ZEIT ONLINE:
Die CSU hat 17 Prozentpunkte verloren. Ist schon jemals eine Partei in Deutschland dermaßen abgestraft worden?
Winand Gellner:
Es ist in dieser Form sicher eine Premiere, dass eine Fast-schon-Staatspartei mit einem Abonnement auf die alleinige Regierung derartig bestraft wird und sich nun auf eine völlig neue Situation einstellen muss. Denn die CSU hat ja überhaupt keine Erfahrungen mit Koalitionen im Land.
ZEIT ONLINE:SPD und CSU stecken schon lange in Problemen, die CSU hat dagegen lange ihre Sonderrolle bewahren können. Sie hat sich gerühmt, die letzte starke Volkspartei Europas zu sein. Wieso hat es sie diesmal so stark erwischt?
Gellner:
Natürlich konnte und kann sich die CSU den allgemeinen Trends zur Differenzierung der Wählerpotenziale nicht völlig entziehen. Aber sie hat diesen Absturz doch großenteils selbst verursacht durch ein grotesk anmutendes Führungspersonal, das verhängnisvoll war. Dazu kam eine Politik, die in die Regierungszeit von Edmund Stoiber zurückreicht. Aus Sicht der klassischen Klientel der CSU wurden da schwere Fehler gemacht, von der Pendlerpauschale über den Transrapid bis zur rabiaten Verkürzung der Gymnasialzeit.
ZEIT ONLINE:
Nicht wenige in der CSU schieben die Schuld jetzt auf Stoiber. Hat er die Wurzeln für die schwere Niederlage gelegt nach seinem großen Triumph 2003?
Gellner:
Ja. Es ist sicher eine Form von Hybris gewesen zu glauben, man könnte mit dieser Zweidrittelmehrheit das Land völlig und auf Jahrzehnte hin zu einer Hochburg der CSU herbeiplanen. Das war eine Fehlkalkulation und eine Überforderung der Partei, in der es ja schon rumorte. Trotzdem ist der wahrscheinlich entscheidendere Punkt der völlig missglückte Personalwechsel durch zwei Putschisten, die gar nicht den Mut hatten zu führen.
ZEIT ONLINE:
Gehen Sie davon aus, dass nicht nur Parteichef Erwin Huber, sondern auch Ministerpräsident Günther Beckstein gehen muss?
Gellner:
Ja, ich denken schon. Man lässt ihnen vielleicht eine Anstandsfrist. Aber die beiden haben ja schon gestern Abend in ihren zum Teil gestammelten Erklärungen den Eindruck vermittelt, dass sie selbst nicht mehr so richtig daran glauben, dass sie eine Zukunft haben.
ZEIT ONLINE:
Kann eine neuen Führung, kann ein Horst Seehofer die CSU zur alten Stärke zurückführen?
Gellner:
Das ist ein entscheidendes Problem. Seehofer ist nicht unbedingt der Darling der Partei. Er gilt als schwer zu steuernder Einzelgänger. Es wird davon abhängen, ob die CSU zur Geschlossenheit zurückfindet. Es gibt eine Reihe sehr ehrgeiziger junger Politiker, insbesondere der frühere Generalsekretär und jetzige Europaminister Markus Söder, aber auch Landesinnenminister Hermann und Landtagsfraktionschef Schmidt, die Seehofer nicht so einfach der Feld überlassen werden. Seehofer wird wahrscheinlich Parteichef werden, als Regierungschef sehe ich ihn nicht. Hier wird man eher eine innerbayerische Lösung finden. Das wird alles schwierig. Da wird es zu sehr schweren Machtkämpfen kommen.
ZEIT ONLINE:
Erlebt die CSU jetzt das, was die SPD schon seit Langem durchmacht?
Gellner:
Ja. Der CSU stehen schwere Zeiten bevor. Wenn man ihre Ergebnis auf die Europa- und Bundestagswahl im nächsten Jahr hochrechnet, bekommt sie ein noch größeres Problem. Bei der Europawahl, wo die Stimmen für CDU und CSU getrennt gezählt werden, könnte sie erstmals an der bundesweiten Fünfprozent-Hürde scheitern. Davor hat man in der Partei richtig Angst. Und auch für die Bundestagswahl könnten die Folgen dramatisch sein, wenn der Union entscheidende Stimmen aus Bayern fehlen.
ZEIT ONLINE:
Die Freien Wähler haben mehr als zehn Prozent erzielt. Sind das reine konservative Protestwähler, die die CSU zurückholen kann?
Gellner:
Das Erstarken dieser Gruppe ist Ausdruck eines Konflikts innerhalb des konservativen Lagers. Das sind viele Lokal-Honoratioren, die sich wegen innerparteilicher Streitigkeiten von der CSU abgewendet haben. Natürlich ist das Fleisch vom Fleische der CSU. Aber die CSU macht einen großen Fehler, wenn sie jetzt argumentiert, das bürgerliche Lager sei in der Summe sogar gewachsen. Der Versuch, hier eine große bürgerliche Koalition herbeizureden gegenüber "Sozialisten" und grünen "Spinnern" auf der anderen Seite, könnte nach hinten losgehen. Da wird die CSU Probleme mit der FDP bekommen. Denn die ist ja keineswegs einheitlich, da gibt es Leute wie Sabine Leutheusser-Schnarrenberg, die sich nicht von der CSU vereinnahmen lassen wollen. In der FDP wird es mit Sicherheit Diskussionen geben, ob das der einzige Weg ist.
Kommentare
Ein guter Artikel zum Thema. Sollte die CSU weiter an Zustimmung verlieren (was sehr wahrscheinlich ist) und unter 40% fallen, so sollte sich die CDU gut überlegen wie sie mit dieser "Schwesternpartei" umgeht.
Bravo liebe Wähler. Endlich ist auch Bayern in der Demokratie angekommen. Applaus und vielen lieben Dank!
Bayern
Letztlich ist es gut, dass sich auch in Bayern etwas bewegt. Die Analyse stimmt genau. Die müssen jetzt echt mal nachdenken.
Bürgerliches Lager in Bayern gewachsen- Weitere Sonderrolle
Bei aller Schadenfreude gegenüber der CSU darf man nicht verkennen, dass die Seele der Bayern weiterhin schwarz ist.
Die rechtskonservative Wählervereinigung FREIE WÄHLER hast knapp 12 % der Stimmen errungen. Das sind Stimmen der CSU.
Bei Bundestags- und Europawahlen werden diese Stimmen wieder an die CSU gehen.
Das Führungsduo und die schlimmen Schnitzer beim Rauchverbot, dem G8 und der 3. Startbahn hat die konservativen Wähler in die Arme der rechtskonservativen FREIEN WÄHLER getrieben.
Die Menschen werden die CSU nun genau beobachten. Denn, wenn diese Menschen wirklich eine andere Regierung haben wollten, dann hätten sie für den Linksblock gestimmt.
In Bayern kommen SPD, GRÜNE und LINKE auf nicht einmal 30% der Wählerstimmen und das spricht eine deutliche Sprache.
Bayern hat sich im Grunde nicht geändert, doch haben die Wähler eine Koalition wählen wollen.
Wie es JUTTA SPEIDEL am Samstag in einer Münchner Zeitung sagte: "Diesmal wähle ich so, dass es keine reine CSU Regierung geben wird!"
Diese Einstellung hatten über 20% der Bayern, die sonst ihr Kreuzchen wieder bei der CSU gemacht hätten.
(entfernt. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir auf diese Seite nicht verlinken möchten. Danke. Die Redaktion/jk)