Der Berliner Senat hat seine Stadt zur Fahrradstadt erklärt und will den Anteil der Radfahrer am Verkehrsaufkommen in den kommenden Jahren auf 20 Prozent erhöhen. Dafür sollen pro Einwohner wenigstens fünf Euro an Haushaltsmitteln aufgewendet werden. Wie viel öffentliches Geld heute in die Förderung des Radverkehrs fließt? Das kann selbst Berlins oberster Verkehrsplaner, Burkhard Horn, nicht sagen.
Schon das sagt viel über den Stellenwert des geförderten Objekts aus. Es gibt keinen einzigen Fahrradzähler, der verlässliche Daten zum Radverkehrsanteil liefert. Elf von zwölf Bezirken haben keinen Zuständigen für Radverkehr, im Senat selbst wurde die Stelle aufgrund von Sparmaßnahmen nicht besetzt. Und die aktuellen Zahlen zur Verkehrsmittelwahl der Berliner sind sechs Jahre alt. Das ist, verkehrspolitisch betrachtet, fast schon Steinzeit.
Das alles kam heraus, als die Fraktion der Piratenpartei den Senat nach dem Stand der Umsetzung der vor zwei Jahren beschlossenen Radverkehrsstrategie fragte. Von der Liste mit rund 80 Maßnahmen wurde nahezu nichts umgesetzt. Es gibt weder einen bezirksübergreifenden Plan für ein Radwegenetz noch ein Konzept gegen das Falschparken und auch keine Reform bei der Verkehrslenkung, die für Straßensperrungen und Baustelleneinrichtungen zuständig ist – und Radfahrern das Leben zur Hölle machen kann.
Entsprechend fiel denn auch das Urteil aus, das die Rad fahrenden Berlinerinnen und Berliner über ihre Stadt beim ADFC-Fahrradklima-Test 2014 gefällt haben: Note 5,3 im Durchschnitt – durchgefallen. Seit der letzten Befragung 2012 ist Berlin um sechs Plätze auf Rang 30 von 39 abgerutscht.
Halbherzige Fahrradstraße
Neben Verkehrssicherheitsproblemen, fehlender Infrastruktur und Koordination ärgern sich Berlins Radfahrer vor allem über eins: die fehlende Anerkennung als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer. Dass sie nicht ernst genommen und bei Verkehrsplanung und Stadtentwicklung kaum berücksichtigt werden, empfinden viele als Diskriminierung, die zeige, dass die Regierung von Berlin an einer Förderung des Radverkehrs nicht ernsthaft interessiert ist.
Der Beweis dafür lässt sich leicht führen. Im Jahr 2008 – neuere genaue Daten gibt es nicht – besaß in der Berliner Innenstadt nur jeder Fünfte ein Auto. Betrachtet man die gesamte Stadtfläche, so kommen auf 1.000 Einwohner 293 Pkw. Es verfügt also gerade mal ein knappes Drittel über ein eigenes Kraftfahrzeug, und in etwa ebenso hoch ist der Anteil des motorisierten Individualverkehrs am Gesamtverkehr. Dennoch ist die gesamte Stadt – da, wo sie urban ist, also Straßenraum und Wohnflächen aufweist – vom Autoverkehr dominiert.
In Berlin-Mitte hat die Stadt zwar die Linienstraße zur Fahrradstraße erklärt und entsprechend beschildert. Doch dem Radverkehr wird gegenüber den Querstraßen nicht Vorfahrt eingeräumt, sondern die Fahrradstraße wird jedes Mal aufgehoben, um dann nach der Kreuzung neu zu beginnen. Die Ränder der Straße sind auf beiden Seiten zugeparkt, so dass in der Mitte nur etwa anderthalb Spuren Platz bleiben. Das macht das Überholen und Nebeneinanderfahren der Radfahrer – in Fahrradstraßen ausdrücklich erlaubt – unmöglich. Außerdem nutzen Taxis und andere Kraftfahrzeuge die Straße als Alternativroute zur oft verstopften parallelen Torstraße, was in Fahrradstraßen verboten ist. Nähme die Stadt die Linienstraße als Fahrradstraße ernst, müsste sie sie durchgängig als solche führen, sie komplett vom Autoverkehr befreien – auch vom ruhenden und Anliegerverkehr – und das dann strikt kontrollieren.
