Ja, genau, Sie. Sie machen mich zum Wutradler. Sie, die Sie normalerweise mit dem Auto zur Arbeit fahren, heute morgen aber eine Ausnahme gemacht haben, weil so schönes Wetter ist und Sie den Wind im Haar, die Sonne auf der Haut spüren wollten.
Sie tragen Ihr rostiges Hollandrad mit der durchhängenden Kette jedes Jahr im April aus dem Keller, drängeln sich an der roten Ampel vor und wollen dann, bevor es grün wird, schnell noch den Lieblingssong auf ihrem Handy einstellen. Klappt natürlich nie.
Ihretwegen fahre ich auf der Straße, weil Sie auf dem Fahrradweg rumeiern. Und ja, ich fahre mitten auf der rechten Spur. Ich habe nämlich keine Lust, in die sich öffnende Autotür Ihrer am Rand parkenden Kollegin zu fahren.
Sie zuckeln, ich fahre Rad
Sie wissen, wer ich bin. Sie spüren morgens meinen stechenden Blick, wenn Sie auf Ihrem Hollandrad sitzen und kurz überlegen, wie das nochmal mit dem rechts vor links war. Sie zuckeln bei schönem Wetter mit elfeinhalb Kaemha durch die Innenstadt. Ich fahre Fahrrad.
Ich bin Wutradler, und Sie haben mich dazu gemacht. An jedem Morgen, an dem Sie sich dachten: Ach, mit dem Fahrrad zur Arbeit, das wäre doch nett. Aber der Straßenverkehr ist nicht nett. Schon gar nicht auf dem Rad.
Das habe ich gelernt, und zwar von Ihnen. An all den verregneten und kalten Tagen, an denen Sie das Rad stehen lassen, sich ins Auto setzen und mich anschnauzen, ich solle gefälligst den Fahrradweg benutzen. Weil Sie nicht wissen, dass ich das nur muss, wenn er beschildert ist.
Meine Wut schärft meine Sinne
So wächst meine Wut jeden Tag. Sie macht mich schnell und agil, schärft meine Sinne. Ich sehe das Handy an Ihrem Ohr mit einem Blick in Ihren Seitenspiegel. Ich erkenne, wenn Sie, ohne sich umzusehen, die Autotür öffnen wollen. Meine Wut ist mein Radar, mein Schutzanzug für die Straße, an dem Ihre Beleidigungen abperlen.
Sie finden, ich sei rücksichtslos? Ich bin zwar ein Wutradler, aber ich kenne meine Pflichten. Ich fahre nicht bei Rot über die Ampel, ich höre keine Musik beim Fahrradfahren, ich schaue nicht aufs Smartphone. Nein, auch nicht ganz kurz. Ich fahre mit Licht, zwei Bremsen, Schulterblick und bleibe am Stoppschild stehen. Und wenn Sie Ihr Auto auf dem Fahrradweg parken, rufe ich die Polizei.
Wenn Sie in dem Moment zurückkommen und mich anschreien, lasse ich meine Wut heraus. Kontrolliert. Weil ich weiß, dass ich recht habe. Ich erkläre Ihnen, dass Halten und Parken auf dem Fahrradweg verboten ist und Sie mich und andere Radfahrer damit in Lebensgefahr bringen. Klar werde ich laut, sonst hören Sie mich ja nicht. Sie sagen dann: Ich fahre auch Fahrrad. Und ich lache. Denn ich sehe Sie ja an jedem Sonnentag.
Die Wut wurde zum Panzer
Bin ich arrogant? Vielleicht. Fitter, schneller, umweltfreundlicher als Sie? Auf jeden Fall. Kein Wunder, dass Sie mich nicht leiden können. Es fällt mir selbst manchmal schwer.
Denn ich war nicht immer so. Die Wut kam mit der Zeit. Früher war Fahrradfahren Genuss: Ich schwebte sanft über den Asphalt, genoss die Brise und rollte mit dem Verkehr, ob er langsam floss oder schnell. Da war ich selbst noch Schönwetterradler.
Nach dem Abitur tauschte ich das rote Hollandrad meiner Mutter gegen ein Rennrad und wurde Fahrradkurier. Vier Tage die Woche zehn Stunden auf der Straße. Fahrradfahren war mein Job. An guten Tagen wurde ich auf meinem Rad zum Fisch im Wasser. Der Asphalt war mein Ozean.
An schlechten Tagen war er eine Todesfalle. Ein Kollege verlor beide Beine, weil ihn ein Lkw übersah und beim Abbiegen überrollte. Auch bei mir war es mehrmals knapp, einmal landete ich auf der Motorhaube eines Taxis, das verbotenerweise wendete und mich übersah. So wuchs die Wut. Sie wurde zum Panzer.
Ich nutze meine Wut, um keine Angst zu haben
Ich will so nicht sein. Aber meine Wut ist mein Mittel gegen die Angst, weil ich sehe, wie gefährlich der Straßenverkehr für Radfahrer ist. Sie kocht in mir hoch, jeden Morgen, jeden Abend, bei jeder Fahrt mit dem Fahrrad, und wenn es nur fünf Minuten sind.
Denn ich bin Ihrem Auto schutzlos ausgeliefert, wenn Sie mich übersehen. Sie bringen mich auch dann in Gefahr, wenn Sie auf dem Fahrrad auf Ihr Handy schauen und über die komplette Breite der Fahrbahn pendeln, denn Sie zwingen mich zum Ausweichen.
Ich nutze meine Wut, um keine Angst zu haben, morgens zur Arbeit zu fahren. Schauen Sie sich morgen nach mir um. Und grüßen Sie! Sie wissen ja, wer ich bin.
Kommentare
"...fahre ich auf der Straße, weil Sie auf dem Fahrradweg rumeiern. Und ja, ich fahre mitten auf der rechten Spur. "
Wunderbar, dann fahre ich ab morgen mit dem Auto auf dem Radweg, mitten drauf, natürlich, wenn vor mir ein langsameres Auto fährt.
Wetten, dass Sie morgen nicht auf dem Radweg fahren. Sie wollen sicher nicht alle paar Meter einem parkenden Auto ausweichen.
Wutradler? Was es nicht alles gibt. Beim Thema Fahrrad muss im Sommerloch einfach jeder mal ran.
Sogar noch schlimmer. Es liest sich so, als ob Herr Schrader ziemlich verbittert und darüber auch noch verzweifelt ist.
Schade für den armen Mann.
Schöne Glosse, vielen Dank! Nur: Am Stoppschild anhalten? Nie über Rot? Das ganze Zeugs, Ampeln, Einbahnstraßen usw., wurde doch nur wegen des Autoverkehrs installiert – und für ihn. Damit muss man als Ganzjahresradler vorsichtig kreativ umgehen: Wenn ich an jeder Ampel gehalten hätte, wäre ich heute zwei Jahre älter.
ja, richtig. man muss vor allem wach bleiben und sich konzentrieren. Dann passiert auch nichts. habe meistens auch keine Zeit für den Ordnungswahn im Schilderwald.
Also ich weiß nicht .... Ich habe so das Gefühl, ZON wird immer mehr zum journalistischen 1 Euro Shop. Da findet man immer was, aber nach dem Kauf und dem genaueren Hinsehen stellt man fest, man kann es eigentlich überhaupt nicht gebrauchen.
Man hat wohl gemerkt wie sehr Radfahrerartikel polarisieren und deswegen kommen Artikel die noch mehr zum kommentieren animieren.