Nun also ein ganzes Wochenende. Von Samstag zwei Uhr
an will die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) den Regional-
und Fernverkehr in Deutschland lahmlegen. Erst am frühen Montagmorgen
soll der Ausstand enden. Es ist der fünfte Streik innerhalb des laufenden Konflikts mit der Deutschen Bahn.
Unverschämtheit, mag jetzt manch ein Reisender denken. Schon wieder diese Lokführer! Und warum gerade dieses Wochenende? Beginnen doch da in sieben Bundesländern die Herbstferien. Millionen von Bahnreisenden dürften vom Streik betroffen sein, sollte es die Bahn nicht noch schaffen, mit einem neuen Angebot den Ausstand in letzter Minute abzuwenden.
Ist der Zeitpunkt wirklich unverhältnismäßig? Wenn eine Gewerkschaft ihr im Grundgesetz verankertes Streikrecht ausübt, will sie natürlich ihren Gegner möglichst stark unter Druck setzen. Und der Gegner, das sind nicht die Fahrgäste, sondern die Deutsche Bahn. Dass die Kunden eines Unternehmens auch unter einem Ausstand leiden, liegt in der Natur der Sache. Streiks wären ein stumpfes Schwert, wenn etwa die Lokführer nur nachts die Arbeit niederlegen würden.
In der Öffentlichkeit herrscht mittlerweile der Eindruck vor, die Lokführer befänden sich quasi in einem Dauerausstand. Nur stimmt das nicht: Ihr letzter Arbeitskampf liegt mehr als drei Jahre zurück, der bisher größte, der die GDL bundesweit bekannt machte, ist schon sieben Jahre her.
Die Bahn spielt auf Zeit
Die harte Gangart der Lokführer im aktuellen Streit hat sich die Bahn auch selbst zuzuschreiben. Denn im Kern geht es nicht um die Lohnforderungen der GDL, sondern um die Frage: Wen vertritt die Gewerkschaft? Die GDL will auch für das Fahrpersonal – sprich: Zugbegleiter und Bordrestaurant-Mitarbeiter – zuständig sein. Sie versucht über ihren Berufsstand hinaus, Mitarbeiter zu organisieren und tritt damit in Konkurrenz zu der deutlich größeren Bahn-Gewerkschaft EVG. Die Bahn lehnt jedoch konkurrierende Abschlüsse mit zwei Gewerkschaften zur gleichen Berufsgruppe ab.
Die Bahn spielt auf Zeit und verschärft damit den Tarifkonflikt. Faktisch könnte die Bahn nämlich sehr wohl unterschiedliche Tarifverträge mit GDL und EVG abschließen. Damit würde sie lediglich die EVG schwächen, die unter den Bahn-Mitarbeitern als zu zahm verschrien ist. Auch deshalb haben viele Beschäftigte die EVG verlassen und sind in die GDL eingetreten.
Das Management der Bahn wartet aber lieber auf die große Koalition. Die hat ein unter Verfassungsrechtlern umstrittenes Gesetz angekündigt, das letztlich die kleinen Spartengewerkschaften wie die GDL entmachten würde. Die Beschäftigten hingegen könnten von der Rivalität der beiden Gewerkschaften profitieren. Und Artikel 9 des Grundgesetzes stützt sie: Es steht ihnen frei, sich gewerkschaftlich zu organisieren – und zwar ohne Pflicht, der jeweils größten Gewerkschaft beizutreten. So können zum Beispiel auch Journalisten wählen, ob sie Mitglied bei ver.di oder im Deutschen Journalisten-Verband werden wollen.
Dass die GDL indirekt auch gegen die von der großen Koalition geplante Tarifeinheit zu Felde zieht, kann man ihr
schwerlich vorwerfen. Es ist ihre Aufgabe, sich für die
Interessen all ihrer Mitglieder einzusetzen – und dazu
zählen trotz des historischen Namens weit mehr als nur Lokführer. Die GDL-Führung muss aber aufpassen, dass sie den Bogen nicht überspannt: Mit der Wut über lange Streiks wächst in Bevölkerung auch das Verständnis für eben jenes Gesetz, das die Gewerkschaft fürchtet und verhindern will.
