Die große Koalition setzt zur Vermeidung von Dieselfahrverboten in besonders schadstoffbelasteten Städten auf Tausch- und Nachrüstangebote der Autobranche. Das geht aus dem Beschlusspapier des Koalitionsausschusses hervor, auf das sich die Koalitionsspitzen nach stundenlangen Beratungen am frühen Dienstagmorgen geeinigt hatten und das Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) am Mittag in Berlin vorstellten.
Der erste Bestandteil der Einigung sind demnach Umtauschangebote der Hersteller. "Die deutschen Automobilhersteller haben dem Bund zugesagt, den Fahrzeughaltern von Euro-4- und Euro-5-Dieselfahrzeugen ein Tauschprogramm mit attraktiven Umstiegsprämien oder Rabatten anzubieten", heißt es in dem Beschluss. Dabei soll "der besondere Wertverlust, den Diesel-Fahrzeuge durch die Debatte um deren Schadstoffausstoß erlitten haben, ausgeglichen werden". Gekauft werden können Neuwagen und – anders als bei Prämien der Vergangenheit – auch Gebrauchte. Von den ausländischen Herstellern würden vergleichbare Angebote erwartet. Konkrete Summen der Prämien werden in dem Papier nicht genannt.
Der zweite Punkt sind Hardwarenachrüstungen, die ausschließlich für Fahrer von Dieselautos der Euro-Norm 5 ermöglicht werden sollen. Falls für diese eine solche Nachrüstung mit einem SCR-System "verfügbar und geeignet" ist, soll der jeweilige Autohersteller die Kosten hierfür einschließlich Einbau übernehmen. Weiter heißt es in dem Papier: "Damit tragen die Nachrüster die Haftung."
Die Regelungen des "Konzepts für saubere Luft in unseren Städten" gelten für Fahrer älterer Dieselfahrzeuge in 14 besonders schadstoffbelasteten Städten, sprich in München, Stuttgart, Köln, Reutlingen, Düren, Hamburg, Limburg an der Lahn, Düsseldorf, Kiel, Heilbronn, Backnang, Darmstadt, Bochum und Ludwigsburg. Zum anderen geht es um weitere Städte, in denen demnächst Fahrverbote kommen könnten – dies betrifft unter anderem Frankfurt am Main. Einbezogen werden sollen bei allen diesen Städten jeweils auch Bewohner der angrenzenden Landkreise und "außerhalb dieser Gebiete wohnhafte Fahrzeughalter, die ein Beschäftigungsverhältnis in der Stadt haben". Ebenso Selbstständige, die ihren Firmensitz in der Stadt haben und deswegen aus beruflichen Gründen in die Städte pendeln müssen, sowie Fahrzeughalter mit besonderen Härten.
Hintergrund für die neuen Maßnahmen ist zu schmutzige Luft in vielen deutschen Städten. Dieselabgase sind ein Hauptverursacher dafür. Daher drohen Fahrverbote für ältere Diesel. In Hamburg sind schon zwei Straßenabschnitte für sie gesperrt. In Stuttgart ist 2019 ein großflächiges Fahrverbot geplant. Kürzlich hatte ein Gericht auch Fahrverbote für die Innenstadt der Pendlerstadt Frankfurt am Main ab 2019 angeordnet. Die EU-Kommission macht ebenfalls Druck und will Deutschland per Klage beim Europäischen Gerichtshof zur Einhaltung der Grenzwerte zwingen, die schon seit 2010 verbindlich sind.
Renault bietet bis zu 10.000 Euro
Noch bevor die Details des Koalitionsbeschlusses bekannt geworden waren, hatte Renault als erster Konzern eine Umtauschprämie angekündigt. Der französische Autohersteller zahlt privaten Haltern alter Diesel-Pkw mit den Abgasnormen Euro 1 bis Euro 5 in Deutschland ab sofort beim Kauf eines Neuwagens gleich welcher Antriebsart bis zu 10.000 Euro Umtauschprämie. Die Prämien sind nach Modellen gestaffelt. Das Angebot gelte für Dieselfahrerinnen aller Marken und sei bis zum 30. November befristet.
Auch die deutschen Hersteller hatten solche Prämien angekündigt. Wie Bundesverkehrsminister Scheuer bereits am Montag andeutete, wollen VW, BMW und Daimler bis zu 8.000 Euro je Fahrzeug bieten. Hinzu kommen demnach Leasing-Angebote. Von den Konzernen selbst gab es dazu bislang keine Angaben.
Kommentare
Prima Ergebnis: Nachrüstung nur für Fahrzeuge in belasteten Regionen! Alle, die außerhalb dieser Bereiche wohnen, schauen in die Röhre und müssen mit den Schadstoffwerten leben. Damit hat die Industrie wieder einmal gewonnen und kann sich die Hände reiben. Der Umweltschutz bleibt auf der Strecke.
Man könnte sich auch ummelden...
Dann können wir uns ja nun alle abregen. Nun sind sie mal da, diese Diesel, und mehr als 20.000 pro Monat kommen ja auch nicht dazu. Da muss sowieso als aller erstes eine europäische Lösung her.
In den Nachrichten hörte ich gerade, dass Scheuer vorschlägt, dass bei Hardwarenachrüstungen die Industrie maximal 80% der Kosten trägt, den Rest (meist um die 600€ rum) zahlt der Verbraucher.
Ein Hoch auf den Standort Deutschland und seiner industriefreundlichen Politnomenklatura...
Verstehe ich dass richtig, dass die Kosten damit komplett bei den Herstellern liegen? Das wäre ja eine tatsächliche Überraschung.
Fraglich ist auch noch, wer festlegen kann ob eine Umrüstung sinnvoll ist?
Ich verstehe es eher so wie eine Tauschprämie beim Umstieg auf ein modernes Auto. Weshalb sollte die Automobilindustrie für Fahrzeuge mit den veralteten Normen Euro 1 - Euro 5 aufkommen, die damals Stand der Technik waren?
Für mich wäre es wichtig, übergreifende Bestimmungen für Fahrverbote festzulegen. Bis zu welchem Grenzwert darf ein Diesel NOx ausstoßen bei welchem Prüfverfahren, um auch bei geltendem Fahrverbot in die Stadt fahren zu dürfen. Wann gelten die Fahrverbote?
Wenn das geschehen ist, kann der Einzelne planen, was er mit seinem Diesel macht. Gegebenenfalls müssen dann nämlich auch EU6-Fahrzeugbesitzer tätig werden. Der eine oder andere EU5-Dieselbesitzer aber auch nicht.
Sie stellen die richtigen Fragen!
SPON schreibt dazu ein par mehr Infos:
"...ein Nachrüstsystem anbieten, und zwar bei allen Fahrzeugen, wo es "verfügbar und geeignet" ist, den Stickoxid-Wert unter die Schwelle von 270 Milligramm Stickoxid pro gefahrenem Kilometer zu bringen. Dieser Wert liegt etwas oberhalb der eigentlich für Diesel der Schadstoffnorm Euro 5 gültigen Grenze von 180 Milligramm..."
Wenn das so stimmt, schaffen es evtl. auch einige "Bestands-Euro-5" diesen Wert zu unterbieten und bei vielen Euro 6 stellt sich die Frage, ob diese überhaupt diesen Wert einhalten. Zeigt aber einmal mehr, dass die Grenze Euro5/6 sehr willkürlich gezogen wurde. Nach dem Wiesbadener Urteil bez. Frankfurt gab es keinerlei Berichterstattung über Entscheidungsfindung im Bezug zu technischen Details, warum dann genau diese Abstufung gewählt wurde! Bauchgefühl der Richter??