Irina Sajzewa steht vor der Cinema Hall, einem großen Veranstaltungszentrum im Stadtzentrum von Kiew, und raucht. An ihr vorbei strömen Menschen in das Gebäude. Sie kennt viele, grüßt und umarmt, zieht wieder an ihrer Zigarette. Seit knapp einer Woche findet in der ukrainischen Hauptstadt ein Filmfestival statt. Die Vorstellungen kosten keinen Eintritt, und die Kiewer kommen zu Hunderten. Jede Vorstellung ist voll, manchmal sitzen die Menschen im Saal auf den Treppenstufen, weil sie keinen Platz mehr bekommen haben. "Und doch kann eigentlich niemand an etwas anderes denken, als an den drohenden Krieg", sagt Sajzewa.
Die junge Frau moderiert die Publikumsgespräche mit den Regisseuren, sie ist Freiberuflerin und müsste sich langsam nach einer neuen Beschäftigung umsehen. Doch sie hat keine Idee, was sie nach dem Festival machen wird. "Wie sollen wir noch irgendetwas planen?" Die Frage sei nicht ob, sondern wann etwas passiere.
Vielleicht bleibt bis zu den Wahlen am 25. Mai alles ruhig, vielleicht auch nicht. Vielleicht greift Putin das Land im Osten an, vielleicht nicht. Vielleicht entspannt sich die Lage auf der Krim, vielleicht nicht. Keiner wisse, wie es weitergeht, sagt Sajzewa. Viele ihrer Freunde haben während der Revolution ihren Beruf aufgegeben und finden nicht mehr zurück in ihr altes Leben.
Eine junge, zierliche Frau mit langen, dunkelbraunen Haaren stellt sich dazu. "Sie ist eine echte Heldin des Maidan", sagt Sajzewa. Sie sei auf dem Platz gewesen, Ende Februar als die Kämpfe eskalierten und Dutzende auf dem Maidan getötet wurden. "Sie hat sich um die Verletzten gekümmert." Ihre Freundin winkt ab. "Wenn, dann sind wir alle Helden", sagt sie und verschwindet ins Gebäude.
Die Barrikaden sind noch da
Auf der Straße läuft ein junges Paar vorbei. Sie hat Shoppping-Tüten in der Hand, er tippt etwas in sein Smartphone. Im Restaurant gegenüber sitzen Gäste an den Tischen, essen und lachen. Die Kellnerin huscht von Tisch zu Tisch. Die Menschen bemühen sich um Normalität. Doch wenige Hundert Meter entfernt beginnen die Barrikaden.
Sie sind niedriger geworden in den vergangenen Wochen, aber sie sind noch da. Arbeiter der Stadtverwaltung schaffen mit großen Baggern Steine, Reifen und Schutt weg. Die Straßen sind gefegt, doch immer noch ist alles voller Autoreifen, Säcke und Steine. Überall liegen Blumen, an Mauern und Zäunen hängen Fotos von Verletzten, Toten und Vermissten. Bauhelme, mit denen sich viele Demonstranten schützen wollten, Gasmasken, Taucherbrillen und Blumen bilden Skulpturen, die eine seltsame Symbolik entwickeln.
Oben auf dem Hügel, der in Richtung Regierungsviertel führt, ist ein Einschussloch in einem Laternenpfahl. Auf der Rückseite – die Seite, die Richtung Maidan zeigt – ist ein ausgefranstes Austrittsloch. Hier stand die erste Barrikade. Hier sind die meisten Menschen gestorben.
Kommentare
Das "es ist noch nicht vorbei" Gefühl habe ich auch
Man möchte hoffen, dass es etwas zivilisierter zugeht, aber groß ist diese Hoffnung leider nicht.
Natürlich war es das noch nicht
Jetzt kommen erst mal IWF und EU zum Zuge und "beglücken" das Land mit Geschenken, für welche die Menschen einen hohen Preis zahlen werden. Die um 50% gestiegenen Gaspreise sind ja erst der Anfang. Danach gibts Demokratie und Meinungsfreiheit alá EU mit einem Schuss Faschismus und Wirtschaft gemäß amerikanischer Vorgaben.