Kommentare
Größtmögliche Kollateralschäden sind eingeplant
"Sollen die Lokführer etwa nur nachts streiken?", fragen Sie. Aber die richtige Frage lautet:
Sollten die Lokführer wirklich Ferienanfang- und Ende von neun Bundesländern versauen dürfen?
Ich habe dafür kein Verständnis!
zu #2: Genau darum geht es ja....
... bei Streiks: das sind eben *keine* Flauschig-Veranstaltungen, sondern die *sollen* weh tun.
Nur so lassen sich Forderungen von Arbeitnehmern durchsetzen. Und wenn Sie sich aufregen: schreiben Sie doch bitte den ARBEITGEBERN (also hier: der Deutschen Bahn AG) einen Brief oder Email und beschweren Sie sich bei DENEN.
Es ist sowieso schon traurig, dem Niedergang zB der IG Metall in den letzten 20 jahren zuzuschauen. Von einer Vereinigung, die ECHT Arbeitnehmerinteressen vertreten hat, zu einem zahnlosen Tiger.
Streiks sind das Mittel der Arbeitnehmer, Forderungen durchzusetzen - damit müssen wir leben.
Zu viel
Natürlich müssen die Lokführer streiken dürfen. Aber man kann - zum Schutz der Kunden, die man ja angeblich nicht treffen will - dann ab und zu mal für zwei oder drei Stunden streiken und nicht über Tage. Und wenn man eigentlich nur den Arbeitgeber treffen will, dann könnte man sich schwerpunktmäßig auf den Güterverkehr beschränken.
In diesem Fall übertreiben die Lokführer es eindeutig.
Die Bahn und ihre arbeitnehmerfeindlichen Machenschaften
Die Lokführer sollen mal schön streiken. Ich habe in meiner Verwandtschaft einen unmittelbaren Einblick, wie die Bahn derzeit mit Personal umgeht, insbesondere durch den Einsatz interner Zeitarbeiter zu deutlich schlechteren Konditionen und vor allem unter Missachtung zahlreicher arbeitsrechtlicher Regelungen. Ich muss mir immer die Augen reiben, wenn ich daran denke, das das nach wie vor ein bundeseigenes Unternehmen ist!
Von mir aus könnten die Gewerkschaften die arbeitnehmerfeindlichen Machenschaften der Bahn viel deutlicher ans Licht der Öffentlichkeit bringen, die Bezahlung der Lokführer ist da nur ein kleiner Teilaspekt.
Verhältnismäßigkeit
Was würde der Autor wohl sagen, wenn er gerade mit einem Herzinfarkt rumzappelt und so nebenbei erfährt, dass die Ärzte streiken und zwar ALLE.
Würde er an den Satz denken
"Aber wenn eine Gewerkschaft ihre Ziele erreichen will, muss sie auch einmal hart sein"
oder käme ihm so etwas wie "Verhältnismäßigkeit" in den Sinn?
Wir wissen es nicht.
Vergleichen Sie gerade
Unannehmlichkeiten in der Fortbewegung mit dem Tod eines Menschen?
Wenn Sie kurz mal aus der Polemik-Ecke herauskommen, könnten Sie sehen, dass es wichtige Rechte in diesem Staat gibt, die über das Recht auf komfortables und schnelles Reisen hinausgehen.
Sollte für Partikularinteressen überhaupt gestreikt werden?
Vorschlag:
Ob gestreikt wird oder nicht entscheiden nicht nur die Mitglieder einer einzelnen Gewerkschaft, sondern alle Mitarbeiter einer Firma/Konzern. Von mir aus auch nur alle gewerkschaftlich Organisierten Mitglieder der Firma/des Konzerns, aber nicht mehr ein paar Hanseln die wegen ihrer Funktion einen ganzen Laden lahm legen können.
Das endet nämlich nicht bei einer Werbeaktion für eine Organisation wie im Fall der GDL, dass endet viel schlimmer, siehe UK in den 70zigern.
Partikularinteressen...
...werden doch auf anderen Ebenen auch vertreten. Als außertariflich Beschäftigter verhandele ich doch mit meinem Arbeitgeber auch individuell über mein Gehalt - wieso sollen einzelne Gruppen in einem Unternehmen nicht auch für ihrr Partikularinteressen streiken? Sollen dann auch alle Mitarbeiter des Unternehmens über die Vorstandsvergütung entscheiden?