Nie wieder zurück nach Deutschland. Als Max Mannheimer 1945 nach jahrelanger KZ-Haft von US-Soldaten in Oberbayern befreit wird, schwört er sich, das Land der Nazi-Diktatur nicht mehr zu betreten. Eltern, Ehefrau, Geschwister waren in Auschwitz ermordet worden. Nur Mannheimer und sein Bruder Edgar überlebten den Holocaust.
Sein Menschenbild, sagt Mannheimer heute, habe sich durch das Erlebte verändert: "Für mich ist eine Welt zusammengebrochen, als ich sah, was in Auschwitz passiert ist."
Doch schon Ende 1946 kehrt er nach Deutschland zurück. Seine zweite Ehefrau, eine deutsche Sozialdemokratin, überredet ihn, dem Land eine zweite Chance zu geben und den Wiederaufbau mitzugestalten. Mannheimer macht eine ernüchternde Erfahrung in der noch jungen Bundesrepublik: Ehemalige Nazi-Funktionäre kehren in gesellschaftliche und politische Schlüsselpositionen zurück. Im Kalten Krieg fragte niemand mehr nach ihrer Vergangenheit.
Mitte der achtziger Jahre beginnt Mannheimer, in Schulen und kirchlichen Einrichtungen als Zeitzeuge über seine Erlebnisse unter der NS-Diktatur zu sprechen. Sein Ziel: Junge Menschen "für die Demokratie stärken" und ihnen die Schuldgefühle nehmen. Für das, was in der Vergangenheit geschehen sei, könne man sie nicht verantwortlich machen, betont Mannheimer. Für das, was in Zukunft geschieht, hingegen schon.
Dass Patriotismus gerade auch bei Jüngeren wieder populärer wird, sieht Mannheimer einerseits entspannt, andererseits mit Sorge: Patriotismus an sich sei etwas ganz Normales, in allen Ländern. Eine Gefahr drohe, wenn Patriotismus "gegen andere ausgespielt" werde.
Den Aufstand für Freiheit und demokratische Reformen in der arabischen Welt verfolgt der jüdische Holocaust-Überlebende Mannheimer mit großer Sympathie: "Es ist ein Anfang und ein Hoffnungsschimmer." Für ihn steht außer Frage, dass neue Medien wie das Internet dabei eine wesentliche Rolle spielen: "Ohne diese Informationen waren die Leute vollkommen isoliert."
Die Tatsache, dass in wenigen Jahren keine Zeitzeugen mehr leben, die die NS-Zeit bewusst miterlebt haben, sieht Mannheimer auf seine ganz eigene Art sehr pragmatisch: "Es gibt auch keinen Cäsar und keinen Napoleon mehr. Und trotzdem – wenn jemand daran interessiert ist, kann er etwas darüber erfahren." Es liege nun in der Hand der Politik, dafür zu sorgen, dass die Geschichte des Holocaust nicht vergessen werde, sagt Mannheimer: "Weil es leicht zu Wiederholungen kommen kann."
Kommentare
Diskussion über das Böse
Zitat: "Sein Menschenbild, sagt Mannheimer heute, habe sich durch das Erlebte verändert"
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Trotzdem spricht er mit Schülern über seine Erlebnisse mit der NS-Diktatur. Er hätte auch, ebenso konsequent, sagen können: "Ist mir egal, was die denken, für mich sind diese Leute gestorben!" Hat er aber nicht. Viele Andere in seiner Lage haben das auch nicht. Es lohnt sich, darüber zu diskutieren, warum Mannheimer und die Anderen sich am Wiederaufbau Deutschlands beteiligt haben, anstatt die Deutschen rechts liegen zu lassen. Das wäre nämlich eine Diskussion - nicht nur über Deutschland, nicht nur über Geschichte - sondern über das Böse selber.
Diese wunderbaren Augen...
...ein echter Mensch, eine Einladung zur Menschlichkeit, ein Mensch von menschlicher Größe.
Danke
Warum wir "Gutmenschen" brauchen!
Sein Leben erklärt eindrucksvoll warum wir Gutmenschen/Utopisten brauchen.
Nach 2 Weltkriegen und zahlreichen weiteren Kriegen, wäre es nur verständlich gewesen sich dafür einzusetzen, dass aus diesem aggressiven und schrecklichen Land eine nukleare Wüste wird.
Diese Menschen haben anders gedacht, die Vorstellung - die Utopie, dass dieses Land auch friedlich sein kann, dass diese Menschen auch tolerant und freundlich sein können, dass es einmal in Europa für eine längere Zeit Frieden gibt, diese Utopie muss unvorstellbar groß gewesen sein.
Aber diese Menschen, indem und dadurch sie diese Utopie geglaubt haben, ist jene zur Realität geworden.
Wir ehren diese Menschen, wenn auch wir uns der scheinbaren Utopie hingeben, weltweiter Atomausstieg, weltweiter Frieden, multikulturelles Zusammenleben, Asyl für afrikanische Flüchtlinge.
"Wer nur einen Menschen rettet, rettet die ganze Welt."
Grausamkeiten gab es in der Menschheitsgeschichte genug
Die bestens ausgebildeten Deutschen waren wohlinformiert über die tragischen Geschehnisse in der Menschheitsgeschichte. Allerdings ist erzählte Geschichte genau so wirksam wie die Ratschläge der Alten an die Jungen. Jede Generation muß und will die Welt neu für sich entdecken. Im Guten wie im Bösen. Es ist daher imho eine vergebliche Hoffnung, durch Informationen über Greueltaten zukünftige Verbrechen verhindern zu können. Das Elend der Millionen Verhungernden und an heilbaren Krankheiten Sterbenden auf der Welt, das Leid, dass der unrechtmäßig geführte Krieg im Irak verursachte, spricht für sich. Es gab und gibt keinen ernsthaften Widerstand gegen Verbrechen dieses Ausmaßes. Die Beherrschung der Medien genügt, man braucht nicht einmal Gewalt anzuwenden, um Widerstand zu ersticken. Solange man nicht persönlich betroffen ist, tut man in der Regel nichts, wie damals.