Der Strongman Joni Purmonen, 39 Jahre
Bevor Joni Purmonen die 130 Kilogramm mit einem Ruck über seinen Kopf stemmt, entschuldigt er sich: "Mein Körper ist für das Gewichtheben nicht geeignet. Ich muss doppelt so hart an mir arbeiten, um mein Ziel zu erreichen." Ohne zu schwanken hält er die Langhantel in der Luft. Die Anstrengung lässt den tätowierten Schriftzug "XveganX" an der Innenseite seines Unterarms anschwellen. "Easy!" raunt sein Trainingspartner. Es klingt, als wolle er ein Tier beruhigen.
Wenn der 1,85 Meter große Schwergewichtler in Arbeitskleidung auf einen zukommt, braucht es Mut, um ihm die Hand hinzustrecken. Doch Purmonen hält sich beim Händedruck zurück. Seit etwas mehr als einem Jahr wohnt der Finne in Berlin. In einem ungeheizten Lagerhaus in Karlshorst stehen seine Trainingsgeräte: Maschinen und Bänke, die er als Unternehmer an Sportstudios verkauft. Und seine eigenen, an denen er vier Mal pro Woche mit Freunden trainiert. "Nicht alle meine Trainingspartner sind Veganer", sagt Purmonen, "meine vier Mitarbeiter schon."
Seit 22 Jahren lebt der 39-Jährige vegan, seit etwa zehn ist er
Kraftsportler. Davor sei er vor allem gejoggt: "Langstrecken liegen mir sehr."
Ein Bürojob bewog ihn, mehr für seinen Rücken zu tun. Aus dem Training mit
Gewichten wurde seine Berufung: 2007 meldete er sich zum ersten Mal als
Strongman für einen Wettbewerb an. Bei den international stattfindenden
Schauwettbewerben demonstrieren die Teilnehmer ihre Muskelkraft und Ausdauer in
dem sie Telefonbücher zerreißen oder Lkws ziehen.
Mittlerweile nimmt Purmonen fünf bis sechs Mal im Jahr an internationalen Meisterschaften teil, hebt und stemmt und wuchtet Gegenstände in der Klasse bis 105 Kilogramm Körpergewicht. "Wenn ich eine Langhantel stemme, bleibt deren Gewicht für den Zuschauer abstrakt", erklärt Purmonen, dessen größter Erfolg der achte Platz bei den britischen Meisterschaften war. "Hebe ich Milchkannen, fühlt das Publikum mehr mit."
Vom Jäger zum Tierrechtler
Kraftsport und vegane Ernährung – das geht für viele nicht zusammen. "Es gibt nicht viele Leistungssportler und noch weniger Veganer", sagt Purmonen. "Als veganer Leistungssportler kann man sich schon mal einsam fühlen." Dass seine Ernährung seiner Karriere als Strongman im Weg stehen könnte, glaubt er nicht. "Im Gegenteil: Der Veganismus bringt mich dazu, mich noch mehr anzustrengen." Um sich und anderen Sportlern Mut zu machen und eine Plattform zum Austausch zu bieten, hat er die Website veganfitness.net eingerichtet.
Es komme selten vor, dass ein Kontrahent versuche, ihn mit Sprüchen über seine Ernährung zu provozieren, sagt Purmonen. Ein wenig Gefrotzel in der Umkleidekabine gehöre zum Wettbewerb dazu. Mehr Aufmerksamkeit errege sein Tattoo. Purmonen zieht sein "I love Tofu"-Shirt hoch. Wo bei anderen ein Arschgeweih prangt, springt bei ihm ein Fuchs über den Rücken. Eine Erinnerung an den Jäger, der sich zum Tierrechtler gewandelt hat.
Als
Jugendlicher sei er oft mit seinem Vater in seiner Heimat Vihti im Süden
Finnlands jagen und fischen gewesen. Bei den Ausflügen mit dem Gewehr habe sich
jedoch sein Gewissen gemeldet: "Ich bewunderte diese schönen Lebewesen.
Gleichzeitig dachte ich darüber nach, wie man sie tötet."
Entscheidung ohne Zögern
Zum Veganer wurde er nach einem Interrail-Urlaub. Zwei Jugendliche, mit denen er sich angefreundet hatte, gingen ihn auf der Fähre nach England an, weil er ein Schinkensandwich aß. Danach habe er kein Fleisch mehr angerührt und sich von allen anderen tierischen Produkten losgesagt. "Als Jugendlicher trifft man solche Entscheidungen ohne Zögern."
