Wieder einmal versammeln sich die Bürger der Stadt Katerini auf ihrem Marktplatz. Es ist ein warmer Frühlingstag im Norden Griechenlands , die Menschen kommen in kleinen Gruppen, es sind Frauen und Männer, Junge und Alte. Viele tragen Plastiktüten, die sie auf einem Tisch in der Mitte des Platzes ausleeren.
"Das sind angebrochene Medikamente, Schmerzmittel, Penicillin. Wir sammeln für Bedürftige", sagt Elias Tsolakidis. Der 54-Jährige ist Mitglied der Freiwilligen Aktionsgruppe Pieria, die es vor der Parlamentswahl am kommenden Sonntag zu landesweiter Popularität gebracht hat. Bekannt geworden ist die Initiative, weil sie mit ihrem bürgerschaftlichen Engagement eine ganze Bewegung losgetreten hat, ohne dies wirklich zu beabsichtigen.
In nur wenigen Wochen hat es die Gruppe geschafft, dass die Preise für Grundnahrungsmittel im ganzen Land spürbar gesunken sind. Nach Angaben der griechischen Statistikbehörde Elstat fiel im März der Preis für Kartoffeln um 24,6 Prozent. "Es geht um Solidarität untereinander", erklärt Tsolakidis. "In der Krise können wir uns nicht auf die Verwaltung und die etablierte Politik verlassen."
Landwirte und Verbraucher klagten gleichermaßen
Was ist geschehen? Anfang des Jahres hatte Tsolakidis davon gehört, dass Landwirte und besonders Kartoffelbauern darüber klagten, wie wenig Geld sie für ihre Erzeugnisse auf dem Markt bekamen. Die Verbraucher wiederum jammerten schon lange über viel zu hohe Lebensmittelpreise, die in der Krise beständig gestiegen sind, weil insgesamt weniger verkauft wird. Irgendetwas konnte da nicht stimmen, dachte sich Tsolakidis und griff zum Telefon.
Er fragte einen Landwirt, ob er seine Kartoffeln nicht direkt an die Bürger in Katerini verkaufen wolle. Der stimmte gleich zu, sie einigten sich auf 25 Cent für das Kilo – gut zwei Drittel günstiger als im Handel. Tsolakidis setzte ein Bestellformular im Internet auf. In nur acht Stunden orderten 500 Menschen rund 24 Tonnen Kartoffeln. Mit einer solchen Resonanz hatte keiner gerechnet. Zwei weitere Bauern wurden dazu geholt, um die enormen Mengen liefern zu können.
Ende Februar dann trafen sich Bürger und Bauern auf einem Parkplatz der Stadt. Drei Sattelschlepper waren nötig, um alles zu transportieren. "Weil aber noch mehr Menschen so günstig Kartoffeln kaufen wollten, wiederholten wir die Aktion noch zweimal", erzählt Tsolakidis. Und dabei blieb es nicht.
Regierung musste reagieren, schließlich ist Wahlkampf
Auch Reis, Mehl und Olivenöl bestellte die Gruppe aus Katerini bei Bauern quer durch das Land. Die griechischen Medien berichteten ausführlich und hatten bald einen Namen für das Ganze: die Bewegung der Kartoffel. Andere Gemeinden nahmen sich ein Beispiel und organisierten ähnliche Aktionen.
In den Supermärkten aber blieb die Ware in den Regalen liegen. Der Handel reagierte umgehend und senkte die Preise für viele Grundnahrungsmittel. Prompt schlug sich diese Entwicklung in den Erhebungen der griechischen Statistikbehörde nieder. Nun musste auch die Regierung in Athen reagieren, schließlich ist Wahlkampf.
Kommentare
Vielleicht hat meine Frau ja doch recht
die ist immer schon der Meinung, dass wir zu viel! verdienen und das Gemeinschaftsgefühl damit abhanden kommt.
Wenn wir doch nur alle wirklich in einem Boot sitzen würden und nicht einige mit der Segelyacht an denen vorbeifahren, die im löchrigen Boot Angst haben, abzusaufen.
sehr richtig !
Ähnliches fiel mir beim Lesen des Artikels auch gerade ein. Uns hier in Deutschland gehts zu gut. Jedenfalls der einen Hälfte. Der anderen sicher nicht.
Oder sei's auch nur ein Drittel.
Wenn man sich eine derartige Krise in D vorstellt - Gnade uns Gott! Statt Solidarität gäbs Brutalität. Prügeleien an der Tanke und um die letzten Aldi-Brötchen.
