Die Dachbalken sind verkohlt, die Mauerreste von Einschusslöchern durchsiebt. Sejladin ist von seinem einstigen Geburtshaus in der Kodra-und-Trimave-Straße nur ein trister Trümmerhaufen geblieben. Der Schrecken des Krieges ereilte den hageren Man im mazedonischen Kumanovo vor zwei Wochen im Schlaf. "Bum, bum, bum – 13 Stunden lang", erzählt er. Mit seiner 74-jährigen Mutter und seiner Frau wartete er hinter dem Sofa im Wohnzimmer auf das Ende des Infernos, halbwegs sicher vor Querschlägern. Erst als nach einem Granateinschlag am frühen Abend der Dachstuhl Feuer fing, rannten sie aus dem Haus. "Ob wir im Feuer oder im Kugelhagel sterben: Zeit zum Nachdenken blieb uns nicht, wir wollten nur unsere Köpfe retten."
An manchen Häusern sind ganze Wände weggesprengt, ausgebrannte Autowracks säumen die von Betonbrocken blockierten Straßen. Schaulustige und Anwohner staken
stumm über die Trümmer des verlassenen
Schlachtfelds. Auch zwei Wochen nach den blutigen
Kämpfen können hier viele kaum fassen, wie und warum der
Krieg über sie und in ihr Leben kam.
Wie könne die Polizei ohne Vorwarnung "und mitten in der Nacht" ein Wohnviertel unter Beschuss nehmen, erregt sich ein Nachbar: "Warum wurden wir nicht gewarnt oder die gesuchten Leute nicht erst mal aufgefordert, sich zu ergeben? Hier schliefen Alte, Frauen und Kinder. Und die Polizei ließ das Viertel sofort mit schweren Geschützen beschießen. Immer trifft es uns Albaner, immer sind wir an allem schuld. Aber wir sind doch nicht Asien, hier ist Europa!"
Zur Bananenrepublik verkommen
Wer ist für die Gewalt in Kumanovo verantwortlich? Die mazedonische Regierung spricht von albanischen Terroristen aus dem Kosovo, die
Opposition von einem inszenierten Ablenkungsmanöver der Regierung, die EU von
einem "isolierten, von Kriminellen gesteuerten Vorfall", Russland wittert gar
den Westen am Werk. Sicher ist, dass die mysteriöse Eskalation einen vergessenen
Vorhof Europas wieder kurz in das Rampenlicht der Weltöffentlichkeit hat
rutschen lassen.
Zum letzten Mal richteten sich 2001 alle Augen auf Mazedonien – als der Vielvölkerstaat am Rande eines Bürgerkriegs stand. Damals wusste die EU die Spannungen zwischen mazedonischer Mehrheit und albanischer Minderheit auch durch die Zusicherung einer EU- und Nato-Perspektive zu befrieden. Tatsächlich erhielt das Land bereits 2005 den Status als EU-Beitrittskandidat. Den Nato-Beitritt blockierte Griechenland 2008 per Veto, wegen des ungelösten Streits um den Landesnamen, die Griechen erkennen ihn nicht an, weil sie den Einfluss auf ihre Region Makedonien fürchten. Seither tritt das Land auf der Stelle: Unter dem nationalpopulistischen Premier Nikola Gruevski ist Mazedonien zu einer autoritär geführten Bananenrepublik verkümmert.
Ob bei Wahlmanipulationen, der
Gängelung der Presse oder der Ausschaltung politischer Gegner durch düstere Geheimdienstmachenschaften:
Die EU beschränkte sich lange auf die Rolle eines pflichtschuldig mahnenden,
aber eher uninteressierten Rabenonkels. Selbst in Griechenlands größter Krise
vermochten die EU-Partner das angeschlagene Athen nicht zu mehr Flexibilität im
fatalen Namensstreit zu bewegen. Erst die Kämpfe von Kumanovo haben die
Staatengemeinschaft aufgerüttelt: Es ist das Schreckbild eines neuen
Balkan-Kriegs, der die Mühlen der internationalen Diplomatie spät in Bewegung
setzt.
Posthum zum Terroristen erklärt
In der Region drohe ein "Flächenbrand", warnt besorgt der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Für Mazedoniens Opposition sind hingegen weniger ethnische Spannungen als die Willkürherrschaft des Premiers Auslöser der gegenwärtigen Krise des Landes. "Diese Regierung diskriminiert nicht nur die Albaner wegen ihrer Abstammung, sondern jeden, der gegen sie ist", klagt die Sozialdemokratin Radmila Sekerinska.
Zwei Tage wüteten die Kämpfe von Kumanovo. Die Polizei habe eine aus dem Kosovo eingesickerte Terroristengruppe "neutralisiert", ließ die Regierung verlauten, die erst von 22 und später von 18 Todesopfern sprach. Doch nicht nur wegen des merkwürdigen Opferschwunds vertraut dort niemand den offiziellen Erklärungen. Im Viertel habe es nie Probleme zwischen Mazedoniern und Albanern gegeben, versichert Muamet Fejzuli. Er glaubt an einen von der Regierung "inszenierten Terror gegen die Albaner": "Um ihre Stühle zu retten, haben sie hier ein Massaker anrichten lassen – gegen das eigene Volk." Einen der Getöteten habe er persönlich gekannt, sagt der frühere Lehrer, der seit 23 Jahren als Gärtner in Stuttgart arbeitet und jetzt vor seinem zerstörten Elternhaus steht: "Er lebte von seiner Ziegenherde und hatte sein ganzes Leben das Auskommen für seine Familie mit harter Arbeit verdient. Nun wurde er getötet – und posthum zum Terroristen erklärt."
