ZEIT ONLINE : Herr Heitmeyer, warum geschehen an Schulen immer wieder Amoktaten wie jetzt in Winnenden ?
Wilhelm Heitmeyer : Die Schule stellt einen ganz wichtigen Erfahrungs- und Handlungsraum für junge Menschen dar. Sie kann Anerkennung in hohem Maße verschaffen, aber auch verweigern; und sie kann Erfahrung von Missachtung hervorrufen, sowohl durch Lehrer als auch durch Mitschüler. Die Erfahrung von Missachtung durch das soziale Umfeld kann sich mit der Verweigerung von Anerkennung durch Leistung verdichten. Je stärker die Schule Lebenschancen verteilt, desto stärker löst sie Stress aus. Das lässt sich gut in den Analysen des Attentats von Columbine beobachten. Die Täter Klebold und Harris fühlten sich ständig verspottet, ausgelacht und missachtet.
ZEIT ONLINE : Die Erfahrung von Missachtung gehört ja zum System Schule. Was muss hinzukommen, um solch eine Gewalttat zu begehen?
Heitmeyer : Man kann es nie allein auf die Schule schieben. Die Eltern spielen eine Rolle, auch wenn deren Einfluss mit zunehmendem Alter der Kinder abnimmt. Die Gruppe der Gleichaltrigen wird hingegen wichtiger. In der Familie ist beispielweise Liebe eine Quelle von Anerkennung. Versiegt diese und fehlt auch die Anerkennung durch Gleichaltrige, kann es dazu kommen, dass ein Jugendlicher keinen Ausweg mehr sieht. Wobei wir in der Regel nicht wissen, was solch eine Tat letztlich auslöst.
ZEIT ONLINE : Sicherlich werden auch Killerspiele wieder als Ursache genannt werden. Wie stehen Sie dazu?
Heitmeyer : Der Medienkonsum wird immer in dieses Konzert der Auslöser mit eingebunden. Meine These ist, dass Medien wie Computerspiele höchstens Verhaltensmuster und -strategien bereitstellen, aber nicht die Entscheidung zur Tat. Man verschätzt sich, wenn man meint, man könne solche Taten durch Verbote verhindern. Allerdings werden über Medien Gewaltfantasien angeregt. Gemixt mit Missachtungserfahrung und dem Wunsch, sich gewissermaßen eine unsterbliche Anerkennung zu schaffen, auch wenn es eine negative ist, können Medien eine Rolle bei solchen Taten spielen.
ZEIT ONLINE : Sind Amokläufe immer Selbstinszenierungen?
Heitmeyer : Viele Amoktäter, wie der Schütze von Emsdetten, stellen Filmchen von sich selbst in martialischen Posen ins Netz. Daran sehen wir, dass es keine Menschen sind, die sich verstecken, sondern solche, die sich präsentieren wollen. Gewalt steht jeder Frau und jedem Mann zu Verfügung, aber bis sie angewendet wird, müssen Hürden überwunden werden. In der Kriminologie spricht man von Neutralisierungstechniken, mit denen anderen, Mitschülern oder Lehrern, die Schuld in die Schuhe geschoben wird. Diese Schuldzuweisung muss geschehen, bevor jemand Gewalt anwendet.
Kommentare
Virtuelle Schule
...Der Täter von Emsdetten beispielsweise baute seine Schule virtuell nach, um genau zu wissen, wo was zu tun sei...
ich bitte Sie, das ist doch Quatsch. Man geht jeden Tag in seine Schule, jeder könnte sich auch noch nach 20 Jahren darin zurecht finden.
Eine Schule baut man virtuell nach, weil man das Gebäude gut kennt und ausprobieren will, wie genau man es hinbekommt.
Und eine realistische Nachbildung ist ohnehin ohne Baupläne nicht möglich.
Virtuelle Schule
Wenn ich mich recht erinnere, war das nicht nur irgendein virtueller Nachbau, sondern eine Szenerie für ein Ballerspiel. D.h. der spätere Amokläufer konnte darin schon mal virtuell herumschießen. Die Aussage des Herrn Heitmeyer macht für mich durchaus Sinn.