In einem Land, in dem die Bestverdienenden sogar um jeden Cent Pendlerpauschale feilschen, kann man von seiner Umwelt nicht viel mehr erwarten. Egoismus bis zum Letzten Euro. Das ist leider hier (in BW) schon in Nicht-Krisenzeiten extrem zu beobachten. Als friedliebender Mensch sehe ich da schwarz, wenns mal so ernst würde wie in Griechenland.
Kluge Frau
Da kann ich Ihrer Frau nur zustimmen.
In gewisser Hinsicht hat die desaströse finanzielle Situation Griechenlands halt auch Vorzüge - die Leute rücken wieder näher zusammen.
Je wohlhabender, umso gieriger...
...Sie haben völlig recht: Da sammeln manche Eigentumswohnungen oder Oldtimer, Goldklumpen oder Rentenanwartschaften - wie Briefmarken. Wir sind Griechenland näher als wir denken.
aehnlich zur Situtation in der DDR?
Ich habe ein paar Freunde, die in der DDR aufgewachsen sind und die aeussern sich aehnlich: Obwohl oder gerade weil es allen an vielem fehlte, war angeblich die Solidaritaet groesser - man half einander vielmehr und lieh oder borgte sich Dienstleistungen und Sachen, die es in den Geschaeften nicht gab.
Allerdings fuerchte ich, dass es auch falsch waere zu denken, eine schlechtere Situation fuehre automatisch zu mehr Solidaritaet. In manchen Laendern / Systemen fuehrt es zu noch mehr Kampf gegeneinander, dass die Menschen ihrem Nachbarn noch das letzte Brot stehlen statt einander zu helfen. Wenn jemand erklaeren koennte, warum die eine Gesellschaft solidarisch und die andere unsolidarisch auf Mangel reagiert, dann haette derjenige den Nobelpreis verdient...
Peter Harry Carstensen ...
"Als friedliebender Mensch sehe ich da schwarz, wenns mal so ernst würde wie in Griechenland."
... aus Schleswig-Holstein meint laut Mitteldeutscher Zeitung, Griechenland wäre uns so ca. 8 Jahre voraus ... ... !
Link?
Gibt es dazu einen Link? Wenn ja, könnten Sie den bitte posten? Ich würde das wirklich gerne nachlesen.
Danke.
Reichtum ...
... gleicht dem Seewasser. Je mehr man davon trinkt, desto durstiger wird man."
Arthur Schopenhauer, 1788-1860
Kommt noch !
Es kommt darauf an, wo Sie in Deutschland wohnen. Es bilden sich schon parallel andere Arten zu leben, noch unstrukturiert und nicht flächendeckend natürlich. Vor allem Tauschbörsen von Dingen gegen Hilfen bzw. Dienstleistungen, Gebrauchtkaufhäuser, Fahradwerkstätten, manchens mit, manches ohne Kirchen und freie Wohlfahrt.
Durch eben die traditionell starke Stellung freier Wohlfahrsverbände dürfte es durchaus möglich sein, keine zivilgesellschaftliche "Inseln" ohne Geld und Kreditwirtschaft zu bilden.
Ich bin nicht so pessimistisch wie Sie. Wenn die Härten zunehmen, werden auch hier die Leute zu informellen genossenschaftlichen Strukturen zurückfinden.
Kartoffel for President
>>Wenn wir doch nur alle wirklich in einem Boot sitzen würden und nicht einige mit der Segelyacht an denen vorbeifahren, die im löchrigen Boot Angst haben, abzusaufen.<<
Segelyacht ?
Die sitzen in 45m-Motoryachten. Und geben soviel Gas, daß die so erzeugten Wellen die anderen im löchrigen Boot auch ja erwischen. Und dann sind sie noch beleidigt, wenn sich der undankbare - und schmutzige - Pöbel für die kostenlose Reinigung nicht erkenntlich zeigt.
Finde ich cool, was die Griechen da machen. Viel Erfolg dabei!
Vielleicht sollten sie einen Sack Kartoffeln zum Chef wählen, denn schlimmer kann es ja nicht mehr werden.
zu nr. 5
also nach dem zweiten Weltkriegen, haben die deutschen es auch geschafft zusammen zu halten. Ich denke falls es bei uns hier so ein Chaos geben sollte, wird es nicht so schlimm aussehen. Schlimm wäre es um die new age kids die ihre iphones und ihre wii´s net mehr benutzen könnten :)
zu #43
Die Situation ist jetzt anders - nach den Kriegen kamen die Leute bereits aus langer Notlage. Sowas kennt jetzt (zum Glück) praktisch keiner mehr. Ich schätze, erst nach Jahren zunehmender Not - wenn alle wieder 'runtergefahren' sind - gäbe es so eine Art 'neuer' Solidarität.
