Mikael Colville-Andersen ist ein kanadisch-dänischer Stadtplaner und Experte für urbane Mobilität. Er arbeitet weltweit mit Regierungen zusammen und berät sie zu Fragen der fahrradfreundlichen Stadt der Zukunft. Wie sieht seine Vision einer Stadt aus?
ZEIT ONLINE: Herr Colville-Andersen, Sie vertreten die These, dass
die Mobilität der Zukunft auf der alten Erfindung des Fahrrads beruht. Sie
wollen also eine Welt ohne Autos?
Mikael Colville-Andersen: Auch in Zukunft wird es Autos auf unseren
Straßen geben. Ich bin nicht Anti-Auto, sondern Pro-Stadt. Ich bin aber der
Meinung, dass wir zu viele Autos in unseren Städten haben. Wir haben seit den Siebzigern versucht, so viele Autos in die Stadt zu bekommen wie nur möglich. Das
Resultat sehen wir heute. Wir sollten stattdessen anfangen, die Dinge zu nutzen,
die wir bereits erfunden haben: öffentlicher Nahverkehr, Fahrräder,
Fußgängerwege.
ZEIT ONLINE: Sie wollen nicht Anti-Auto sein, Sie fordern aber, dass
man Autos mit Warnhinweisen wie auf Zigarettenpackungen ausstattet. Klingt so
nicht ein radikaler Autogegner?
Colville-Andersen: Ich finde das gar nicht radikal. Klar, das klingt nach einer verrückten Idee. Einer meiner Freunde ist
Arzt und hat sich die Warnhinweise auf Zigarettenpackungen angesehen und
festgestellt, dass man die genauso auf Autos kleben könnte. Stellen Sie sich
mal vor, was dann los wäre. Was wäre, wenn ab Montag alle Autos mit
Warnhinweisen fahren müssten? Das würde die Wahrnehmung des Autos komplett
verändern. Dann würden wir vielleicht bemerken, dass in Europa jährlich
35.000 Menschen durch Autos sterben. Dazu kommt die Luftverschmutzung, die
Lärmbelastung. Ich finde, da sind Warnhinweise angemessen.
ZEIT ONLINE: Sie wollen also Autoscham erzeugen?
Colville-Andersen: Unbedingt! Ironischerweise ist der Begriff der
Flugscham vor allem in Schweden und Deutschland präsent, beides Länder mit
einer starken Automobilindustrie. Wenn ich mir aber die Zahlen anschaue, tragen
Flugzeuge nur zwei Prozent zum Ausstoß von CO2 bei, der Straßentransport um ein
Vielfaches mehr. Dass wir uns in der Klimadebatte auf Flugzeuge fokussieren,
ist doch idiotisch. Autofahren muss das neue Rauchen sein. Mich wundert, dass
diese tolle junge Bewegung das noch nicht so richtig für sich entdeckt hat.
Vielleicht liegt das eben an der starken Industrie.
ZEIT ONLINE: Ist also die Autolobby schuld daran, dass es nicht
genügend Fahrradwege gibt?
Colville-Andersen: Dafür gibt es keinen Beweis, aber sicher hat das einen Einfluss. Andererseits darf das auch keine Ausrede sein. Japan ist nach den Niederlanden und Dänemark die drittgrößte Fahrradnation der Welt – obwohl das Land einen großen Automobilmarkt hat. Es ist durchaus möglich, Fahrräder in Autoländern zu etablieren. In den Zwanzigerjahren war Kopenhagen auch noch eng mit der Autoindustrie verknüpft. Viele Renaults und Fords wurden hier montiert. Trotzdem war Kopenhagen schon immer die fahrradfreundlichste Stadt der Welt. 63 Prozent der Kopenhagener nutzen das Fahrrad.
ZEIT ONLINE: Warum fahren die Kopenhagener lieber Fahrrad als die Berlinerinnen?
Colville-Andersen: Die Motivation ist eine ganz andere. In
Deutschland und interessanterweise den USA herrscht immer noch das Bild vor,
dass man Fahrrad fährt, um sich selbst etwas Gutes zu tun und ein bisschen die
Welt zu retten. Damit kann man aber nur wenige überzeugen, wenn man sich das
menschliche Gehirn und die Transportpsychologie ansieht. Was die Menschen
zum Fahrradfahren animiert ist das, was jeder Homo sapiens möchte: schnell von
A nach B zu kommen. Eine Stadt muss also so organisiert sein, dass Fahrradfahren nicht
die gesündeste oder grünste, sondern die schnellste Alternative ist.
ZEIT ONLINE: Wie erreicht man das?
Colville-Andersen: Indem man Platz schafft, Wege ausbaut, Anreize
setzt. Auf lokaler Ebene geschieht das schon an vielen Stellen. Und es wird für
Bürgermeister immer peinlicher, wenn sie nicht handeln. In Oslo haben sie in
den vergangenen vier Jahren 7.000 Parkplätze entfernt und ein autofreies
Stadtzentrum geschaffen. Auch in Paris gibt es viel mehr autofreie Zonen als
früher. Überall entstehen Bürgerbewegungen, die genau das fordern.
Kommentare
Wenn ich kurz mal in die Stadt will und das Wetter passt nehme ich gerne das Rad, gehen zu Fuß oder benutze den ÖPNV. Das die Voraussetzungen dafür geschaffen werden sollten indem es vernünftige Rad- und Fußwege sowie einen ÖPNV gibt ist klar. Aber was den Verantwortlichen Städteplanern und vielen Politikern einfällt ist seit Jahren das gleiche: Beschränkungen, Verbote und andere Gängeleien. Ich habe es echt satt.
Autoscham, die Idee ist fast richtig, aber nur fast! Wichtig und richtig wäre es die Suchtfaktoren zu beseitigen. Dazu zähle ich eine Sedlugns- und Wirtschaftsstruktur der kurzen Wege im täglichen Leben als Familie, Kultur, Arbeit, Freizeit, Freude, Hobby, Gesundheit und Versorgung.
Und PKW-Fahren nicht, auch nicht idirekt, subventionieren. Z.B. alles Parken ( mehr als 30min ) auf öffentlichen Grund inkl. der "Laternengaragen" mit Parkgebühr von akuell 2€/h, an jeder der 24h des Tages, an allen 365 Tages des Jahres.
Du brauchst einen PKW, dann kauf dir einen Tiefgaragenpaltz, zu teuer, dann zieh näher um zur Arbeit.
Und V8 die Zigarre der Zukunft!
Das Problem bei Lieferung mit Fahrrad ist aber die zusätzliche Belastung auf die Lieferdienste. Diese sind völlig überfordert. Wenn man denen ihr Auto wegnimmt wird es noch härter. Wenn man Lieferungen unbedingt per Fahrrad abwickeln muss, dann müssen die Lieferdienste entlastet werden. Man könnte diesen Job für Studenten und Schüler attraktiver machen. Beispielsweise eine App in der man Lieferungen spontan annehmen kann und wenn man sie abgeliefert hatt bekommt man eine bestimmte Bezahlung.