Anfangs habe er das Fleisch noch vermisst, die Blut- oder Leberwurstgerichte, die es zu Hause gab. Doch der Tierschutz war ihm wichtiger. So sehr, dass er sich manchmal auch ungesund ernährt habe – auf Reisen zuweilen nur von Orangensaft und Erdnüssen. "Sojadrinks gab es damals nicht." Auch Tofu war in der finnischen Provinz nicht zu bekommen. Das habe sich mittlerweile geändert. Etwa 17 Prozent der Finnen sind laktoseintolerant. "Im Supermarkt findet man inzwischen fast alles, was man für eine vegane Ernährung braucht."
5.000 Kalorien am Tag
Sein Diätplan sei dennoch nicht ausgewogen, gibt Purmonen zu und nimmt einen Schluck aus der 1,5-Liter-Flasche auf seinem Schreibtisch. Ein Energydrink. "Ich benötige 5.000 Kalorien am Tag. Gemüse und Hülsenfrüchte geben das nicht her." Deswegen isst er regelmäßig Chips, Eis, oder Pizza, alles pflanzlich. "Ich liebe Soja-Wurst oder diese Dinger, die wie Hähnchenstücke schmecken – je fleischiger, desto besser."
Zurzeit sucht er nach Räumen, um ein eigenes Fitnessstudio zu eröffnen. Die Lagerhalle sei an kalten Tagen recht ungemütlich. "Im vergangenen Winter sind wir wegen der Kälte an den Metallteilen kleben geblieben". Vegan soll das Studio werden, zudem frei von Rassismus und Sexismus. Dass er schnell Kundschaft finden wird, darüber macht sich Purmonen keine Sorgen. Männer und Frauen, die Muskeln aufbauen wollen, gebe es überall auf der Welt. Und "abgesehen von Portland gibt es kaum eine Stadt, in der das Interesse an Veganismus so stark ist wie in Berlin."
Kommentare
#echtzeit-Debatte mit Andreas Grabolle
Den drei hier vorgestellten Menschen ist eines gemeinsam: Sie empörten sich über Tierleid und wurden darum Veganer. Andreas Grabolle geht es nicht anders. Als der Biologe und Wissenschaftsjournalist die Recherche für sein zweites Buch begann, stand eine einfache Frage im Vordergrund: Was kann ich heute noch essen?
Nach der Recherche wollte Grabolle es nicht mehr verantworten, dass Tiere seines Appetits auf Fleisch wegen leiden. "Kein Fleisch macht glücklich" ist ein Buch geworden, das vielen Veganern als Standardwerk gilt. Der Vegetarierbund kürte es kürzlich zum Sachbuch des Jahres 2013.
Können Konsumenten durch ihren Verzicht auf tierische Produkte etwas an den Produktionsverhältnissen ändern und das Leiden der Tiere verhindern? Immer mehr Menschen scheinen das anzunehmen. Ob es anders nicht geht und ob es deshalb in Deutschland einen neuen Trend zum Veganismus gibt, wollen wir mit Ihnen und Andreas Grabolle diskutieren. Ab 15.30 Uhr steht er dafür hier im Kommentarbereich zur Verfügung.
Verzicht
immer wieder möchte ich betonen, dass es kein Verzicht ist keine Tiere zu essen! Nicht für diejenigen die sich vegan ernähren - für sie ist es eine Bereicherung!
Das Wort Verzicht beinhaltet etwas negatives - als ob etwas fehlen würde.
Dem Nichtraucher fehlen nicht die Zigaretten, er verzichtet nicht!
Mit tausenden Beispielen lässt sich das Wortspiel fortsetzen! ich verzichte nicht auf Sklavenhaltung, auf Vergewaltigung, auf Diebstahl, auf Mord, auf dieses uns jenes, sondern handele aus einer Erkenntnis heraus und führe ein um diese Erkenntnis bereichertes Leben!
Durch die permanente Wahl des Wortes Verzicht wird dem Leser suggeriert dass es etwas schlechtes sei auf etwas zu "verzichten" -- und dem ist nicht so!
Fleisch schmeckt gut
Daher verzichtet man auf den Geschmack.
Und die Nährstoffe.
Es ist Verzicht.
Ob Tiere deswegen leiden oder nicht ist schon interessanter.
Was ist besser gelebt zu haben, aber gelitten oder nie gelebt zu haben?
Viele beantworten diese Frage mit: Hauptsache leben.
Aber jedes Tier würde auch in der Natur leiden, zwar anders, aber es würde leiden. An Krankheiten, am Hungertod oder an Verletzungen oder weil es von einem Raubtier gerissen wird [...]. Nur sind wir hier das Raubtier.
Relevanz der Debatte
Der wichtigste Punkt des Artikels steht direkt am Anfang: Die Anzahl an Veganern in Deutschland reicht gerade einmal aus, um eine mittlere Stadt zu füllen.
