Die Autoindustrie steht erstmals vor einem disruptiven Wandel. Digitalisierung, autonomes Fahren und Elektromobilität verändern die konstitutiven Pfeiler der 130 Jahre alten Branche. Disruptive Veränderungen werden aber häufig von unbekannten, branchenfremden Akteuren initiiert. Sie haben ein innovatives Produkt, eine neue Technologie oder ein anderes Geschäftsmodell, adressieren latente Kundenbedürfnisse und schaffen einen neuen Markt.
In der Automobilindustrie dürfte Tesla ein solcher Game Changer sein. Worauf beruht der Erfolg des kalifornischen Unternehmens und was können die etablierten Automobilhersteller davon lernen?
1. Design und Technologie schaffen überlegenen Kundennutzen
Die neuere Geschichte des Elektroautos lässt sich in die Zeit vor und die Zeit nach Tesla einteilen. Vor der Markteinführung des Tesla Roadsters im März 2008 haben sich nur wenige Hersteller mit dem Thema Elektromobilität beschäftigt und Elektroautos haftete das Image von Krankenfahrstühlen an. Seit dem Verkauf des Tesla Roadsters und noch mehr des Model S ist klar, dass Elektromobilität cool sein und Begehrlichkeiten bei Kunden wecken kann. Tesla überzeugt durch futuristisches Design, fortschrittliche Technologie, hohe Fahrleistung und großen Fahrspaß. Der Newcomer bietet damit in wichtigen Teilbereichen einen teilweise höheren Kundennutzen als die Premiumhersteller mit ihren Benzin- und Dieselmotoren.
Gleichzeitig hat Tesla die Kunden technologisch überzeugt. Das Model S überwindet die Reichweitenangst, die den Kaufimpuls für Elektroautos hemmt, mit Hilfe einer großen Zahl von Lithium-Ionen-Akkus, die Reichweiten von über 500 Kilometern ermöglichen. Dabei erfüllt Tesla hohe Qualitäts- und Sicherheitsstandards.
Während andere Automobilhersteller in vielen Ländern die fehlende Ladeinfrastruktur als Hemmnis beklagen, hat Tesla in wichtigen Märkten ein eigenes Netz von Schnellladestationen aufgebaut, das eine Weiterfahrt nach 30 Minuten ermöglicht. Damit sind Tesla Modelle als Langstreckenfahrzeuge praktikabel einsetzbar. Das Angebot des kostenfreien Schnellladens hat überdies einen zusätzlichen Kundennutzen geschaffen.
Neben dem Elektroantrieb bietet Tesla weitere Innovationen, die die etablierten Anbieter noch nicht in Serie haben. So ermöglicht das Model S ähnlich wie bei Smartphones Softwareupdates des Betriebssystems per WLAN. Dadurch können neue Funktionen auf das Fahrzeug aufgespielt werden, ohne dass es dafür in die Werkstatt muss. Allerdings: Solche Updates "über die Luft" werden bald zum Standard in der Automobilindustrie werden.
2. Top-Down-Ansatz
Richtig lag Tesla auch bei der Top-Down-Produktstrategie. Das Unternehmen stieg mit hochpreisigen Luxuslimousinen, die das Alleinstellungsmerkmal Elektroantrieb haben, in den Markt ein und ließ damit die etablierten Hersteller alt aussehen. Im oberen Kundensegment, wo Innovation und Individualität einen hohen Stellenwert haben, konnte Tesla den Verkaufspreis von 100.000 Dollar durchsetzen und so die hohen Produktentwicklungskosten zumindest zum Teil refinanzieren.
Der Erfolg des Model S und des Tesla-SUV Model X machten außerdem im Massenmarkt Appetit. 325.000 Vorbestellungen für das Model 3 mit einer Anzahlung von jeweils 1.000 Dollar nach nur zwei Wochen sprechen eine eindeutige Sprache und bringen nebenbei sogar noch viel Geld in die Kasse: 325 Millionen Dollar.
