Matthias Müller steckt in einer schwierigen Doppelrolle. Der Volkswagen-Chef muss Zerknirschtheit zeigen und den Abgasskandal aufklären – und zugleich Aufbruchstimmung vermitteln. Der Betrug mit Diesel-Abgaswerten, der milliardenteure Rückruf und Schadenersatzklagen belasten VW, und nebenbei läuft das Geschäft auch in Russland, in Brasilien und auf dem wichtigsten Markt China nicht mehr rund.
Leisere Töne sind also angesagt, aber eben auch klare Ankündigungen: Auf sechs Feldern und mit neuen Strategien muss Müller Gas geben, um Vertrauen wiederzugewinnen.
Mehr Antriebe
Der Diesel ist nicht tot – er ist bloß gerade nicht im Angebot. So etwa lässt sich im Moment die Situation von VW auf dem amerikanischen Markt beschreiben. Vom Dieselmotor für US-Autos will sich in Wolfsburg dennoch niemand generell distanzieren. Aber nach dem rein elektrischen Bulli auf der CES in Las Vegas zeigte VW auch in Detroit lieber seinen ersten Plug-in-Hybrid mit Allrad, den Tiguan GTE Active Concept mit einem Turbobenziner und zwei Elektromotoren: einer vorn, einer hinten. Allrad schafft der Tiguan so rein elektrisch.
"Bis 2020 werden wir 20 zusätzliche Elektrofahrzeuge und Plug-in-Hybride bringen", verspricht Müller. Wenn der Ölpreis wieder steigt, soll VW schließlich den Teslas und Toyotas auch jenseits des Dieselantriebs Konkurrenz machen können.
Mehr Orientierung
"Vernetzung ist eine große Chance für den VW-Konzern", sagt Müller. Die Konzerntochter Audi hat mit dem Kauf des Navigationsdatendienstes Here zusammen mit Daimler und BMW schon ein strategisches Investment getätigt. Die eigene Navi-Software soll zum universellen Dienstleister ausgebaut werden, der – vernetzt mit Daten aus dem Auto, von anderen Verkehrsteilnehmern und der Infrastruktur für den Fahrer – sozusagen vorausdenken soll: den freien Parkplatz um die Ecke schon anzeigen, wenn dort gerade jemand wegfährt. Vor Glatteis hinter der übernächsten Kurve warnen. Die Route anhand des Kalenders im Handy vorplanen, den Wagen vor der Abfahrt temperieren und die Strecke optimieren. Mit solchen Diensten wollen sich die Wolfsburger von der Konkurrenz absetzen.
Mehr Komfort
Dieser eingebaute Butler wird modular auch in die Massenmodelle der Wolfsburger einziehen. Aber auch die Bedienung im Innenraum wird komfortabler werden. Die in Detroit gezeigte Studie kombiniert bereits ein volldigitales Display vor dem Fahrer mit einem Touchscreen in der Mitte des Armaturenbretts, der sogar Gesten versteht. Verfeinerte Sprachsteuerung und nahtlose Integration von Smartphones aller Marken kommen dazu – alles Teil der "Digitalisierungsoffensive", die Müller konzernweit ausgerufen hat.
Mehr Sicherheit
Die nächsten technologischen Sprünge stehen hier bei VW bevor – das müssen sie auch, denn Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn etwa hat gerade angekündigt, bis Ende des Jahrzehnts City-Assistenten in alle Autoklassen zu bringen, die sich autonom durch den Innenstadtverkehr wühlen. Hier wird Volkswagen kontern und durch die Verquickung mit den Here-Services etwa beim Parken oder Navigieren noch etwas draufsetzen wollen.
Der automatische Notruf E-Call und die City-Notbremse werden ebenfalls Standard. In den USA macht VW gerade massiv TV-Werbung für die automatische Notbremse im überarbeiteten Passat.
Mehr Platz
Gerade in den USA hat VW ein Problem mit dem bisherigen Tiguan, der SUV ist für amerikanische Verhältnisse einfach zu klein. Vom Nachfolger wird es deshalb speziell mit Blick auf diesen Markt eine XXL-Version mit bis zu sieben Sitzen geben. Dazu kommt ab 2017 noch ein fast fünf Meter langer Midsize-SUV mit sieben Sitzen exklusiv für die USA. Der lange Tiguan jedenfalls könnte auch in Deutschland Fans gewinnen, böte er doch fast so viel Raum wie der Touareg, wäre aber billiger. Womit wir beim letzten Ansatz zur Krisenbewältigung wären.
