Ausgerechnet während der Internationalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt erhebt die US-Umweltschutzbehörde schwere Vorwürfe gegen Volkswagen: Der Hersteller soll in den USA rund 482.000 Dieselautos in die Werkstätten holen und nachbessern. Das verlangt die mächtige Environmental Protection Agency (EPA) und droht VW zusätzlich mit einer Strafe in Milliardenhöhe. Der Grund: VW soll bei den gesetzlich vorgeschriebenen Abgastests gemogelt haben. Die Software der Abgasreinigungssysteme in den Dieselfahrzeugen sei so manipuliert, dass die Schadstoff-Obergrenzen nur bei den Prüfstandtests eingehalten werden. Im normalen Fahrbetrieb lägen die Emissionen aber deutlich höher, berichtete die EPA und sprach von einem "ernsten Fall". Es gehe um die "Bedrohung der öffentlichen Gesundheit".
Volkswagen hat die Trickserei zugegeben. Doch neu ist das Thema nicht. Schon seit rund zwei Jahren berichten unabhängige Prüforganisationen über Manipulationen der Autohersteller bei den offiziellen Abgasmessungen. Zuletzt hatte auch das baden-württembergische Landesamt für Umwelt, Messungen und Naturschutz bei Testfahrten im normalen Straßenverkehr herausgefunden, dass der Ausstoß von Stickoxiden (NOx) verschiedener Dieselautos um das 8,5-Fache über den gesetzlichen Limits der Abgasnorm Euro 6 liegt. Jetzt spricht die EPA sogar von 40-fach höheren NOx-Emissionen. Stickoxide werden unter anderem für schwere Atemwegserkrankungen, Smog- und Ozonbildung verantwortlich gemacht.
Auch die Europäische Kommission ist dem Gift aus den Auspuffrohren der Dieselautos auf der Spur. In einem Mahnschreiben an die Bundesregierung hat die Brüsseler Behörde deshalb gefordert, Fahrverbote für solche Pkw zu verhängen. Sonst droht Deutschland ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof. Außerdem verlangt die EU-Kommission eine Änderung der Steuervorteile für Dieselfahrzeuge. Hintergrund: In Stuttgart, München, Reutlingen, Düren, Kiel, Limburg, Freiburg, Gelsenkirchen, Hagen, Leipzig und zahlreichen anderen Städten Deutschlands enthält die Atemluft seit Jahren deutlich mehr Stickoxid, als die gesetzlichen Bestimmungen zulassen. Das bestätigen auch die regelmäßigen Messungen des Umweltbundesamts.
Der Diesel half beim Einsparen von CO2
Nach der jahrelangen Debatte über die Einführung von Rußfiltern steht der Dieselmotor damit erneut im Fokus einer Umweltdiskussion. Darüber wundern sich viele Autofahrer zurecht – ihnen sind die Botschaften der Autohersteller noch gut in Erinnerung, die nach der Einführung von Katalysator, Partikelfilter und Harnstoffeinspritzung lautstark verkündet hatten, man habe "die saubersten Dieselmodelle der Welt" (Daimler) und der Diesel sei jetzt so sauber wie ein Benziner.
Waren das Falschmeldungen? Fakt ist, dass sich die Konzentrationen für Feinstaub, Stickoxide und Ozon in Deutschland seit dem Jahr 2000 nicht verringert haben. So stellt es das Umweltbundesamt in seinen Daten zur Umwelt 2015 fest und beklagt konkret, dass die Stickoxid-Emissionen der Diesel-Pkw "trotz technischer Fortentwicklung in der Realität nur unzureichend reduziert werden konnten".
So herrscht buchstäblich dicke Luft – nicht nur in den Innenstädten, sondern auch in den Vorstandsetagen der Autohersteller. Und das nicht nur bei Volkswagen. Denn wegen der Vorschriften zur Verringerung der CO2-Emissionen haben die Firmen in den vergangenen Jahren extrem stark auf den Dieselmotor gesetzt und dessen Vermarktung vehement vorangetrieben. Und so soll es auch bleiben. "Ohne den Diesel werden die CO2-Zielwerte von 2020 nicht erreichbar sein", sagt Ford-Entwicklungsdirektor Andreas Schamel, und auch sein Stuttgarter Daimler-Kollege Peter Lückert stellt fest, dass "der hohe Dieselanteil in Europa maßgeblich zum Fortschritt und zur Erfüllung des CO2-Flottenverbrauchs beigetragen hat".
Immerhin: Bei Daimler enthalten mittlerweile mehr als 72 Prozent aller in Europa verkauften Pkw einen Dieselmotor. In Deutschland stieg der Dieselanteil an den Pkw-Neuzulassungen in den vergangenen fünf Jahren von 40,7 auf inzwischen 48,2 Prozent. Kein Zweifel also, dass Fahrverbote und höhere Kfz-Steuern die Autobranche empfindlich treffen würden. Und viele Hersteller können ihre CO2-Pläne vergessen, sollten die Kunden vom Selbstzünder abrücken. So hat die Feststellung von Bosch-Geschäftsführer Rolf Bulander durchaus doppelte Bedeutung: "Nie war der Diesel so wichtig wie heute."
