Meine Geburtsstadt Mitrovica ist in zwei Teile gerissen. Im Norden der Stadt leben Serben, die im Kosovo in der Minderheit sind. Im Süden lebt die albanische Mehrheit.
Die Brücken über den Fluss Ibar, die beide Teile der Stadt früher verbanden, sind seit dem Kosovokrieg 1999 Grenzen. Sie trennen die Bevölkerungsgruppen voneinander. Auf den Brücken patrouillieren die Kosovo-Polizei, die Eulex-Truppen der europäischen Friedensmission und Soldaten der Nato-Truppe KFor. Die Stadt ist seit dem Ende des Krieges gelähmt.
Die räumliche Trennung der Ethnien belastet die Wirtschaft und den Alltag, zum Beispiel die Wohnsituation. Als albanischer Flüchtling kam ich 1993 im Alter von neun Jahren nach Deutschland. Wenn ich meine Tanten in Mitrovica besuche, sind wir dort Binnenflüchtlinge. Innerhalb der Stadt sind 12.000 Menschen unfreiwillig umgezogen.
Meine Tanten leben in einer Wohnung im Süden der Stadt, zur Miete bei einem Serben, der in den Norden gehen musste. Die Wohnung meiner Eltern im Norden der Stadt wiederum bewohnt ein Serbe, der aus dem Süden geflohen ist. Rechtlich ist mein Vater Eigentümer der Wohnung. Der Serbe zahlt meiner Familie Miete.
Als ich mich 2010 in Mitrovica aufhielt, bestand ich darauf, zur ehemaligen Wohnung meiner Eltern zu gehen – das erste Mal nach 17 Jahren. Damals habe ich den serbischen Mieter in der Wohnung meiner Eltern kennengelernt. Dass ich den Status eines Studenten aus Deutschland hatte, hat mir den Weg in den Norden geebnet. Ich war als Stipendiat des Asa-Programms dort, das Studierende dabei unterstützt, Erfahrung im entwicklungspolitischen Bereich zu sammeln. Geholfen haben mir auch die Unmik, albanische und serbische Freunde meiner Eltern und neue Bekannte.
Seit ich den Mieter getroffen habe, schreiben wir uns über Facebook. Anfangs ging es vor allem um Fragen rund um die Wohnung. Der Mann wollte die Wohnung kaufen, meine Eltern sie jedoch behalten. Oft kommen solche Immobilienhandel zwischen Nord und Süd zustande – und sie zementieren die ethnische Trennung. Mit dem serbischen Mieter meiner Eltern war das anders. Ein Handel kam nicht zustande, aber unser Kontakt intensivierte sich. Mittlerweile tauschen wir uns auch über die Situation in der Stadt und unsere persönlichen Schicksale aus.
Mittlerweile habe ich eine deutsch-albanische Studenteninitiative gegründet, deren Ziel es ist, Menschen mit albanischen Wurzeln Bildung zu ermöglichen, sie in sozialen Fragen zu unterstützen, sodass sie sich für eine gerechtere Gesellschaft im Kosovo engagieren können. Eines Tages möchte ich den Mieter in der Wohnung meiner Eltern wieder besuchen und mich bei einem Kaffee unterhalten. Denn ich träume von einem multiethnischen Mitrovica.
Kommentare
So schön diese Geschichte ist...
"Seit dem Kosovokrieg ist die Geburtsstadt von Leser Muhamet Idrizi zwischen Serben und Albanern geteilt. Idrizi fand einen Weg, die ethnische Grenze zu überwinden."
so sehr stellt sich die Frage, wieviele in der Region Lebende sich dem Weg von Idrizi angeschlossen haben.
Der Weg
Leser Keibe,
Es sind noch nicht viele die in diese Richtung arbeiten. Ich hoffe es werden bald mehr sein.
Gruß Muhamet Idrizi
Das, lieber Trimri
hoffe ich auch. Good luck :-)
Danke für diesen interessanten Artikel,
der die Nahtstelle zwischen Politik und Alltag beleuchtet.
Sowas interessiert mich immer besonders.
Und er hilft auch, den zeitweilig arroganten westeuropäischen Blick auf den “wilden Balkan” und das leidige Schwarz-Weiß-Denken (hier das Opfervolk, dort das Tätervolk) zu überwinden, und zeigt, daß es Grund zur Hoffnung auf Normalisierung gibt.
Weiter so!
Gruß,
A.K.