Mich würde interessieren, seit wann diese Form der Tötung mit äußerlich zweckfreiem Motiv bekannt ist. Von Amoklauf spricht man ja wohl nur bei mehreren Opfern. Gibt es nur eines, wird der Täter in der Regel ja als geistesgestört bezeichnet.
Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts glaubte man, dass Amokläufer nur im Vollrausch ihre Tat begingen. Im renommierten Lexikon von Meyer aus dem Jahre 1888 heißt es dazu:
* Zitat aus Meyer: „Amucklaufen (Amoklaufen, vom javan. Wort amoak, töten), eine barbarische Sitte unter mehreren malaiischen Volksstämmen, zum Beispiel auf Java, besteht darin, dass durch Genuss von Opium bis zur Raserei Berauschte, mit einem Kris (Dolch) bewaffnet, sich auf die Straßen stürzen und jeden, dem sie begegnen, verwunden oder töten, bis sie selbst getötet oder doch überwältigt werden.“
Ich denke Amokläue gibt es seid dem es die Menschheit gibt.
Kommentar von hm
Der Verfasser hat allem Anschein nach von Wikipedia abgeschrieben; diese Methode hat den Vorzug, sich nicht allzusehr gedanklich belasten und für den Leser, nicht unter Wikipedia nachlesen zu müssen, was der Verfasser doch erwähnen sollte. Auch Hobbyjournalisten sollten öffentlich zugängliche Quellen doch bitteschön zitieren und sich nicht mit fremden Federn schmücken. Nichts für ungut!
Heuchelei
Nach dem Erfurter Massaker gab es hinreichend viele und deutliche Stellungnahmen, welche strukturellen Faktoren in unserer Gesellschaft - in den Altersgruppen der Heranwachsenden zumal - Entwicklungen wie die von Robert Steinhäuser und andern Medien-Eklatisten begünstigen. Sie wurden ignoriert. Nun hebt wieder das Medienritual an, das Geschrei nach WARUM und das Gerede vom ach so "unauffälligen" Psychoten. Darauf folgt "business as usual", es heißt, auf so etwas könne niemand gefasst sein, das gäbe es eben immer wieder. Beim nächsten Mal sind noch mehr Spezialisten für solche Fälle verfügbar, Thüringen kann BaWü, BaWü dann dem folgenden Tatland Unterstützung der Opfer durch geschulte Psychologen anbieten. Auch die Berichterstattung wird von Mal zu Mal besser.
Amoklauf eines 17-jährigen Exschülers an einer Realschule
Die Psychologie des Amokläufers ist hinreichend erforscht, gibt aber keine verlässliche Prognose im Einzelfall. Faktoren, die hierbei eine wesentliche Rolle spielen sind u.a. Alter, Geschlecht, Familie, Biographie, Erziehung, Gesellschaft, ökonomische Situation, individueller Umgang mit Gewalterfahrungen vor allem in der Kindheit, Medien, langjährige Frustration, Isolation im sozialen Umfeld, ungelöste Konflikte, Probleme der Adoleszens, Hoffnungslosigkeit, Zugang zu Waffen oder Sprengstoffen, eine individuelle Neigung zu Gewalttätikeit, Rachebedürfnisse aus dem subjektiven Gefühl der Inferiorität heraus, Identitätskonflikte, psychische Erkrankungen, vermutlich auch genetische Veranlagung. Die Gewichtung all dieser Faktoren ist im Einzelfall kaum zu bestimmen, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie in komplexer Weise voneinander abhängig sind. Letztenendes sind hier alle Begrifflichkeiten nichts als Annäherungen, die dem Phänomen nie gerecht werden können.
Da es sich beim Amoklauf um eine geplante Tat handelt, stellt sich die Frage nach dem Motiv. Die Beantwortung der Frage ist dem Amokläufer aber verwehrt; denn wenn er wüsste, weshalb er diese Tat zu tun beabsichtigt, würde er davor zurückschrecken. Er würde sich nämlich als Objekt begreifen müssen; das aber kann er nicht. Und er will es nicht. Er will -endlich- Subjekt einer Tat sein, die er planvoll vorbereitet, um möglichst viele auch wahllos mit in den Tod zu reißen. Ein fataler Trugschluss.