Tesla setzt auf cleveres Viralmarketing
Etablierte Automobilhersteller wie BMW, VW und Nissan gingen einen anderen Weg. Sie setzten für den Einstieg ins Elektroautogeschäft auf den Bottom-up-Ansatz, über die preissensitive Klein- und Kompaktwagenklasse. Und liefen damit in die "R-I-P-Falle" der Elektromobilität: Reichweiten von nur theoretischen 150 Kilometern, das Fehlen ausreichender (Schnelllade-)Infrastruktur und ein hoher Preis im Vergleich zu vergleichbaren herkömmlichen Fahrzeugen schreckten die Kunden ab. Ungeachtet des Fahrzeugsegments fragen Kaufinteressenten und Öffentlichkeit zudem: Warum kommen die anderen Hersteller nicht an Reichweiten von Tesla-Autos heran und bieten keine Schnellladeinfrastruktur? So belastet Tesla das Innovationsimage der traditionellen Hersteller.
3. Fokussierung statt Spagat mit Rucksack
Tesla hat gegenüber den etablierten Autokonzernen den großen Vorteil der Technologiefokussierung. Der Hersteller setzt allein auf die batterieelektrische Technologie. Mit milliardenschweren Investitionen in eine Batteriefabrik erweitert Tesla derzeit die eigene Wertschöpfungstiefe und seine Elektroautokompetenzen und versucht über Skaleneffekte die Akkukosten für das Model 3 zu senken.
Hersteller wie Volkswagen, Daimler und BMW tragen dagegen schwer an dem Rucksack ihrer konventionellen Antriebstechnologien. Sie müssen den Verbrennungsmotor weiter optimieren, um ihre bisherigen Kunden nicht zu verlieren, um Produktion und Beschäftigung stabil zu halten und um Abgasgrenzwerte einzuhalten. Gleichzeitig müssen sie, um sich zukunftsfest zu machen, neue alternative Antriebssysteme entwickeln. Das ist ein schwieriger, teurer und hemmender Spagat.
Hinzu kommt: Da viele Hersteller unsicher sind, welcher alternative Antrieb sich in Zukunft durchsetzen wird, decken sie meist eine große Bandbreite von Technologien ab: Plug-in-Hybride, Vollhybride, Elektroautos, und manche auch Brennstoffzellenfahrzeuge. Der Weitwinkelansatz senkt zwar das Risiko, führt aber zu strategischer Unschärfe.
4. Innovatives Marketing
Der Erfolg von Tesla erklärt sich aber nicht allein durch Produkt- und Technologiestrategie. Er ist zu großen Teilen auch das Ergebnis cleveren Marketings. Tesla hat kein klassisches Werbebudget, keine Werbeagenturen, keinen Marketingvorstand, kein unabhängiges Händlernetz – und trotzdem kein Problem, große Massen von Interessenten für die künftigen Modelle zu begeistern.
Andere Hersteller geben viele Millionen für Produktwerbung aus. Tesla dagegen investiert nicht in klassische Werbung, sondern veranlasst andere dafür zu werben: Zuvorderst informiert Elon Musk, der Gründer und Präsident von Tesla, seine mehr als 2,5 Millionen Follower auf Twitter über bevorstehende Tesla-Neuheiten und setzt dann auf die Wirkung des viralen Marketings in sozialen Netzwerken. Statt klassische Automessen zu nutzen, werden Produktneuvorstellungen auf eigenen Veranstaltungen für ein ausgewähltes Publikum inszeniert, auf eine Weise wie es zuvor nur Apple gelungen ist.
Mit dem Model 3 wagt sich Tesla in die kapitalintensive Massenfertigung
Und ähnlich wie vormals Steve Jobs für Apple, steht Elon Musk als Symbolfigur für Tesla. Er vermarktet sich erfolgreich als Universalgenie des 21. Jahrhunderts, das überzeugend vorgibt, eine übergeordnete Mission für eine neue bessere Welt mit nachhaltiger Mobilität zu verfolgen. Der Multimillionär inszeniert sich mit Tesla als Alternative zu den großen Goliaths, den anonymen Automobilkonzernen, die er als David das Fürchten lehrt. Charismatische Symbolfiguren wie Musk bieten in einer komplexen Welt Orientierung und stoßen in der vernetzten und globalisierten Medienwelt auf einen breiten Resonanzboden.
