Hiermit nehme ich alles zurück, was ich je im Leben über die Occupy-Bewegung gesagt habe.
Und das war nicht wenig: Pubertär und halbgar habe ich sie genannt, ineffektiv, politisch wie wirtschaftlich naiv, im Vergleich zur Tea Party leider irrelevant, und vieles mehr.
All das bereue ich jetzt, denn seit einigen Wochen hat eine Handvoll Occupy-Anhänger ein Projekt ins Leben gerufen, das ich ernst nehmen kann. Lustigerweise ist es eine Idee, die sogar die Tea Party ernst nehmen kann. Ach was, es ist eine Idee, auf die die Tea Party neidisch sein sollte.
Ein Hauptgrundsatz der Tea Party ist ja: weniger Staat. Der Staat, glaubt die Tea Party (und tief im Herzen auch ein Großteil der Amerikaner), sei zu groß, korrupt und ineffizient, um solch komplizierte Dinge wie einen Sozialstaat kostengünstig und leistungsfähig zu verwalten. Wir trauen unseren Bundesbehörden ungefähr so viel praktisches Organisationstalent zu wie der durchschnittliche Deutsche einem EU-Bürokraten.
Soviel wie möglich, glauben wir, vom Schul- bis zum Rentensystem, gehöre in private Hand, und der Staat solle sich auf Dinge konzentrieren, die er kann: Straßen bauen und uns den Rest der Welt vom Leib halten.
Nun haben eine Handvoll Occupy-Anhänger diesen Gedanken der Tea Party kurzentschlossen weggenommen und zu Ende gedacht – und die Rolling Jubilee ins Leben gerufen, die da ansetzt, wo der Staat versagt hat.
Denn Obama hatte zwar nach der Finanzkrise die Banken vor den Konsequenzen ihrer dummen Entscheidungen, aber die Kunden nicht vor ihren Banken gerettet. Das kam so:
Vor der Finanzkrise 2008/9 hatten eine Menge Hauseigentümer irreal hohe Schulden auf sich genommen – im guten Glauben, sie hätten alle Zeit der Welt, diese zu tilgen. Doch in der Krise stiegen plötzlich die Raten für die Kredite. Die Folge: Zahlreiche Amerikaner verloren ihre Häuser, behielten aber diverse Schulden, die sie nicht mehr zurückzahlen können.
Schulden wie weggezaubert
Also werden diese "schlechte Schulden", die für die Banken nur lästig sind, gebündelt und in Paketen billig weiterverscherbelt. Und zwar richtig billig: zu nur ein paar Prozent des ursprünglichen Wertes. So können Inkassounternehmen die "schlechten" Schuldscheine kaufen und ihr Bestes tun, pro ursprünglich geschuldetem Dollar wenigstens noch 50 Cent bei den Schuldnern herauszuholen. Und viel Glück damit.
Hier kommt Rolling Jubilee ins Spiel: Man kauft die verbilligten Schulden ebenfalls für ein paar Cents, doch statt sie dann mit Gewinn einzutreiben, informieren sie die Schuldner einfach, dass ihre Schulden sich in Luft aufgelöst hätten , und ein schönes Leben noch. Das sind Zaubertricks, wie sie bisher nur fiese Banker drauf hatten.
Bis jetzt hat Rolling Jubilee knapp eine halbe Million Dollar durch Online-Spenden eingenommen und kann damit den 16-fachen Wert an "schlechten" Schulden aller Art kaufen. Hut ab!
Allerdings ist das nicht so viel, wie es sich anhört: Die gesamten Privatschulden der Amerikaner werden auf $11 Billionen geschätzt. Und das ist kein Übersetzungsfehler .
Kommentare
Das Projekt ist genial!
Bis jetzt hat Rolling Jubilee knapp eine halbe Million Dollar durch Online-Spenden eingenommen und kann damit den 16-fachen Wert an "schlechten" Schulden aller Art kaufen. Hut ab!
Vorschlag:
Rolling Jubilee macht so weiter bis sagen wir...500 Millionen.
Dann meldet das Unternehmen Insolvenz an.
Verlust: 0
Die Leute die gespendet haben, haben damit erreicht dass eine Menge Amerikaner um eine halbe Milliarde entschuldet wurden. Und haben dafür nur 1/16 von einer halben Milliarde spenden müssen.
Haften müssen die Gläubiger..ausnahmsweise mal.
Selber schuld, wenn man Schulden zu diesen Konditionen weiterverkauft.
Das Projekt ist genial!