Dazu kommt, dass wir in einer solch virtuellen Welt leben, dass wir die einfachsten lebensnotwendigen Tätigkeiten verlernt haben, die nach dem Krieg Standard waren. Es ist schon ein Unterschied, zu wissen, wieviel PS ein BMW hat oder wie man Kartoffeln anbaut und irgendwie geniessbar macht.
Schön zum Thema 'Chaos in Krisenzeiten' sind auch Studien zu tagelangen Stromausfällen.
Aus eigener Erfahrung ...
Aus eigener Erfahrung kann ich das nur bestätigen. Bin in der DDR groß geworden und habe die Nachbarschaftshilfe und Gemeinschaft immer sehr genossen. (Ich rede nicht von Aufmärschen oder so)
Leider muss ich feststellen, dass der Gemeinschaftssinn (Nachbarschaftshilfe, teilen von Arbeitsgerät, Straßenfeste) uns immer mehr abhanden gekommen ist. Die Leute mauern sich ein (riesige Hecken ums Gehöft) und werden egoistischer und leben zurückgezogener. Man hat ja alles und braucht seine Nachtbarn nicht mehr…
In meinen Reisen ins Baltikum, Polen oder die Tschechei sind die Leute so aufgeschlossen und Gastfreundlich (kostenloses Zelten aufn Hof, gemeinsames Frühstück, Trampen, etc.) wie ich es in keinem anderen Westeuropäischen Land erlebt habe. Trotz Mangel.
@5 Glik: Selbstliebe und Nächstenliebe
Sie schreiben: "Ähnliches fiel mir beim Lesen des Artikels auch gerade ein. Uns hier in Deutschland gehts zu gut."
Nüchtern betrachtet stellt sich das Verhalten der griechischen Bauern/Käufer so dar:
- Bauern erzielen bessere Preise = egoistisch
- Käufer zahlen weniger = egoistisch
- Das Gemeinwesen (Steuern) geht leer aus.
Genau das kennzeichnet die "griech. Krankheit": jeder denkt nur an sich - vom Bauern über den Käufer und dem Beamten ... bis zum Politiker. Das Gemeinwesen geht leer aus und damit langfristig vor die Hunde - eigentlich das neo-liberale Modell par excellence.
Sie schreiben: "Jedenfalls der einen Hälfte. Der anderen sicher nicht. Oder sei's auch nur ein Drittel."
4,5 Mill von 80 Mill. erhalten HartzIV. Das sind ein wenig mehr als 5%.
Sie schreiben: "Wenn man sich eine derartige Krise in D vorstellt - Gnade uns Gott! Statt Solidarität gäbs Brutalität. Prügeleien an der Tanke und um die letzten Aldi-Brötchen."
Sie unterschätzen das Ausmaß, das in Deutschland an freiwilliger Solidarität für das Gemeinwesen geleistet wird: Das fängt beim Vereinsvorsitzenden bei eine, kleinen Dorf-Sportverein (Ehrenamt) an, geht über die verschiedenen Wohltätigkeitsorganisationen, Organisatoren, Mitarbeiter und freillige Hlefer von öffentlichen Tafeln und hört bei der immensen Spenden- und Hilfsbereitschaft nicht auf.
PS: Das Gebot heißt: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst: Nächstenliebe setzt Selbstliebe (Egoismus) voraus.
zu #75
Nicht nur Hartz IV knapst oft am Minimum. Die alte Geschichte der Schere Arm-Reich, die immer weiter klafft.
Ich wette (und kann aus Beobachtung sagen): Die Ärmeren sind vornehmlich die, die in Notzeiten noch was abgeben würden, obwohl sie selbst kaum was haben.
Und da passt auch das dazu: Die gemeinnützigen Tätigkeiten von vielen - das ist mir wohl bewusst und die sind nicht hoch genug zu bewerten.
Aber: In Krisen/Notzeiten fürchte ich nicht die, die so gemeinschaftlich denken und evtl. selbst nicht viel haben. Ich fürchte da die wahren Egozentriker, von denen es leider viel zu viele bei uns gibt. Leute, die nichtmal bereit sind, den eigenen Geschwistern aus der Patsche zu helfen - da kenn ich etliche Fälle. Im Falle einer allgemeinen Krise, möchten man solchen lieber nicht über den Weg laufen, geschweige denn auf sie angewiesen sein.
@83 Glik: Egozentriker
Sie meine; "In Krisen/Notzeiten fürchte ich nicht die, die so gemeinschaftlich denken und evtl. selbst nicht viel haben. Ich fürchte da die wahren Egozentriker, von denen es leider viel zu viele bei uns gibt. Leute, die nichtmal bereit sind, den eigenen Geschwistern aus der Patsche zu helfen - da kenn ich etliche Fälle."
