ZEIT ONLINE: Herr de Rook, Sie haben in Groningen regelmäßig Schwierigkeiten mit deutschen Autofahrern. Was läuft schief?
Paul de Rook: Viele Straßen unserer Innenstadt sind für Autos gesperrt – darauf weisen auch zahlreiche Schilder hin. Aber gerade die deutschen Autofahrer scheinen sie regelmäßig zu übersehen.
ZEIT ONLINE: Die Schilder sind genauso gestaltet wie in Deutschland: ein roter Kreis, darin ein Auto und ein Motorrad. Haben Sie eine Erklärung, wie man das nicht wahrnehmen kann?
de Rook: Wir vermuten, dass sie im Navigationsgerät das Groninger Zentrum als Ziel eingegeben haben und stur den Anweisungen folgen. Nicht alle Navis scheinen unsere Regelungen zu kennen und leiten die Fahrer auf gesperrte Straßen.
ZEIT ONLINE: Die gesperrten Straßen sind Teil des Groninger Verkehrskonzepts, das weltweit Beachtung findet. Selbst aus Saudi-Arabien und Hongkong kommen Delegationen zu Ihnen, um sich darüber zu informieren. Was interessiert die Fachleute besonders?
de Rook: Sie finden es spannend, wie sehr das Konzept auf Radfahrer ausgerichtet ist. In der Innenstadt ist das besonders anschaulich. Wir haben das Zentrum in vier Sektoren aufgeteilt, die zwar für Autos zugänglich sind. Aber sie können nicht direkt vom einen in den benachbarten Sektor wechseln, weil die verbindenden Straßen und Plätze gesperrt sind. Der Wechsel ist nur über den Ring möglich, der die Innenstadt umgibt.
ZEIT ONLINE: Autofahrer zu Umwegen zu zwingen, das klingt erst mal nicht umweltfreundlich. Wie retten Sie Ihre Abgasbilanz?
de Rook: Der Effekt ist absolut nachhaltig. Die Groninger lassen das Auto stehen, weil das Rad attraktiver geworden ist. Sie dürfen damit alle Straßen im Zentrum benutzen und sind schneller unterwegs. Ein Beispiel: Eine Fahrt vom Ost- in den Westteil dauert mit dem Auto rund zehn Minuten, mit dem Rad sind es nur zwei.
ZEIT ONLINE: Das Konzept stammt bereits aus den späten 1970er Jahren. Gab es keinen Aufschrei unter den Autofahrern?
de Rook: Natürlich haben die Bürger das heftig diskutiert. Es gab auch Proteste von Ladenbesitzern. Ihre Sorge war, dass Kunden nicht mehr kommen, wenn sie nicht mehr mit dem Auto zu ihnen fahren können. Stadträte warnten dagegen, dass Pkw das Zentrum zunehmend verstopfen. Die Politiker haben sich dann einfach durchgesetzt. Tatsächlich haben die Ladenbesitzer keine Verluste erlitten. Sie haben sogar profitiert, weil viel mehr Leute in die Innenstadt kommen als früher.
ZEIT ONLINE: Sie bringen die Groninger auch in den Außenbezirken aufs Rad. Wie gehen Sie dort vor?
de Rook: Zum einen haben wir die Vorschrift, jede Straße in einem Neubaugebiet mit einem Fahrradweg auszustatten. Zudem sind unsere Ampeln mit Nässesensoren ausgestattet, damit sie bei Regen schneller auf Grün springen – wohlgemerkt nur für Radler, damit die flott weiterkommen. Die Autofahrer sitzen ja im Trockenen und können warten.
ZEIT ONLINE: Groningen hat sogar Fahrradautobahnen gebaut. Wozu braucht man die?
de Rook: Wenn sich Autos und Fahrräder viel befahrene Straßen teilen müssen, drohen Konflikte. Eine unserer Radautobahnen führt zum Beispiel durchs Grüne zu einem Universitätsteil, der außerhalb der Stadt liegt. Rund 17.000 Leute benutzen sie täglich.
Kommentare
Nicht zu vergessen: die Disziplin und Fahrtüchtigkeit der Groninger Radfahrerinnen und Radfahrer. Selbst im dichtesten Fahradgewusel geht es ohne Probleme voran. "Kampfradler" findet man dort so gut wie gar nicht. Alle scheinen sich auf einen bestimmten Geschwindigkeitsbereich eingerichtet zu haben. Und das alles ohne Helm.
Vergleichbares findet man mit Einschränkungen in Deutschland nur in Oldenburg. Vielleicht scheint sich aufgrund der Grenznähe dieser Stadt einiges von der niederländischen Mentalität abzufärben.
Da verwechseln Sie wohl Ursache und Wirkung.
Auch ich bin wohl mehrmals als "Kampfradler" eingeordnet worden, das liegt u.a. daran, dass hierzulande Radler und Fussgänger gezwungen werden, den gleichen Weg zu benutzen. Klingeln - keiner reagiert. Schreien - böser Radfahrer! Da läuft einen plötzlich ein Junge vors Rad, Vollbremsung mit Abstieg überm Lenker - und die Erwachsenen stehen daneben und reagieren ungehalten! Ich war gar nicht schnell.