Kommentare
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Verschwörungstheorien und belegen Sie Ihre Thesen mit seriösen Quellen. Die Redaktion/tv
Genau...
das ist der Grund und bedauerlich für die westlichen Interessen steht die Mehrheit der Mazedonier hinter der Regierung. Da kann man die "Revolutionsprofis" von Otpor noch so mit finanziellen Mitteln unterstützen. Es nützt nichts. ich hoffe auch für die Mazedonier, dass ihnen das Unheil, das wir in der Ukraine anrichteten, erspart bleibt.
Da können wir ja....
Zitat aus Artikel: "Zum letzten Mal richteten sich 2001 alle Augen auf Mazedonien – als der Vielvölkerstaat am Rande eines Bürgerkriegs stand. Damals wusste die EU die Spannungen zwischen mazedonischer Mehrheit und albanischer Minderheit auch durch die Zusicherung einer EU- und Nato-Perspektive zu befrieden. Tatsächlich erhielt das Land bereits 2005 den Status als EU-Beitrittskandidat. Den Nato-Beitritt blockierte Griechenland 2008 per Veto.."
...doch noch froh darüber sein, das Griechenland teil der EU ist.
Danke Griechenland
@ 4 Allerdings.
"Ob bei Wahlmanipulationen, der Gängelung der Presse oder der Ausschaltung politischer Gegner durch düstere Geheimdienstmachenschaften: Die EU beschränkte sich lange auf die Rolle eines pflichtschuldig mahnenden, aber eher uninteressierten Rabenonkels."
Und das ist ein Beitrittskandidat? Wie im Falle von Bulgarien, Rumänien - erst Reformen, dann Kandidatur, das ist die richtige Reihenfolge. Erst Beitritt - dann Reformen? Das funktioniert nicht.
Opfer von Putin-Propaganda
"Aber sicherlich wird uns auch hier wieder "Verschwörungstheorie" vorgehalten."
Nicht nur Verschwörungstheoritiker sondern auch eine der nicht logisch denken kann:
Die EU-freundliche Regierung soll also von EU gestürzt werden damit eine andere EU-freundliche Regierung an die Macht kommt und natürlich wegen russischen Erdöls das an die EU-staaten verkauft werden soll!
Das ist ja noch krasser als die Lufthansa-Verschwörung von Erdogan, danach will Deutschland nicht das die 3te Flughafen gebaut wird also ist die EU für die Gezi-Aufstand verantwortlich...........irgendwie sind alle Paranoiden Menschen gleich egal von Islamisten oder Linken oder wie hier von Putin-Freunden hauptsache nicht die herrschende Regierung ist Verantwortlich sondern irgendeiner Fremde Macht!
Opfer von Propaganda
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In der Politik gibt es keine Freunde, es gibt nur Interessen.
USA und Russland kämpfen in Mazedonien um Energie-Markt
http://deutsche-wirtschafts-…
Ist schon eigenartig, dass es in Mazedonien gerade jetzt zu verstärkten Unruhen kommt.
Aussagen und Darstellungen
"Wie könne die Polizei ohne Vorwarnung "und mitten in der Nacht" ein Wohnviertel unter Beschuss nehmen, erregt sich ein Nachbar:"
War das so?
Wie muss man sich das vorstellen? Sicherheitskräfte kommen zum Rand des Ortes oder Viertels und fangen an zu schiessen? Auf wen oder was?
"... Und die Polizei ließ das Viertel sofort mit schweren Geschützen beschießen."
Schwere Geschütze?
...wurde "das Viertel" beschossen, oder z.B. bewaffnete Kämpfer die sich dort aufhielten?
"Er glaubt an einen von der Regierung "inszenierten Terror gegen die Albaner": "Um ihre Stühle zu retten, haben sie hier ein Massaker anrichten lassen – gegen das eigene Volk." "
Belege?
Inwiefern inszeniert? Es sind doch Leute getötet worden? Was waren das für Leute?
" "Er lebte von seiner Ziegenherde und hatte sein ganzes Leben das Auskommen für seine Familie mit harter Arbeit verdient. Nun wurde er getötet – und posthum zum Terroristen erklärt." "
Was ist denn passiert?
Handelte es sich um einen bewaffneten Kämpfer der von Sicherheitskräften im Gefecht getötet wurde? Es liest sich zumindest ganz anders.
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Schade, dass die andere Seite nicht zu Wort kommt und man die Aussagen der Anwohner einfach unkommentiert übernimmt. 8 tote und 37 verletzte Sicherheitskräfte sind ja doch nicht ganz ohne. Das spricht angesichts der Ausrüstung und Bewaffnung der Sicherheitskräfte aus den Videos, für ein erhebliches Maß an Gewaltanwendung ihnen gegenüber...
http://en.wikipedia.org/wiki…
Anders als diverse Putin-Fresser und vermeintl. Freiheitskämpfer
... die sich mit ebenso platten und dumpfen gefühlten Fakten wie denen ihrer herum trollenden Gegenseite begnügen, ...
... haben Sie völlig zurecht ein paar elementare Fragen zum redaktionellen Beitrag (Zeugenaussagen einer Seite) gestellt, und versucht, weitere Quellen hinzu zu ziehen.
Warum der Autor diese Vorgehensweise ("Qualitätsjournalismus") nicht beherzigt hatte, resp. dies den meisten Foristen gar nicht erst auffällt (für gefühlte Fakten braucht man das alles nicht), wird sein, resp. ihr Geheimnis bleiben.
MfG