Kommentare
Autostadt, Autostaat, Automenschen - wat willste machen, wa
Nicht nur für Radfahrer, auch für Fußgänger wird nicht mitgedacht und geplant.
Kaum eine Ampel in Berlin, die man als Fußgänger bequem während der Fußgängern zugeteilten Grünphase überqueren könnte. Trotzdem ich gut zu Fuß bin, muss ich schon an der Ampel stehen und zügig rübergehen, um die andere Seite während der Grünphase zu erreichen, besonders bei den geteilten Überwegen mit "Insel" zwischen den Fahrstreifen. Dort darf man dann beim Warten auf das nächste Grün reichlich Abgase inhalieren!
Viele Rad- und Fußwege werden zudem einfach zugeparkt, wer was sagt, muss Angst haben auf's Maul zu bekommen. Kein Wunder, dass ein Berliner der Erfinder von www.wegeheld.org ist.
Radwege hören plötzlich auf, oder biegen 90° ab. Bei jeder Einfahrt wird der Radweg abgesenkt oder gar gepflastert - eine einzige Holperstrecke, auf der man keine Reisegeschwindigkeit erreichen kann. Dasselbe bei Fußwegen: Bei jeder Einfahrt rattert der Buggy oder die Rollkoffer über das Pflaster, Kantsteine werden einem in den Weg gelegt.
Warum müssen Radfahrer und Fußgänger eigentlich an jeder Straße aufgehalten werden? Besser wäre es doch, die Rad- und Fußwege durchgehend zu gestalten, die Fahrbahnen der Autos an jeder Übergangsstelle anzuheben, Fußgängerampeln mit Knöpfen für Autofahrer auszustatten ganz im Sinne des Wortes für Fußgänger auf Grün zu schalten, solange kein Auto vor der Ampel hält und auf seine kurze Grünphase wartet. Aber hier wird nur für Autos gedacht, geplant und gebaut.
vielleicht liegt das daran,...
... dass die Autofahrer auch für die Infrastruktur und deren Benutzung bezahlen ?
Berlin hat eben immer die dümmsten Politiker
und Wowereit war ein Totalversager auf allen Gebieten außer Party. Da ist es kein Wunder, dass nichts passiert ist, im Gegenteil immer noch besser als lauter Pannen. Leider ist der Nachfolger auch nicht viel besser. Der vertieft sich jetzt lieber in "Traumprojekte", wie Olympia in Berlin, anstatt die Probleme anzupacken.
Geld Problematik
Der Umbau des ganzen Verkehrsnetzes und nicht nur einer Renommeestrecke schluckt wegen der vielen KM eben richtig Geld - das keiner hat. Also werden nur Schildchen aufgestellt und Markierungslinien neu gezogen - damit ist es aber natürlich nicht getan.
Hauptproblem ist aber - was in Medien gern verschweigen wird - dass die Radnutzung individuell im Wesentlichen nicht mit dem PKw sondern mit dem Öffent. Nahverkehr konkurriert. Und da liegt für die Kommunen das Problem: Bei Regen und Schnee wollen alle Bus und Bahn benutzen, bei Sonnenschein wird dann das Rad rausgeholt - das macht das Defizit größer.
In dieser Hinsicht sind Rad-Highways besonders "kontraproduktiv". sie führen dazu dass der Pendler - die Melkkuh des Nahverkehrs (teuerste Karte, schlechteste Leistung mit Stehplatz) - die Abomonatskarte kündigt - upps
Richtig natürlich, dass auch manche den Pkw stehen lassen, aber Bus und Bahn sind der größere Brocken
20 Prozent?
Berlin ist, flächenmäßig, eine riesige Stadt. Sehr viele Berliner haben tagtäglich ziemlich lange Wege zurückzulegen, von/zur Arbeit, von/zur Schule, von/zur Uni usw. Anfahrtswege von 30 bis 45 Minuten, sei es mit Auto oder ÖPNV, gelten als normal, mehr ist auch beileibe keine Seltenheit.
