Der Leipziger Musiker Sebastian Krumbiegel hat ein Lied für die Demokratie geschrieben, in dem über sie zu erfahren ist, dass sie "weiblich" und "verletzlich" ist und dass "Liebe" und "Hoffnung" ihre "Schwestern" sind. Ferner sind "Barmherzigkeit" und "Humanität" genau das, "worum es geht" (neben der Demokratie natürlich), derweil die "Klugheit" ebenso "auf der Matte steht" (Jesus!) wie "Solidarität", "Schönheit", "Freiheit" und "Verliebtheit".
"Ich will ein Leben lang für diese Dinge gradestehn", heißt es im Refrain, "mit all den Leuten, die auf unsrer Seite sind". Im dazugehörigen Video bewegt eine Heerschar von Personen des öffentlichen Lebens zu Krumbiegels Gesang mal mehr und oft erstaunlich weniger synchron die Lippen. Die Intendantin des Berliner Maxim-Gorki-Theaters Shermin Langhoff ist ebenso dabei wie der Unterhaltungskünstler Olli Dittrich, der unvermeidliche Udo Lindenberg ebenso wie die unvermeidliche Anna Loos, der WDR-Intendant Tom Buhrow ebenso wie die Schweizer Autorin Sibylle Berg.
Da Demokratie nicht nur weiblich
ist, sondern sich auch aus Rede und Gegenrede konstituiert, muss man gegen dieses Lied und dieses Video etwas einwenden: Es erscheint psychologisch
wie feministisch zunächst einmal überaus bedenklich, dass gleich in der ersten
Strophe (bevor mit Til Schweiger der erste Mann zu sehen ist) stumm mimende
Frauen von Krumbiegel (s)eine Stimme verliehen bekommen, die sich dann – astreines Mansplaining hier – über Weiblichkeit auslässt.
Wenn man sich daran erinnert, dass der Sänger vor ziemlich genau zehn Jahren mit seiner Band Die Prinzen im Lied Frauen sind die neuen Männer in ironisch getarnter Weinerlichkeit die Auflösung von Geschlechterstereotypen beklagte, erkennt man die bedenkliche Kontinuität eines bestimmten Frauenbildes. Demnach ist die Frau an sich zwar beliebt und begehrt, aber eben als stumme Dulderin des über sie verfügenden Mannes. Dazu passt dann auch, dass der singende Mann in Krumbiegels aktuellem Song "für diese Dinge geradestehn" möchte. Wer könnte das besser als er, der starke Soldat, der große Beschützer, mit seinem gewiss gewaltigen Penis?
So kommen wir zu Generaleinwand Nummer zwei: Wofür steht er da eigentlich gerade? Ist es eine Demokratie, die ihre Feinde erkennt, benennt und bekämpft? Oder sie vielleicht sogar ungewollt umarmt? So wie das Lied jetzt ist, könnten jedenfalls die demokratisch gewählten Alice Weidel und Jörg Meuthen fröhlich mitträllern. Wenn sie nicht – diesen kleinen Mittelfinger ins kryptofaschistische Milieu muss man dem Lied auf jeden Fall zugutehalten – nicht zu abgetörnt sind von der starken Betonung des Nicht-Starken.
Die politische Couleur lässt sich nur an Details erkennen. Die Beteiligung des Zentrums für politische Schönheit ist so eins. Björn Höcke gefällt das gewiss nicht. Einige der Frauen recken im Video die geballte Faust nach oben. Auch dass der antifaschistische Fernsehkoch Ole Plogstedt im Seawatch-T-Shirt mitplaybackt, zeigt eine eindeutig nicht rechte Haltung zu den Themen Flucht und Migration.
