Irgendwas passiert in Tripolis – Seite 1
Wenn Wirklichkeit und Parodie nicht mehr zu unterscheiden sind, ist die Satire entweder sehr gut gemacht oder es liegt etwas im Argen. Die Berichterstattung der vergangenen Tage aus Libyen war so atemlos und undurchschaubar, die Dialoge oft so banal und aufgeregt, dass man sich bisweilen in einem Sketch einer Comedy-Sendung wähnte. Was läuft da schief?
Zum Beispiel das Gespräch zwischen dem amerikanischen Fernsehmoderator Anderson Cooper und dem aus London zugeschalteten New York Times -Journalisten John Burns . Eigentlich sollte Burns dem CNN-Morderator erklären, warum er glaubt, dass sich Gadhafi in dem Hotel befinde, in dem zu diesem Zeitpunkt noch diverse internationale Journalisten festgesetzt waren. Bloß: Burns glaubte das gar nicht. Stattdessen spekulierte er munter, aber wenig substanziell über den Charakter des libyschen Machthabers und darüber, was dessen Festnahme für die aktuellen Kämpfe bedeuten könnte. Ein Gespräch ohne jeden Neuigkeitswert also, weshalb CNN den Dialog mit scheinbar per Zufall eingespielten Bildern garnierte – von Gadhafi und von Rebellen auf Pickups oder bewaffneten Männern, die mit Maschinenpistolen auf irgendjemanden schießen.
Parodien solcher Kriegsberichterstattung gibt es tatsächlich, unter anderem in Jon Stewarts Daily Show und in Switch , anlässlich des Irak-Krieges : Michael Kessler als Peter Klöppel interviewte damals Peter Nottmeier. Nottmeier gab den aufgeregten, aber ahnungslosen Korrespondenten, der auf einem Hausdach nahe der Frontlinie steht. "Fliegen denn schon wieder diese weißen Striche in den Himmel?", fragte Kessler als Klöppel da – mehr Substanz ist der aktuellen Libyen-Berichterstattung oft ebenfalls nicht abzugewinnen.
Die elaborierte Ahnungslosigkeit, die viele Medien dieser Tage senden und veröffentlichen, ist allerdings keine Folge von Schlampigkeit oder fehlendem Willen. Sie ist vielmehr angesichts der undurchschaubaren Situation am Berichtsort zwangsläufig. Wenn schon die Menschen in Tripolis nicht wissen, wer an der Macht ist, wenn der Sieg der Rebellen nahe scheint, aber eben noch nicht errungen ist, wenn vermutlich nicht einmal Gadhafi selbst mehr übersieht, wie es um Libyen bestellt ist: Wie sollen es die Journalisten wissen?
Es ist das bittere Dilemma der Auslandskorrespondenten. Da sie sich schon aus Gründen der Logistik und Sicherheit nur bedingt frei bewegen können, bleiben ihre Eindrücke Fragmente. Sie sind zu nah am Geschehen, um es wirklich einordnen zu können. Gleichzeitig ist der vermeintliche Aktualitätsdruck hoch. Und so schreien sie in ihre Mikrophone, während sie in einer Gruppe feiernder und in die Luft schießender Menschen stehen.
Was fehlt, ist der Blick aus der Halbdistanz
Die Fachleute in der Ferne müssen sich derweil mit Allgemeinplätzen und Zukunftsszenarien durchwursteln. Da werden dann schon Verfassungen entworfen und es wird über den bestmöglichen Wahltermin spekuliert, während die Schlacht noch tobt. Das ist nicht per se verwerflich. Denn es ist auch die Aufgabe eines Journalisten, gesellschaftliche und politische Entwicklungen vorauszudenken und den Möglichkeitsraum auszuleuchten, selbst, wenn er mit dem Ergebnis manchmal falsch liegt. Doch entsteht gerade bei Prozessen, die sich so schnell entwickeln wie der Krieg in Libyen, die Gefahr, dass die Verbindung zwischen Vorausschau und Wirklichkeit abreißt.
Was fehlt, ist der Blick aus der Halbdistanz. Es ist, als würde man ein Fußballspiel entweder aus der entfernten Totale des Stadiondachs sehen oder stets nur ein und denselben Spieler beobachten – und solle dann eine sinnvolle Einschätzung des Spieles abgeben.
Schuld an diesem Informationsvakuum hat, wie Ulrich Ladurner schrieb , die Art moderner Kriege: "Seit der Westen gegen den Terror Krieg führt – also seit zehn Jahren – hat sich die Kriegsführung verändert. Sie hat sich mehr und mehr ins Dunkle verschoben." Dieser Umstand aber, dass jeder weiß, es passiert etwas, aber kaum jemand sagen kann, was genau geschieht, führt zu einer informativen Leerstelle.
Der Journalismus tut sich schwer, diese Leerstelle auszuhalten und sie nicht mit irgendetwas zu füllen, selbst wenn die Substanz knapp ist. Mit Handys aufgenommene Videos, schwer zu verifizierende Statements auf Twitter und die immer neuen, aber fast immer gleichen Bilder im Fernsehen, vermitteln Dramatik und Atmosphäre. Aber sie erklären wenig und machen es sehr schwer, sich dem Sog der Aufgeregtheit zu entziehen.