Ob die Menschen dann wieder auf den Maidan ziehen, wohl eher nicht. Schließlich versprach man den letzten Putschisten hohe Regierungsämter für die Arbeit, falls sich jetzt das Volk dranmachen sollte, die Faschisten absetzen zu wollen, wird sich Merkels Außenminister folgendermaßen äußern:
"Das sind radikale Kräfte, die eine demokratische legitimierte Regierung stürzen wollen. Um dies zu verhindern werden wir der Regierung in Kiew jegliche Unterstützung zukommen lassen."
Gemeint sind wie immer Waffen und Ausbildung. Europäische Werte müssen schließlich verteidigt werden, Dinge, nach denen Menschen freiwillig streben, sowie die Freiheit, die fallen eher nicht darunter.
Diesen antiwestlichen Propagandaquark habe ich schon ...
... hundert Mal gelesen. Er ist überflüssig, weil er nur gestanzte Formeln enthält.
Der Bericht handelt von den Menschen, ihren Erfahrungen, ihren Hoffnungen, ihren Zukunftsängste - nehmen Sie die doch mal ernst.
Warum ist die SItuation denn wirtschaftlich so schwierig? Zunächst einmal sind die bisherige Regierung oder das bisherige System verantwortlich, nicht der böse Westen oder der IWF.
Immerhin ein zarter Ansatz
mal über die zu berichten um die es geht - auch wenn es in der Wirklichkeit nicht um sie geht.
Man kann den Ukrainern nur wünschen, daß sie zumindest annähernd eine Regierung bekommen die ihnen gerecht wird - allein mir fehlt der Glaube...
Zu viel des Lobes
Hauptsächlich geht es um diesen einen Satz meiner Meinung nach:
"Ihren Namen will sie nicht nennen, sie vertraue den Medien nicht mehr. "Es wird immer gleich so viel von Rechtsextremen geschrieben", sagt sie."
Daran sollen wir uns dann ein Bsp. nehmen. Die Version der massenhaft "friedlichen Demonstranten" will eben aufrechterhalten werden. Dabei sieht die Realität anders aus:
"Kiew vertraut 23 Ferienlager den Nazis an für paramilitärische Ausbildung
Der ukrainische Minister der Verteidigung, Ihor Tenjukh, hat sich gegen die Integration der Jugend des Rechten Sektors (Neonazis) innerhalb der neuen Nationalgarde ausgesprochen.
Jedoch hat der Bildungsminister, Serhiy Kvit (Svoboda), die Infrastruktur der im gesamten Gebiet verteilten 23 Ferienlager der Jugend des Rechten Sektors anvertraut, um eine paramilitärische Ausbildung zu organisieren."
Q: Voltaire Netzwerk
Ruhe vor dem Sturm?
Es wird wohl wie bereits im Artikel erwähnt, darauf hinauslaufen, dass der Maidan wieder ein Schauplatz der Gewalt wird. Dies ist nicht schwer vorausszusehen, wenn man bedenkt mit welchen Mitteln die nichtgewählte Regierung in Kiev versuchen wird an der Macht zu bleiben und durch Verträge das Volk auf Jahrzehnte geknechtet hat.
Wollen wir dann mal sehen, wie Sicherheitsbeamte und Polizisten dann reagieren? Nicht so zimperlich wie unter Janukowitsch, das wird klar sein. Denn die neuen Demonstranten sind dann nicht mehr friedlich, sondern demokratiefeindliche Unruhestifter.
Sie sagen es...
Den Maidan wird es wohl nie mehr geben, der wird im Ansatz schon von den ausserukrainischen Strategen erstickt. Und ausserdem wird er nicht mehr von diversen westlichen Organisationen unterstützt, die haben ihr Ziel mit der prowestlichen Regierung nämlich erreicht.
Evtl. doch auftretende Proteste sind dann wahrscheinlich russische Agenten und Unruhestifter und werden mit Hilfe der ultrarechten "Nationalgarde", getarnt als Volldemokraten, mal eben eigenhändig zerschlagen.