Ich kann es auch verstehen, dass angesichts vieler Schikanen sich Radfahrer ihr eigenes Recht schaffen. Es ist ihr Risiko - keine Grund für Außenstehende, sich darüber aufzuregen,
Das scheint ein durchdachtes Konzept zu sein.
Auch wenn ich persönlich nicht in einer autofeindlichen Stadt leben möchte*, finde ich es gut, wenn man dieses Konzept, so man es durchsetzen will, mit Alternativen und nicht nur mit Verboten durchsetzt.
Was ich allerdings sehr gut nachvollziehen kann, ist der Konflikt zwischen Fußgängern und Radfahrern: Im Prinzip ist er der gleiche wie bei Radfahrern und Autofahrern - die unterschiedliche Geschwindigkeit. Hier ist der Unterschied zwar kleiner, dafür sind Fahrradfahrer zur Not aber schneller im Wechseln auf den Fußweg als Autofahrer auf den Radweg. Ob es gelingt, hierbei für Disziplin zu sorgen?
*Mir ist durchaus bewusst, dass ich hier in Deutschland ebenfalls in autofeindlichen Städten lebe, obwohl Autos nicht verboten sind. Aber man kommt immerhin noch überall hin.
Ah, #1 anin scheint wohl schon einen Teil der Antwort auf meine Frage geliefert zu haben...
Abgesehen von den in Beitrag 1 für mich völlig nachvollziehbar erwähnten Mentalitätsunterschieden liegt auch im politischen Willen der Kommunen ein Riesenunterschied. Ich bin gelegentlich in Enschede, auch dort kann man ein gelungenes städtisches Verkehrskonzept bewundern. Nahverkehr und Fahrrad haben immer Vorrang, aber wenn man denn partout mit dem Auto in die Stadt will, dann geht das auch wunderbar, unterirdisch.
Natürlich sind holländische Städte beschaulicher und leichter zu gestalten als ein Moloch wie Berlin, trotzdem kann es doch nicht zu viel verlangt sein auch den Fahrradverkehr in Verkehrsachsen zu denken. Welchen sinn hat ein Dummfug wie die Maaßenstr. (http://tinyurl.com/z87qqqk) wenn man sich bei der Anfahrt die Spur mit Autofahrern und Zweitereiheparkern teilt.
"Abgesehen von den in Beitrag 1 für mich völlig nachvollziehbar erwähnten Mentalitätsunterschieden liegt auch im politischen Willen der Kommunen ein Riesenunterschied."
Glauben Sie nicht, dass sich die Politik der Kommunen an eben genau diesen Bürgermentalitäten orientiert?
Von einigen lokalen Bürgerparteien abgesehen, setzen sich in deutschen Kommunen und Städten nach meiner Beobachtung nach wie vor i.d.R. nur die Grünen für Fahrrad-gerechte Verkehrskonzepte ein und die repräsentieren nur zwischen 10 und 30% der Wähler. Da kommt so mancher Auto-liebender CDU/SPD-Kandidat (neuerdings auch die von der AfD) nicht selten mit der Ideologiekeule, von wegen Fahrräder wären nur was für "Ökos".
Ich wohne in Hamburg - da sind die Entfernungen schon größer. Im eigentlichen Citybereich kann man sich so etwas sicher vorstellen. Bleibt aber wie immer die Frage: Was ist wenn die Leute aus dem Umland oder aus HH ohne City die gesperrten Viertel nur noch ausgesucht besuchen und sonst woanders hingehen?
So oder so muss das viel passieren: Ich fahre morgens an der Elbe entlang in die Stadt. Das ist so ganz nett - aber wenn in einer Stunde 100 Radler so pendeln, ist das hochgeschätzt. Das entspricht nicht einem Wagon eines S-Bahnzuges auf der Strecke - die rappelvoll im 5 Minuten Takt fährt
Natürlich ist Hamburg größer als Groningen. Dadurch kann man im Prinzip innerhalb der Stadt größere Entfernungen haben.
Die Frage ist aber, ob man sie in größeren Städten zwingend tagtäglich haben muss? Wenn die Antwort für viele Bürger "ja" ist, dann kommen zwei, mindestens zwei, Ursachen in Frage:
1) Die Stadt ist ungeschickt organisiert und folgt einer der schlechtesten Ideen des Bauhauses, nämlich der von der Trennung der Funktionen. Im Westen wohnen, im Osten arbeiten, im Süden einkaufen, im Norden Freizeit. Wenn eine Millionenstadt so organisiert ist, ist man als Fahrradfahrer tatsächlich entweder schnell fit oder schnell ausgelaugt.
2) Die Stadt setzt auf das Auto und räumt dem motorisierten Verkehr viel Raum ein. Das bläht eine Stadt auf und reduziert selbst bei Mischung der Funktionen die Dichte der Funktionen, wodurch die Wege länger werden und bei durch gleichem angestrebtem Funktionswechsel bedingtem Ortswechsel wird eher zum Auto "gegriffen" als zum Rad. Die Anzahl Personen, die einen gegebenen Querschnitt in gegebener Zeit passieren können, ist für PKW mit großem Abstand am geringsten, siehe z.B. hier: https://www.youtube.com/w... Effekt: man nimmt die Stadt als "verstopft" wahr, wie die Groninger Lokalpolitiker, die dann die richtigen Schlüsse gezogen haben und eben nicht zum Ausgleich dem PKW-Verkehr noch mehr Raum eingeräumt haben.