Und sie meinen ernsthaft, solche Fälle gäbe es in Griechenland nicht? Wenn ich mir das Land anschaue, habe ich da doch erhebliche Zweifel. Es wurde ja keineswegs nur von den Politikern runtergewirtschaftet, sondern von den Egozentrikern in allen Schichten und auf allen Ebenen - und die gab's und gibt es anscheinend in Griechenland auch jetzt noch in Hülle und Fülle - vom Taxifahrer bis zum Minister. Allen ging es vor allem darum, selbst Reibach zu machen - und der Staat war nur dazu da, gemolken zu werden.
Nun ist's nichts mehr mit melken. Die Kuh ist tot.
zu @85
Der Unterschied zwischen hier und Griechenland (allen Südlichen Ländern) mag sein, dass da doch eine grössere Beziehung innerhalb von Familie, innerhalb der Gemeinde besteht als hier.
Und da könnte es durchaus sein, dass der 'egozentrische' Taxifahrer ein paar Leutchen mit durchfüttert.
Und genau das kann ich mir hierzulande kaum vorstellen.
Erich Formm schrieb: "Egoismus ist nicht bloß ein Aspekt des Verhaltens, sondern des Charakters." Da drin schwächelt der Deutsche und sein Bezug zur Umwelt besteht vorwiegend aus samstäglichem Autowaschen, Amokkaufen und Rasenmähen.
Weniger ist mehr.
Aus Erzählungen meiner Familie habe ich ein ähnliches Bild von der DDR.
Wohlstand, wie wir ihn definieren, nämlich als materiellen Wohlstand, macht nicht nur nicht glücklich, sondern oft sogar unglücklich.
@91 Charlie Marlow: Ist weniger mehr?
Sie schreiben: "materiellen Wohlstand, macht nicht nur nicht glücklich, sondern oft sogar unglücklich."
Das lässt sich sehr einfach nachprüfen: Versuchen sie es doch einfach mal mit Armut. Sie werden über das Ergebnis staunen.
@88 Glik: Deursche Egozentriker - Griechen Altruisten?
Sie schreiben: "Und da könnte es durchaus sein, dass der 'egozentrische' Taxifahrer ein paar Leutchen mit durchfüttert."
Klar, im Gegensatz zum deutschen Taxifahrer, der sein ganzes Geld in der Kneipe versäuft und für den Rest Wasch- und Poliermittel für sein Auto kauft.
In ihrer überfließenden Nächstenliebe stehen ja die Griechen auch - großzpügig, wie sie sind - für unsere Schulden gerade.
Oder habe ich da was falsch verstanden?
"oft sogar unglücklich"
Ihr Versuch eines Arguments ist ein billiger rhetorischer Trick. Was ich gesagt habe oder zumindest sagen wollte, war, dass materieller Wohlstand kein Garant für Glück ist. Nicht gesagt habe ich, dass Armut ein Garant für Glück ist.
Aber woran messen Sie eigentlich Armut? Würden Sie das Leben der Bürger der DDR als ein Leben in Armut bezeichnen?
@99 Charlie Marlow: Rhetorische Tricks
Sie schreiben: "Ihr Versuch eines Arguments ist ein billiger rhetorischer Trick. Was ich gesagt habe oder zumindest sagen wollte, war, dass materieller Wohlstand kein Garant für Glück ist."
Geschrieben hatten sie: "materiellen Wohlstand, macht nicht nur nicht glücklich, sondern oft sogar unglücklich."
Wie war das nochmal mit dem "billigen rhetorischen Trick"?
ich würde sagen
dass sie eine schlaue frau haben.
schönen gruß, auch an die frau gemahlin.
Kann der Autor mal mehr Details geben bitte
weil ich mich gerade gefragt habe ob die Umsatzsteuer für die verkäufe bezahlen.
Wenn nein, dann wüßte ich auch warum die preise so attraktiv sind ... mehr netto und so.
Mehr Information
Genau das würde mich auch mal interessieren. Sicherlich könnte es auch andere Möglichkeiten für den Preisunterschied geben, aber das bleibt leider auch nach der Lektüre des Artikels mehr als spekulativ :(
Wörgl-Reloaded
Und wenn man jetzt noch anfängt, eigenes Geld mit Umlaufgebühr herauszugeben, dann kann Griechenland aus dem Kleinden gesunden.
Nur befürchte ich, daß dann, sobald sich erste Erfolge zeigen, innerhalb kurzer Zeit das Militär aufmaschiert und das alte System wieder erzwingt.