Nicht richtig verstanden
Sie haben das falsch verstanden, die Banken verkaufen ihre Forderungen zu einem reduzierten Preis, bspw. 1 $ Forderung fuer 10 cent.Rolling Jubilee bezahlt die 10 cent und kann eine Bankforderung von 1 $ vernichten. Der Bank geht es nicht besser oder schlechter. Ansonsten kaufen halt Schuldeneintreiber der etwas haerteren Sorte die Forderungen und versuchen vielleicht 30-40 cent rauszuholen. In DE kann man das uebrigens auch machen, scheinbar uneinbringbare Schulden billig kaufen und versuchen irgendwas rauszuholen aus dem Schuldner.
Menschen die zu viel Geld geliehen haben sollen belohnt werden?
Wenn sich Schulden in Luft auflösen und man behalten darf was man sich ohne Geld gekauft hat, fördert das nur ökonomisches Fehlverhalten.
Wer Geld leiht und es nicht zurückzahlen kann, muss zum Wohl des Systems bankrott gehen können ohne etwas davon behalten zu dürfen.
Uninformiert?
Vielleicht sollten sie sich, vor dem Absenden purer Polemik, erst mal mit den Hintergründen der amerikanischen Immobilienblase auseinandersetzen.
Traurig!
"aber die Idee, dass die Privatwirtschaft die Aufgaben des Staates übernimmt oder ergänzt, muss in Deutschland wie ein Sakrileg klingen"
Eigentlich ist es traurig. Denn es macht diese Menschen vom Wohlwollen der Reichen abhängig. Und den Rechtsanspruch auf Hilfe ist etwas, was ich in Deutschland sehr schätze. Denn leider kann es jeden treffen. Sei es Unfall, schwere Krankheit, Krankheit von Angehörigen oder eine Naturereignis.
Klar muss es hier Grenzen geben - so das einige wenige nicht die Mehrheit ausnutzen können - aber das auch in der Versicherungswirtschaft gültige Prinzip große (seltene) Unglücksfälle auf den Rücken vieler zu verteilen ist schon ein sehr gutes Modell.
Und das Firmen Aufgaben des Staates übernehmen, weil dieser zu schwach oder dazu nicht bereit ist hatten wir in Deutschland schon. So z.B. das Wohlfahrtssystem der Firma Krupp - nur ist das schon eine Weile her.
„Sie kauft klammen Bürgern ihre Schulden ab“
Etwas ganz ähnliches wollen die EU Staaten mit Griechenland machen. Sie wollen den privaten Gläubigern Griechenlands Schulden abkaufen. Aber im Gegensatz zu Occupy sollen diese Schulden nicht erlassen werden, sondern sollen Griechenland unter Nennwert wieder verkauft werden, so dass sich Griechenland ein Teil seiner eigenen Schulden erlassen kann. Nur ist der Kauf von eigenen Schulden unter Nennwert vermutlich illegal.
Und zum Zweiten werden dadurch Schuldausstände bei privaten Gläubigern zu Schuldausständen bei öffentlichen Gläubigern. Da die öffentlichen Gläubiger das Geld für den Schuldenrückkauf bereitstellen.
Schuldenhandel
.
Warum sollte der Kauf von "Schulden" zu deren "Marktwert" grundsätzlich illegal sein?
Eher ist das Gegenteil der Fall.
Der Handel mit Schuldtiteln, wenn diese "notleidend" werden, sollte in einem Idealen Markt doch ganz im Gegenteil sogar wünschenswert sein, damit nicht Staaten einspringen müssen sondern sich die Schuldner und die Gläubiger im idealen, nicht staatlich gestörten Markt ALLEINE zu einigen hätten.
Problematisch ist daran nur, dass Griechenland nicht von der EZB die Mittel zu EZB-Konditionen leihen kann WIE DIE BANKEN DAS JA AUCH KÖNNEN, sondern dass Griechenland ohne Not unwirklich hohe Zinsen an BANKEN zahlen müsste, um an das Geld zu gelangen, seine eigenen Schulden zu deren derzeitigem Marktwert zurückzukaufen.
Es bleibt immer ein Nullsummenspiel.
Die Bankenkrise hat zu einer Staatsschuldenkrise geführt, weil die Banken zu "systemrelevant" zurechtgelogen worden waren anstatt sie aufschnappen zu lassen wie es der ideale Markt verlangt hätte.
Jetzt muss man auch den zweiten Schritt gehen und den Staaten ebenso systemrelevant ermöglichen, die künstlich geblähten Schulden wieder zu zerstören.
Am Ende sind viele unrechtmässig zusammengestohlene "Vermögen" aus der Systemrelevanzlüge weg, und die Staatsschulden sind wieder in realistischen Grössenordnungen angelangt.
Anders als durch Deckung der Staatsschuld mit eben jenen Vermögen, die aus den unrechtmässig entstandenen Staatsschulden stammen wird das System nicht wieder flott werden.