5. Model 3 als Lackmustest
Tesla ist eine Wette auf die Zukunft. Das Unternehmen hat im vergangenen Jahr rund 50.000 Fahrzeuge verkauft und schreibt hohe Verluste. Gleichzeitig ist bei Tesla aber die Marktkapitalisierung höher als bei den traditionellen Herstellern Fiat-Chrysler, Mitsubishi und Suzuki zusammengenommen, die wiederum Millionen Fahrzeuge verkaufen und damit Geld verdienen. Ob die Wette auf Tesla aufgeht, wird das Model 3 zeigen müssen.
Die Herausforderungen sind hoch. Mit dem neuen Modell greift Tesla erstmals in einen umkämpften Massenmarkt ein, wenn es – wie versprochen und entgegen der bisherigen Praxis – pünktlich ab Ende 2017 verfügbar sein wird. Auch andere Hersteller wie General Motors werden dann in diesem Segment Modelle mit ähnlichen Produkteigenschaften anbieten.
Der angestrebte Endkundenpreis von 35.000 Dollar (31.000 Euro) ist angesichts der Kosten ambitioniert, die Gewinnmarge entsprechend niedrig. Und bei einem angepeilten Jahresabsatz von 500.000 Stück geht Tesla weg von der Quasimanufaktur hin zur kapitalintensiven Massenproduktion. Produktionsprozesse, Qualität der Teile, Logistik und einiges mehr müssen passen, sonst gehen die Kosten durch die Decke. Bei der Massenproduktion haben die etablierten Hersteller Kompetenzvorteile – Tesla muss schnell dazulernen.
Tesla beweist, dass der Elektroautomarkt nicht an einem Nachfrageproblem leidet, das durch Kaufprämien angeschoben werden muss, sondern an einem Angebots- und Technologieproblem. Und es zeigt, dass durch innovative Technologiepakete, attraktives Design und innovative Marketing- und Vertriebskonzepte ein neuer Kundennutzen und Produkte mit hoher Begehrlichkeit geschaffen werden können.
Wie viele Innovatoren wurde Tesla anfangs ignoriert und dann belächelt. Mittlerweile beginnen die etablierten Player das Konzept zu kopieren und das Unternehmen anzugreifen. Für eine abschließende Antwort auf die Frage, ob Tesla den Kampf überleben wird, ist es noch zu früh. Aber bereits jetzt ist klar: Tesla wird als Game Changer der Elektromobilität in die Automobilgeschichte eingehen.
Kommentare
Vor allem lehren die deutschen Autobauern jedem vernunftbegabten Menschen das Fürchten: Es ist unglaublich, wie schwer ihnen der Umstieg in die Elektromobilität fällt. Wenn nicht endlich ein Umdenken stattfindet, wird Deutschland als Autoland bald Geschichte sein.
Es geht nicht um Umweltschutz oder Energieersparnis und so weiter, es geht darum, dass ein Elektromotor einem Verbrennungsmotor um Längen überlegen ist, was Nachhaltigkeit, Instandhaltung, Handhabung oder Steuerbarkeit betrifft. Das weiß seit Jahrzehnten jeder, der sich mit Rasenmähern oder Motorsägen mit Verbrennungsmotoren herumschlagen musste und den Vergleich zu Geräten mit Elektromotoren kannte. Allerdings war eben die Leistung nicht vergleichbar - schon gar nicht auf Basis aufladbarer Batterien.
Es ist aber absehbar, dass über kurz oder lang bessere und preisgünstigere Speichertechnik entwickelt wird, und dann wird es kein Halten mehr geben.
