, die Redaktion/mh
"Des Weiteren räumt er ein, dass Verhaltensweisen, die in der Vergangenheit toleriert, also lediglich als Kavaliersdelikte eingestuft wurden, in Zeiten der Metoo-Bewegung mittlerweile als unangemessen gewertet werden. Und das sei gut so."
Immerhin streitet er nicht alles ohne Wenn und Aber ab, sondern differenziert. Das habe ich von anderen Prominenten, die sich gegen solche Anschuldigungen zur Wehr setzen, bisher noch nicht gelesen.
"Die Vorwürfe reichen bis zu drei Jahrzehnte zurück."
Und hier die nächste öffentliche Hinrichtung. Wieder und wieder widerlich.
Den Unterschied zwischen Berichterstattung und Vorverurteilung kennen Sie?
Ich sehe in dem Artikel keine Schuldzuweisung.
Widerlich ist es, aus einem Täter ein Opfer zu stilisieren.
Wer sexuell übergriffig wird, muss die Konsequenzen tragen.
Widerlich ist, einen Menschen als Täter zu bezeichnen, weil irgendjemand nicht erwiesene und (weil Jahrzehnte her) nicht mehr erweisliche/verjährte Dinge behauptet. Das ist zum Brechen.
"Die Liste der Avancen, die AP in der Recherche offenlegt, ist lang. Bis auf eine einzige Befragte allerdings wollten sich alle betroffenen Frauen nur anonym äußern. Nur die Mezzosopranistin Patricia Wulf taucht in dem Bericht mit Klarnamen auf. "
Kein Konjunktiv. Es wird etwas "offengelegt".
"Offengelegt" wird aufgrund anonymer Schilderungen.
Und: Uralt und verjährt.
Ja, ICH kenne den Unterschied zwischen Berichterstattung und Vorverurteilung.
"Plácido Domingo:
Grabschen, drohen, nächtliche Anrufe"
Das ist die Überschrift. Und das soll neutrale Berichterstattung und kein Urteil sein? Das ist genau die Methode eines für seine Schlagzeilen bekannten überregionalen Blattes.
Es ist nicht "irgendjemand", sondern es sind mehrere Personen, genaugenommen neun, plus "Drei Dutzend Mitarbeiter von Opernhäusern bestätigten darüber hinaus AP, dass sie Zeuge eines unangemessenen Verhaltens des Sängers gegenüber Frauen gewesen sind."
"... einen Menschen als Täter zu bezeichnen"
Wo wird er denn als Täter bezeichnet?
Wenn sich die Vorwürfe als wahr herausstellen sollten, wen oder was finden Sie denn dann "widerlich" und zum "brechen"?
Da stimme ich Ihnen zu.
Die Headline zum ersten Bericht war deutlich neutraler.
"violettagetyourgun" hat ihn so bezeichnet. Darauf habe ich reagiert.
Wie sollten sie sich denn was als wahr herausstellen, wenn ein Strafprozess nicht mehr in Betracht kommt und wenn die Anonymität der angeblichen Beschuldiger dem Beschuldigten jede Möglichkeit nimmt, mit zivilrechtlichen Verfahren zu reagieren?
Es gibt dann keine Chance, dass sich je die Wahrheit herausstellte. Das scheint mir auch das bewusste Kalkül.
Genaugenommen 51.
- Neun Frauen erklärten, Plácido Domingo habe sie bedrängt und mit dem Entzug von Rollenbesetzungen gedroht, für den Fall, dass er zurückgewiesen werde.
- Sechs weitere erklärten, sie hätten sich unwohl geführt durch Domingos Verhalten.
- Drei Dutzend Mitarbeiter von Opernhäusern bestätigten darüber hinaus AP, dass sie Zeuge eines unangemessenen Verhaltens des Sängers gegenüber Frauen gewesen sind.
Sie beantworten meine Frage nicht, reden sich heraus, werfen anderen Vorverurteilung vor und praktizieren selber Pauschalfreispruch.
Das Wort Täter habe ich in dem Artikel erneut nicht gefunden.
Es gibt sehr wohl eine Chance auf Wahrheit.
Domingo bestätigt einen der Vorwürfe oder jemand gibt zu durch Falschbehauptung bewusst ihm Schaden zufügen zu wollen ...
"Sie beantworten meine Frage nicht, reden sich heraus, werfen anderen Vorverurteilung vor und praktizieren selber Pauschalfreispruch."
Quatsch.
Es wird nie eine Wahrheit geben, wenn der Beschuldiger sein Gesicht nicht zeigt und keine konkreten Vorwürfe erhebt.
Ich kann niemanden freisprechen. Sie sollten sich fragen, ob Sie jemanden verurteilen dürfen.
Zum "Täter" habe ich alles gesagt. Bitte lesen Sie.
Wenn sich jemand verwerflich und/oder strafbar verhalten hat, werde ich das nicht verteidigen. Wir wissen aber nichts.
Das will auch niemand wissen. Das hier hat Methode. Wenn die Beschuldiger ein aufrichtiges Interesse an der Wahrheit hätten, würden Sie ihr Gesicht zeigen und sich einer gerichtlichen Auseinandersetzung stellen. So weit reicht die Betroffenheit dann aber doch nicht.
Lieber heimtückisch aus dem Hinterhalt. Mit Hilfe der "dritten Gewalt". Schändlich.
Ein Täter ist man nur dann, wenn man Beweise vorlegen kann.
Anonyme Anschuldigungen sind keine Beweise.
Die Berichterstattung ohne (Vor-)Verurteilung hat aber bereits jetzt reale Folgen für Domingo. Siehe die Annulierung seiner Verträge in San Francisco. Realität sieht eben sehr oft anders aus als Theorie.