Das 15-Minuten-Radeln aus dem Prenzlauer Berg zum Schlesischen Tor ist also nicht der Normalfall. Für die allermeisten Berliner ist das Rad allein wegen der Entfernungen kein geeignetes Verkehrsmittel für den Alltag.
Da stellt sich m.E. die Frage: Ist es nicht vielleicht ein völlig unrealistisches Ziel, 20% Radfahrer-Anteil zu erreichen? Warum soll dieses 20%-Ziel dennoch erzwungen werden?
Für die meisten Berliner, für die Umwelt und das Verkehrsaufkommen wäre der Ausbau des ÖPNV - inklusive Preis-Politik - sehr viel wichtiger und effektiver als Millionen in eine arg begrenzte Verkehrsnische zu pumpen.
Das Fahrrad ist DAS Verkehrsmittel für den Alltag
"Für die allermeisten Berliner ist das Rad allein wegen der Entfernungen kein geeignetes Verkehrsmittel für den Alltag."
Doch.
Denn die allermeisten Berliner leben innerhalb des S-Bahnrings.
Die allermeisten Berliner (zwei Drittel) haben keinen eigenen Pkw.
Die allermeisten Berliner legen Wege unter 4 km zurück.
"Das 15-Minuten-Radeln aus dem Prenzlauer Berg zum Schlesischen Tor ist also nicht der Normalfall."
15 min. aus PB zum Schlesischen Tor? Das will ich sehen!
Stadt für Menschen, ist doch so was von öde! Radfahrer,...
... Fussgänger bringen doch fast keinen Beitrag zum BIP.
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Selbst wenn die "Irren", mir den Verkehrsraum wegnehmenden Radfahrer für 2-3.000€ nen Rad kaufen, hält das 20-30 Jahre. Ein Auto bring da mehr Wirtschaftswachstum, selbst wenn es im Stau steht, auf dem Parkplatz verrostet!
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In der vielgepriesenen heimlichen Radhauptstadt Münster ist mir am WE mal wieder aufgefallen:
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Da kommt man von der Landstrasse, gut, glatt, zügin und wird am Ortsschild weit draussen auf den Gehweg gezwungen. Die Strassen weiter neu, glatt oder recht ordentlich asphaltiert incl der Parkstreifen rechts und links. Der Radweg (Pflichbeschildert), Ziegel in Querrichtung, Gehwegplatten mit massiven Verwerfungen, zugestellt, auf den Fussweg gequetscht, oft voll mit Aussenbestuhlung/Tischen der Gastronomie, Bushaltestellen ausserhalb der Innenstadt. In der Innenstadt oft "Historisches" Kopfsteinpflaster", das den Autoverkehr zum "Langsamfahren" bringt, auf dem der Radler ein "Moutaunbike Fully" braucht, bzw. der NORMALO-Radler sich die Bandscheiben, die Plomben aus Zähnen und Wirbelsäule schiesst! Radrichtungswegweiser, wie im Ansatz z.B im Ruhrpott, nada, nix, die verschandeln das historische Stadtbild ;-((
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Mobilität für alle, gleichverteilt,.... nicht in diesem unserem Lande:-(
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Meint
Sikasuu
(der schon recht glücklich ist, wenn in seiner Stadt die "Blauen Lollys" von unbenutzbaren Radwegen, ungesetzlichen Wegeführungen, usw. weg gemacht werden, Man/Frau wird ja so "demütig" und bescheiden;-(()
Das Geld
dass ich dadurch spare, dass ich meinem Auto nicht jeden Tag X Kilometer auf den Tacho knalle um zur Arbeit zu fahre, das gebe ich aber für was anderes aus.
Das Märchen vom Wirtschaftskiller Fahrrad!