Da mag man nun sogar weniger großartige Menschen als Plogstedt in diesem Video versammelt sehen und Krumbiegels belanglosen Text und die bedenkliche Schwärmerei für das anachronistisch Weibliche ganz fürchterlich finden. Aber es geht ja um mehr. Es geht um das Entwerfen von Schönheit und Zartheit als emotionale Gegenkategorien zu den misstrauischen und egozentrischen Erzählungen der neuen Rechten. Das ist, getragen von der abgebildeten Vielfalt, durchaus anrührend.
Im allgemeinen Diskurs ist derzeit viel von kultureller Aneignung die Rede; davon, wie problematisch es zum Beispiel ist, wenn weiße Mittelschichtkinder Dreadlocks tragen, ohne aber die Diskriminierungserfahrungen derjenigen Rastafaris gemacht zu haben, die sie damit imitieren. Bei Die Demokratie ist weiblich geschieht das ziemlich genaue Gegenteil. Frauen und Mitglieder von Minderheiten eignen sich einen Text an, der sie erst einmal (zu) wenig repräsentiert. Damit setzen sie sich souverän über alle möglichen Vorbehalte hinweg und vermitteln: Indem wir alle die rudimentäre Botschaft dieses Liedchens unterstützen, betonen wir die Dringlichkeit eines Schulterschlusses gegen die Feinde der Demokratie. Wir erkennen an, dass wir unseren Kampf nicht allein im Safe Space gewinnen, wir müssen ihn auch auf Stadtfesten in Gera oder Freiberg austragen.
Man
kann nun im ewigen We are
the World ein völlig unterentwickeltes Bewusstsein für die Mechanismen des
Kolonialismus erkennen, man kann im schnauzbärtigen Kölner Arsch huh Klassismus
und unnötig reproduzierten Rassismus finden. Nicht zuletzt aber, indem Menschen
mit Diskriminierungserfahrungen die jeweiligen Botschaften mitgetragen haben, konnten die Lieder so wuchtig werden, global oder regional sinnstiftend, über Generationen hinweg.
Dem gegenwärtigen Kampf gegen die Feinde der Demokratie fehlt ein solches Lied
noch, auch das große Chemnitzer #wirsindmehr-Konzert im letzten Herbst verklang
ohne diesen einen Song. Sebastian Krumbiegel hat sich nun an ihm versucht, und das ist doch schon mal was.
Kommentare
Entfernt. Bitte bleiben Sie beim Thema. Danke, die Redaktion/me
Herr Krumbiegel hat in Sachen Demokratie und Weiblichkeit in so fern recht, als dass es auch 4 Frauen waren, die entscheidend am Grundgesetz mitgewirkt haben. Und das wirklich entscheidend. Frau Seibert und Frau Nadig haben wir Artikel 3.2 zu verdanken.
Ohne sie stünden wir in Punkto Frauenrecht in Deutschland anders da !.
Ansonsten nur so viel. Ich hatte mal ein längeres privates Gespräch mit Sebastian k:
Ich bin nicht immer konform mit seiner Meinung in einzelnen Punkten. Aber der Mann ist für mein dafür einer der größten Demokraten unseres Landes. Und was er mir so alles im Gespräch erzählte, welch Anfeindungen seitens vieler seiner Ostdeutschen Landsleute er ertragen muss, das erfordert ne Menge Mut und Stärke das auszuhalten. Hinterm PC und Smartphone verstecken kann sich jeder. Sich den politischen Gegnern und persönlichen Feinden aber wirklich stellen, mit sachlichen Argumenten und belegbaren Fakten zu argumentieren und gegen alle Wiederstände Haltung bewahren. Das kostet verdammt viel Kraft. Viel mehr als immer nur gegen die Politik und Minderheiten im Land zu schreien !.
„...man kann im schnauzbärtigen Kölner Arsch huh Klassismus und unnötig reproduzierten Rassismus finden.“
Man kann sich auch therapieren lassen, wenn man sich überall von Rassismus, Hass und Feindlichkeit verfolgt glaubt. Verfolgungswahn ist nichts unheilbares.
Auch wenn die Monarchie abgeschafft ist - die Prinzen finde ich gut.