Damit stellt sich die Frage, wieso über dieses Thema überhaupt so intensiv berichtet wird. Vermutlich, weil es sich als Zuspitzung eines allgemeinen Trends zu besserer Ernährung (oder das, was dafür gehalten wird), Umweltbewusstsein und Tierrechten in Deutschland eignet. Gut für die Presse. Und Veganer zu haten, füllt auch die Kommentarseiten auf Zeit Online, es ist aber im Grunde eine Null-Debatte, weil für die meisten Menschen eine vegane Ernährung schlichtweg nicht in Frage kommt.
Moralisch geboten ist vegane Ernährung ebenfalls nur dann, wenn man die Prämisse teilt, dass Menschen und die restlichen Tierarten dieselben Rechte besitzen müssen, da ein Tierleben genauso viel wert ist wie ein Menschenleben. Eine Vorstellung, die mich angesichts der grundsätzlichen Unmöglichkeit einer Letztbegründung innerhalb der Ethik schlichtweg argumentativ nicht überzeugt und die ich nicht teile.
Im Endeffekt läuft es doch darauf hinaus, dass die meisten Menschen nicht gänzlich auf tierische Produkte verzichten möchten, sei es aus Genuss oder gesundheitlichen Erwägungen. Insofern würde ich bessere Haltungsbedingungen nur dann befürworten, wenn dadurch auch die Qualität der Lebensmittel - insbesondere bei Fleisch und Milch - gesteigert würde, was wünschenswert wäre.
Ein grundlegender Verzicht stellt für mich keine Option dar.
Keineswegs eine zwingende Voraussetzung
"Moralisch geboten ist vegane Ernährung ebenfalls nur dann, wenn man die Prämisse teilt, dass Menschen und die restlichen Tierarten dieselben Rechte besitzen müssen, da ein Tierleben genauso viel wert ist wie ein Menschenleben."
Wenn jemand der Meinung ist, dass es falsch wäre, konsequent den Menschen zu retten, wenn wir aus einem brennenden Haus nur ein Lebewesen, einen Menschen oder ein Tier einer anderer Spezies retten könnten, setzt das voraus, dass man meint, dass ein Leben eines Tieres einer anderen Spezies genau gleichviel Wert ist wie das eines Menschen.
Es gibt gute Gründe gegen die Spezies-Zugehörigkeit als ethisch relevantes Kriterium, aber darauf kommt es im Grunde nicht einmal an.
Wir wägen nicht ein Menschenleben gegen das eines Tieres einer anderen Spezies ab. Es gibt äquivalente Ernährungsweisen, die für Menschen genauso geeignet sind (tendenziell scheint die vegane Ernährung zu den gesünderen zu gehören). Kein einziger Mensch leidet darunter, wenn wir uns vegan ernähren, aber das Leiden vieler Nutztiere, die sonst für die Nahrung ausgebeutet und getötet werden müssten, kann so vermieden werden. Auch jemand, der Menschen für deutlich wichtiger hält als Tiere anderer Spezies, sollte es für sinnvoll halten, sich zum Vermeiden des Leidens von Tieren vegan zu ernähren. Nur wenn man die ethische Relevanz von Tieren für null oder nahezu null hält, ist es leicht, zu rechtfertigen, dass man für kurzen Gaumengenuss Tiere leiden lässt.
Verzicht
Sie tun der veganen Bewegung keinen Gefallen, indem sie hier das Wort "Verzicht" umdefinieren, weil ihnen der Satz "Veganer verzichten auf tierische Produkte" nicht gefällt, da er ihrer Meinung nach etwas negatives suggeriert.
In der Tat sind all ihre Aufgezählten Beispiele natürlich korrekte verwendungen des Wortes "verzicht". Viele ihrer Beispiele sind natürlich etwas unglücklich gewählt, da es schon ein Unterschied ist, ob ich aktiv jemanden umbringen könnte und darauf "verzichte", oder ob mir ein Wirt ein Steak vor die Nase hält und ich dann darauf "verzichte".
Veganer verzichten natürlich auf den Genuss von tierischen Produkten. Ihnen wird dieser Verzicht warscheinlich unglaublich leicht fallen, da sie eh kein Fleisch mögen. Viele Veganer würden meiner Erfahrung nach aber schon gerne ein Steak essen, wenn es moralisch verträglich wäre und die Fülle an Fleischersatzprodukten belegt meine Behauptung.
Seien sie nicht so negativ. Die Fähigkeit verzicht zu üben ist meiner Ansicht nach ein Zeichen von Kontrolle und Intelligenz, denn tendenziell laufen Idioten ihren Bedürfnissen und Emotionen blind hinterher und gebildete Menschen haben tendenziell mehr Kontrolle darüber und können eben sagen: Nein, auch wenn das Steak gut richt esse ich es nicht, weil ich weiss, dass ein Tier dafür leiden und sterben musste und ich mit dem Verzehr diesem Treiben aktiv unterstütze, weil ich einen wirtschaftlichen Bedarf erzeuge.