Akhsam Suliman, der Berliner Büroleiter des arabischen Fernsehsenders Al Jazeera, sagte in einem Gespräch mit dem Deutschlandradio : "Man transferiert in solchen Momenten mehr Atmosphäre als Informationen. Man sieht ungefähr, die Lage ist, aha, sehr gefährlich, da wird geschossen, da sind Tote, da sind Verletzte, da sind Feiernde. Aber die Information dahinter und darunter, die geht leider verloren."
Vielleicht würde ein wenig Sokrates der Berichterstattung helfen. Was wäre souveräner, als Journalisten, die wissen, dass sie nicht wissen, was gerade passiert und dies auch offen zugeben. Denn im Grunde geht es der Libyen-Berichterstattung zurzeit nicht viel besser als den in den vergangenen Tagen im Hotel Rixos festgehaltenen Reportern: Sie sind ganz nah dran. Mehr aber auch nicht.
Kommentare
Mein Eindruck ist,
dass die westlichen Korrespondenten sich nicht neutral verhalten. So gesehen sind z. B. die Italiener glimpflich davon gekommen.
erzählen .......
.....Sie mal, welche Korrespondenten denn neutral berichten!
na ja
faule ausrede.
die berichte über bedeutung und konkrete wirkung der natoeinsätze aus der luft und am boden sind locker möglich, gibt es aber nicht.
selbt wenn die nato angibt, das hauptquartier mit 64 raketenangriffen zerlegt zu haben, schreiben alle, auch die zeit, die rebellen haben es "erobert". der erste teil wird weggelassen.
berichte wo die ballernden v-zeichen zeiger herkommen, was sie wollen und denken,wo die waffen herkommen,fehlanzeige.
[...]
Gekürzt. Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen. Danke, die Redaktion/mk
Woher wollen Sie das denn wissen?
Die Nato hat den oberirdischen Teil der Anlage wohl ziemlich stark durch Raketenangriffe beschädigt. Daneben scheint es aber noch ausgedehnte unterirdische Anlagen zu geben. Ich konnte mir bisher aus den verfolgten Meldungen nicht schlüssig werden, was genau dort vor sich ging.
Am wahrscheinlichsten ist, dass die Rebellen auch den unterirdischen Teil unter ihre Kontrolle gebracht haben. Aber wie schon im Artikel recht gut ausgeführt ist: Die Informationslage ist eher dürftig.
Am meisten wundert mich vor diesem Hintergrund, dass zu diesem Thema die krudesten Verschwörungstheorien ausgeheckt werden und sehr viele Leute davon ausgehen, dass die NATO die Rebellen instrumentalisiert, um anschließend irgendwelche obskuren Gechäfte mit Öl zu machen.
Das ist schon vom Ablauf her Unsinn. Schießlich wurden die Aufständischen ja volle vier Wochen lang völlig im Stich gelassen und Gadhafi konnte sie in aller Seelenruhe zusammenschießen lassen.
Das Thema garantiert Kopfschmerzen
Wer sich mit dem schwierigen Thema auseinandersetzen will, der muss sich nur in den Sumpf der letzten Balkankriege und ihrer politisch-medialen "Begleitung" begeben.
Nach der mühsamen Recherche weiß man eins:
die sog. Information besteht allen technischen Möglichkeiten zum Trotz auch heute noch aus Bruchstücken eines Ganzen, und liegt somit leider der Definition einer Desinformation sehr nah; wird wider besseres Wissen ein Teil eines ganzen als ausgewogene Aufklärung zu den Hintergründen verkauft, so kann zurecht von einer Manipulation die Rede sein. Häufig ist es allerdings auch nur die schlichte Unkenntnis der Vorgeschichte und Lage vor Ort, die zu einer märchenhaft schlichten Interpretation führt. Folge: eine rundum zufriedenstellende Lösung. Oder auf deutsch: leichte Verdaulichkeit, Zufriedenheit beim Redakteur und bei vielen das wohlige Gefühl zu "wissen", was wo und warum passiert. Kurzum: gepflegtes Halbwissen, das sich selbst unbemerkt ad absurdum führt.
Also momentan ist die Libyen-Berichterstattung eher konkret ...
... (außer vielleicht bei ZEIT-Online):
"Gaddafi sitzt laut Rebellen in der Falle"
http://de.rian.ru/politics/2…
"Rebels believe they have surrounded Gadhafi near compound"
http://edition.cnn.com/2011/…
"Rebellen wollen Gaddafi umstellt haben"
http://www.spiegel.de/politi…
"Rebellen sollen Gaddafi aufgespürt haben"
http://www.welt.de/politik/a…
"Örtlicher Rebellenführer glaubt: Haben Gaddafi eingekreist"
http://www.tagesspiegel.de/p…
Zumindest der Tagesspiegel-Artikel ist ein hervorragender
Beleg für die atemlose Berichterstattung.
Irgendjemand "glaubt" man habe Gadhafi in einem Wohnkomplex nahe seines ehemaligen Hauptquartiers umzingelt, was dann von in "Tripolis lebenden Libyern" auf bezweifelt wird.
Ich kann mir nicht helfen: Eine Meldung, mit der ich etwas anfangen kann, sieht anders aus.