In Deutschland herrscht helle Aufregung über die transatlantische Schnüffelei à la Prism und Tempora. Medien und Politiker übertreffen sich in ihrer Empörung gegenseitig. Dagegen hält sich die Erregung in Großbritannien in auffällig engen Grenzen, sieht man einmal davon ab, dass es der linksliberale Guardian zusammen mit der Washington Post war, der dem Whistleblower Edward Snowden die mediale Plattform zur Verfügung stellte.
Ausgerechnet Großbritannien, das Land mit dem ausgeprägten Sinn für Freiheit sowie Literaten wie George Orwell und H.G Wells, die schon früh auf die totalitären Gefahren hinwiesen, die technologisch-wissenschaftlicher Fortschritt zwangsläufig auch erzeugt. Zur britischen Zurückhaltung angesichts von Prism und Tempora passt, wie die Bevölkerung vor gut 20 Jahren auf das exorbitante Wachstum von CCTV Kameras in ihren Städten reagiert hat: Sie nahmen es gelassen hin, wenn sie diese nicht gar begrüßten. Denn fortan konnten Kriminelle leichter gefasst werden. Zudem zeigte sich die abschreckende Wirkung durch die Existenz von CCTV. In Deutschland etwa gelten Überwachungskameras nach wie vor weithin als Ausdruck einer bedrohlichen Big-Brother-Tendenz, der es sich zu widersetzen gilt.
Natürlich gibt es auch in Großbritannien einige Stimmen, die die Ausspähpraxis von NSA und dem britischen Pendant GCHQ verwerflich, wenn nicht sinister finden. Wobei letzteres sich oft mit einem Schuss vehementem Antiamerikanismus verbindet.
Auch hat kaum ein Brite Zweifel daran, dass die Sorgen vor allumfassender digitaler Überwachung berechtigt sind. Zumal sich die virtuellen Speicher- und Suchmöglichkeiten rasant weiterentwickelen und das Argument weitgehend obsolet machen, dass die ungeheure Datenfülle ausreichend Schutz gewährt gegen die bedrohliche Entwicklung zum gläsernen Menschen.
Anschläge erfolgreich verhindert
Trotzdem fällt auf, wie sehr sich die britischen Kommentare nun dem Alarmismus verweigern. Medien und Politik sind sich der Tatsache bewusst, dass es der guten Arbeit der Lauscher von GCHQ und den Geheimdiensten MI5 und MI6 zu verdanken ist, dass es seit dem 7. Juli 2005 keinen weiteren Terroranschlag gegeben hat. Genug Versuche hat es jedenfalls gegeben.
In frischer Erinnerung ist vielen Briten zudem, wie nach dem grausigen Mord an einem Soldaten in London der britische Geheimdienst von vielen Zeitungen – auch dem Guardian – kritisiert wurde. Sie hätten den muslimischen Extremisten bereits auf dem Radarschirm gehabt, um ihn dann wieder aus den Augen zu verlieren. Die Geheimdienste standen unter erheblichem öffentlichen Druck, ähnliche Taten künftig zu verhindern. Allerdings müssten mächtig viele neue Agenten eingestellt werden, wenn der britische Geheimdienst jedem potenziellen Terroristen auf der Spur bleiben wollte. Im Zeichen von Austerity und Sparen ist derzeit genau das Gegenteil der Fall.
In den vergangenen drei Wochen dagegen wurden der Staat und seine Organe nun von mancher Seite bezichtigt, einen transatlantischen Polizeistaat aufgebaut zu haben.
Kommentare
Die Briten sind ...
... kluge Menschen.
Warum?
Weil sie mit ihrem Geheimdienst so viel Wissen gesammelt haben?
Zum Artikel:
"Die Journalisten wissen, dass Länder wie Russland, China, Ecuador und Kuba, die dem Whistleblower Snowden Zuflucht gewähren, diejenigen sind, die ihren Völkern Freiheitsrechte mehr oder weniger systematisch verweigern."
Zunächst finde ich die Begründung, in anderen Ländern stehe es noch schlechter um Persönlichkeitsrechte armselig. So argumentiert man einfach nicht.
Dann frage ich mich ernsthaft, was Ecuador in diesem Kontext in der Auflistung zu suchen hat?
Ja, Assange und vermutlich auch Snowden wird dort Asyl gewährt werden. Aber durch die Einreihung in diesem Artikel entsteht klar der Eindruck, hier würden die Geheimdienste ähnlich stark Persönlichkeitsrechte ignorieren wie in den USA, England, Russland und China und das ist schlicht falsch.
Jedenfalls wünsche ich mir nicht, auf Schritt und Tritt von Kameras gefilmt zu werden, sobald ich meine Wohnung verlasse. Und in meinen Daten haben Ermittler erst in dem Moment etwas zu suchen, wenn ein begründeter Verdacht vorliegt.
Warum empörte Bürger als hysterisch bezeichnet werden, wenn sie sich über Bespitzelungen in einem Ausmaß beschweren, dass jeden Stasi-Mitarbeiter vor Neid erblassen lassen würde, ist mir absolut unbegreiflich! Und die "gelassene" - ich finde eher ignorante oder resignierende - Reaktion der Briten macht mir Angst. Vermutlich gibt es dann bald V wie Vendetta in live.
Keine Frage des Vertrauens
Das ist doch keine Frage des Vertrauens, sondern es geht um die Prinzipien eines Rechtsstaats, es geht um Grundrechte und es geht um die Beziehung Geheimdienst <-> Bürger.
Der Bürger der sagt, dass er dem Geheimdienst (also dem Überwacher) vertraut, dem sei gesagt, dass der Geheimdienst ihm (also dem Überwachten) offensichtlich nicht vertraut.
Vertrauen welches aber nicht beidseitig existiert ist ziemlich nutzlos und taugt höchstens zum Missbrauch desselben.
Der reine Wahnsinn
Wie kommen Sie darauf, dass der Geheimdienst "dem Bürger" nicht vertraut? Gibt es Geheimdienste, Polizei, am Ende die ganze Politik nur deshalb, weil "der Bürger" in Schach gehalten werden muss? [...]
Gekürzt. Bitte achten Sie auf einen sachlichen, respektvollen Umgangston. Danke, die Redaktion/ls
Dass die Reaktion auf die Überwachungsenthüllungen ...
... in UK anscheinend verhaltener ausfällt, muss nicht mit einer einer wünschenswerten Gelassenheit oder großem Vertrauen in den Staat zusammenhängen. Ebenso kann die Ursache in mangelnder Schulbildung, Ignoranz wichtigen demokratischen Prinzipien gegenüber oder in der Tatsache bestehen, dass lt. Guardian die britischen Medien angewiesen wurden, in der Berichterstattung über die Affäre bestimmte Einschränkungen, die im Staatssinne sind, einzuhalten.
Erklärung
Ich glaube es hängt vielmehr damit zusammen, dass die Briten keine Erfahrungen haben mit totalitären Regierungen und einem ausgebildeten Militarismus fröhnen, dass dem Heldentum des 2. Weltkrieges entstammt. Dies wird wohl die Meinung der Briten 50+ erklären, die wohl die Mehrheiten stellen.
Bei jüngere Briten würde ich das mit mangelnder Bildung und enormer Beinflussung durch Kampagnenjournalismus erklären.
nicht zu vergessen
Das der Britische Geheimdienst ausdrücklich auch im sinne der Heimischen Wirtschaft handelt, da lassen sich die Erkenntnisse der Flächendenkenden Überwachung Deutscher Bürger sicher ganz gut verwenden.
Die City of London dankt.