Stimmt, aber das ist bei "disruptiven Innovationen" häufig so. Die Platzhirsche denken die Innovation vom existierenden Produkt, dem existierenden Markt oder der existierenden Technologie her. Sie glauben "aufgrund unser Marktposition kann uns keiner was" und so ist für die Daimler, VW und BMW das E-Mobil vor allen Dingen eines ihrer konventionellen Fahrzeuge, bei dem man den Verbrennungsmotor durch einen Elektromotor ersetzt hat. Dass es sich um ein neues Businessmodell handelt, wissen die Hersteller zwar theoretisch, praktisch sträubt sich alles dagegen, denn man macht ja gutes Geld mit dem traditionellen Geschäft. "Außerdem kann die neue Technologie dies und jenes nicht und wird folgendes nie können ..." Die Platzhirsche Kodak und Agfa hat auch aus der Kurve geworfen, dass die Digitalfotografie vieles sehr schnell doch konnte und Dinge gehen, die man nicht für möglich gehalten hat. Große Unternehmen, die sich bei "laufendem Betrieb" noch einmal selbst erfinden können, kann man weltweit an einer Hand abzählen. Schade nur um die viele deutschen Arbeitsplätze.
Werde Tesla unterstützen sobald das Netz in Europa vorhanden ist für Langstrecken Fahrten. Wo werden sich die Deutschen Auto-Dinosaurier-Bauer wohl verstecken ? Die Winterkorn und Müller Typen Arten können wir dann bei Madame Tussauds, also im Wax Museum, bei ihren "sauberen Diesel" besuchen. Sie sollen sich alle insgesamt schämen noch immer weiter Dinosaurier Autos zu vermarkten, als ob die Welt für sie stillstehen würde. Unserer Politiker gehören gleichwegs zum 'ADCD' Allgemeiner Dinosaurier Club Deutschland. Wo sind die Deutschen mit Vision verblieben ?
Werde Tesla unterstützen sobald das Netz in Europa vorhanden ist für Langstrecken Fahrten.
Aber das gibt's doch bereits!?
https://www.teslamotors.c...
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Visionen, Innovationen und Mut zum Risiko auch Kapital zu verlieren.
Die ersten beiden Punkte will ich unserer Autoindustrie nicht absprechen, der letzte Punkt ist allerdings ein "non go" in unserer Wirtschaft.
Zusammengenommen investieren die etablierten Hersteller mehr in Elektro als Tesla. Aber sie haben einfach die schwierigere Position; bei einem Mercedes-Elektroauto auf S-Klasse-Preisniveau würden die Tester ganz anders meckern, dass der Wagen nur so groß und nur ähnlich gut ausgestattet ist wie eine E-Klasse, bei 200 km/h zu wenig Reichweite hat, usw.
Scheinbar hat der Author sich ebenfalls von dem unglaublichen PR-Hype anstecken lassen. Tesla macht dies genauso geschickt wie Apple mit seinen Smartphones seinerzeit. Und immer die gleiche einseitige Sichtweise und Argumente die schon 1000 fach widerlegt wurden und werden: durch Mio Kunden die immer noch ein Auto <40K, >800km Reichweite und <5min Tankzeit wollen.
Ein E-Auto für >40K ist keine Massenlösung sonder ist und bleibt ein Image-Gadget für Möchtegern Oekos. Die echten Oekos fahren Bus und Bahn, elektrisch natürlich.
"durch Mio Kunden die immer noch ein Auto <40K, >800km Reichweite und <5min Tankzeit wollen"
Diese Kunden gibt es sicherlich. Ich zähle aber nicht dazu, z.B. bin ich froh, wenn mein aktueller Benziner auf 500km kommt. Trotzdem habe ich ihn gekauft.
Wünschenswert wäre für mich ein Auto, das ich zuhause auftanken / laden kann, allerdings mit mindestens 200km realer Reichweite, und das auf Langstrecken von mehr als 200km weniger als 10 Minuten pro 100km nachtanken / nachladen muss. Unterm Strich würde ich so im Vergleich zu heute wohl Zeit sparen, da ich selten mehr als 100km von zuhause entfernt fahre. Spannenderweise dürfte das Model 3 diese Anforderungen erfüllen. Und außer mir dürften noch Millionen weitere Kunden ähnlich kompatible Anforderungen haben. Da gibt es also durchaus einen Markt.
Die zweite Frage ist natürlich die des Geldes. Wenn mir mein Wunschauto zu teuer ist, nehme ich eben weiterhin mit einem Auto vorlieb, das ich leider nicht zuhause auftanken / laden kann. Wenn das Model 3 auf dem Markt ist leiste ich es mir aber vielleicht trotzdem, mal schauen.