Kommentare
Ist dies wirklich eine Überraschung oder Sensation, oder doch nur blanke Naivität (von beiden Seiten)?
Jeder weiß auf einem Prüfstand, fehlt der Luftwiderstand, d.h. die Meßwerte beim Prüfstand müssen um die cw-Wert - Beeinträchtigung erhöht werden, oder man setzt den Prüfstand in einen Windkanal mit entsprechender Fahrwindsimulation!
Da der cw-Wert immer noch im Labor / Windkanal ermittelt wird und man keine Berechnungsformel für den cw-Wert hat, sollte man wohl letzteres machen.
Wenn man eine nentsprechenden Prüfstand hat, könnte man diverse Strassenstzenarien durchlaufen, d.h. mehrere Meßreihen bei unterschiedlicher Anforderung!
Denn auch der Fahrtest ist nur bedingt Ok! - Hier gelten doch die Faktoren Strassenbelag, Stop and Go - Verkehr, Optimale Fahrt, d.h. konstante geschwindigkeite bei optimalem Drehmoment, etc.
Die Automobilkonzeren gehen doch her und machen die Messungen bei möglichst guten Bedingungen (Man muss ja nur an die Verbrauchsdaten denken, dass die gerne abweichen, weil jeder Verbraucher ein anderes Fahrverhalten hat!)
Also ist ein Prüfstandtest durchaus Ok, nur eben die Frage ist, was für ein Prüfstand?
Es sind wenig Autofreaks im Forum. Früher gab es das Chiptuning, dass dem Auto mehr PS und vorallem mehr Drehmoment einhauchte. So wurde aus dem müden Ölbrenner ein Sportwagen. VW hat seinen Kunden das Chiptuning erspart und den Chip gleich selbst eingebaut. Auf dem Prüfstand ist das Auto das feinste Umweltengelchen von Mutti, aber an der Ampel wird Papis Passat zum Dragster. Das ist nicht legitim, das ist illegal, aber es macht Spaß. So hat man einen Trick aus dem Rennsport auf die Straße gebracht. Den Wettbewerbern wird das nicht gefallen haben, zumindest dann nicht, wenn sie selbst die Norm einhielten und die lahme Kiste verkaufen mussten. Da dieser Trick nicht allzu schwer zu ermitteln ist, wird man sich bei der Konkurrenz gefragt haben, bauen wir es nach oder schwärzen wir VW an. Man hat sich für Letzteres entschieden. Das ist gut und stachelt die Ingenieure nur an, es besser zu machen. Eine Tragödie ist es aber nicht, denn es fahren auch noch ein paar alte Autos in der Gegend herum, die nicht annähernd die Abgaswerte erreichen bei weitaus weniger
Leistung. VW hat niemand umgebracht und niemand erheblich mehr an der Gesundheit geschädigt, als es durch den Straßenverkehr mit fossilen Brennstoffen sowieso
schon passiert. Man kann das Thema auch etwas sachlicher behandeln.
Guter Artikel. Macht bei mir einiges vergessen bzw. würde ich gerne einiges aus vorherigen Kommentaren zurücknehmen. Sorry @ZON (falls es einer mitbekommen hat) mein Fehler. Möglicherweise an manchen Stellen zu früh "geschossen". Aber sah mir nach Lauerstellung und Verdrängung aus.
Mir scheint als könnte man die Zukunftsausrichtung der deutschen Automobilindustrie in Frage stellen... da scheint jedenfalls einiges sehr seltsam entschieden worden zu sein.
Für eine weltweit führende Branche scheint es mir jedenfalls nicht schlüssig auf eine Technologie zu setzen, die die Probleme verschiebt und nicht löst.
Es sah für viele Kunden glaube ich auch wie eine Lösung des Umweltproblems aus. Die einfache Formel weniger Verbrauch = weniger Schadstoffe kann bei manchen eine Rolle gespielt haben.
Toller Satz:
"...Kein Zweifel also, dass Fahrverbote und höhere Kfz-Steuern die Autobranche empfindlich treffen würden..."
Wen trifft es wohl mehr, die Automobilindustrie oder den normalen Berufspendler?
Am Ende der "Nahrungskette" steht selbstverständlich wieder einmal der Normalbürger.
Danke, liebe Politik!
Danke, liebe Lobby!
Danke, liebe Öko-Träumer!
So langsam neige ich dazu, es zu meinem Hobby zu erklären:
Ständig und überall nur noch verars..t zu werden...
BTW. Von Lkw's, die zu mehr als 50% unbeladen(!) auf unseren Straßen und in unseren Städten unterwegs sind, redet natürlich 'mal wieder keiner.
(Was ist das größte Warenlager der Welt? Lkw's auf der Bundesautobahn!)
Wie wäre es, für diese einmal Fahrverbote in Städten zu verhängen?
Ich wäre sehr gespannt auf das, was dann hier abgeht!