Günstigere Preise
Langfristig will Volkswagen bei der preissensiblen Klientel aggressiver mitmischen. Dafür gibt es spezielle US-Modelle, die einfacher und damit kostengünstiger sind. Das Streichen einiger Modelle und eine konsequentere Nutzung der gemeinsamen Baukästen bei Karossen und Elektronik lassen Kosten sinken. Das wiederum kann generell günstigere Preise für die Kunden möglich machen, gerade wenn die Nachfrage mal schwächelt.
Mehr Volkswagen fürs Geld: So könnte ein Weg aus der Krise aussehen. Aber zunächst muss Matthias Müller erst mal sein Hauptziel für 2016 erreichen. Und das hört sich einfach an, ist aber eine Herkulesaufgabe: "die Dinge in Ordnung bringen".
Kommentare
Kurz zusammengefasst, der VW soll in allen Disziplinen besser werden und gleichzeitig günstiger werden, dann funktioniert es mit den Verkaufszahlen.
Na, das ist aber keine wirklich überraschende Erkenntnis.
"Kurz zusammengefasst, der VW soll in allen Disziplinen besser werden und gleichzeitig günstiger werden, dann funktioniert es mit den Verkaufszahlen.
Na, das ist aber keine wirklich überraschende Erkenntnis."
Und wie wurde die bisherige Vorgabe, "günstig" zu sein erreicht? Achja, mit Betrugssoftware...
Schön, dass man den USA-Kunden preislich entgegenkommt. Was ist mit dem potentiellen deutschen VW-Kunden? Sollte er wieder mal der Dumme sein, der diese "Subventionierung" mit bezahlt?
"Schön, dass man den USA-Kunden preislich entgegenkommt. Was ist mit dem potentiellen deutschen VW-Kunden? Sollte er wieder mal der Dumme sein, der diese "Subventionierung" mit bezahlt?"
Ja sicher - wozu ist VW in D mit der Politik bestens verfilzt, ich meine: "vernetzt"?
Ein E- Bulli mit Brennstoffzelle, optisch angelehnt an den "Samba". Das wäre ein Befreiungsschlag.
Hilfreich wäre auch ein Tempolimit in D.
Wenn VW sich es wünscht, kriegt es das. Wünschen sie sich aber nicht. Stattdessen weiter Leistungswahn und noch fettere SUV.
So wird das nichts mit glaubhaft.
Einen neuen Multivan T6 können Sie jetzt schon locker über 100.000 Euro stemmen - für den Normalbürger, der kein reisendes Büromobil benötigt, reichen auch 50-60.000 Euro. Ein Camper, also eine California-Ausstattung, kann auch schon mal etwas teurer werden.
Frage; wie teuer wollen Sie denn einen "E-Bulli mit Brennstoffzelle" werden lassen, werter Mitforist? Und, zweite Frage, woher bekommen Sie in absehbarer Zeit im lauschigen Südeuropa wenn Sie dort im Urlaub sind, vielleicht in einer schönen und einsamen Gegend in Portugal, dann eine Ladesäule und eine Wasserstofftankstelle her?
In Osteuropa sieht es kein Gramm besser aus; aber LPG-Zapfstellen gibt es dafür zuhauf und flächendeckend. Vielleicht weil es einfache und simple Technik ist? Zur Erinerung, in der ach so hochmodernen Bundesrepublik gibt es derzeit bundesweit 12 (!) dieser Eirichtungen zum Tanken von Wasserstoff. Ja, Technik die regelrecht begeistert. Klar, das sich die Hersteller da gradezu drauf stürzen wollen.
Naja, und das Tempolimit soll ja auch der Weisheit letzter Schluss sein und alle andere Fragen und Wünsche erfüllen, die dann noch offen geblieben sind. Der Joker, sozusagen. In diesem Sinne alles Gute der Automobilen Zukunft.
Besten Dank für diesen Beitrag ... es ist wichtig, dass sich kompetente Journalisten über die Fragen hinaus, wann welches Auto zum Rückruf in die VW Werkstatt gerufen wird. Danke dafür, Herr Peter Weißenberg!
Lieber Leser,
Ihr Lob freut mich sehr - und spornt mich an. Es ist ja immer leichter, mit den Wölfen den aktuellen Abgesang zu heulen (gern auch allwissend hämisch ...) als Möglichkeiten zu eruieren, wie es wieder aufwärts gehen kann. Das aber ist den Hunderttausenden Mitarbeitern dieses Konzerns (und nicht nur denen) doch nur zu wünschen. Die meisten werden sicher keine Betrüger sein.