"Das Ausmaß der weltweiten Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden im
Jemen
ist schockierend", sagte Donatella Rovera von Amnesty International
kürzlich. Und tatsächlich: Durch den Syrien-Krieg, die Massaker des "Islamischen Staats" (IS) und Terroranschläge auf westliche Ziele ist der Jemen weitgehend aus der medialen Wahrnehmung verschwunden.
Dabei
schlagen Hilfsorganisationen seit Monaten Alarm: Im Jemen herrsche eine
humanitäre
Katastrophe, die den Horror des Kriegs in Syrien noch übersteige. Längst hat sich der Bürgerkrieg zu einem Stellvertreterkrieg mit
internationaler Beteiligung ausgeweitet. Auf der einen Seite stehen die
vom Iran unterstützten schiitischen Huthi-Rebellen und Soldaten des Ex-Präsidenten Ali Abdullah Saleh. Sie kämpfen gegen Anhänger von
Staatschef Abed Rabbo Mansur Hadi, die von sunnitischen Staaten unter
Führung von Saudi-Arabien mit Luftangriffen unterstützt werden. Kritik
gibt es vor allem an den Luftschlägen der Saudis und den arabischen Verbündeten. Die Militärkoalition sollte das Land eigentlich stabilisieren. Stattdessen
hat sie bei ihren flächendeckenden Bombardements mutmaßlich schwere
Kriegsverbrechen begangen, wie ein Bericht von Amnesty International nahelegt.
Die Lage im Land ist katastrophal: Nach UN-Angaben wurden in dem Konflikt seit März 2015 etwa 6.000 Menschen getötet, fast die Hälfte der Opfer waren Zivilisten. 80 Prozent der Bevölkerung sind laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR auf Hilfslieferungen angewiesen, darunter auch die 2,3 Millionen Vertriebenen innerhalb des Landes. Vom Chaos im Jemen profitieren militante Gruppen wie Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH) und der IS. Nach immer wieder aufflammenden Kämpfen sind die Gespräche zwischen Huthi-Rebellen und der Regierung gescheitert. Ein Ende des Bürgerkriegs ist also nicht in Sicht. Das ohnehin ärmste Land des Nahen Ostens wird weiter destabilisiert.
Wie ist
es für junge Menschen, die 2011 die Revolution erlebten und dann aus
ihrer Heimat fliehen mussten? Zwei junge Jemeniten aus dem Norden und dem Süden des Landes berichten für ZEIT ONLINE von ihren Träumen für und Ängsten um ihre Heimat:
"Eine Rückkehr wäre für mich lebensgefährlich"
"Ich
habe den Jemen im Oktober 2014 verlassen. Da hatten die Huthi-Rebellen bereits unsere Hauptstadt Sanaa eingenommen und waren dabei, weite Teile
des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Zeichen standen schon
auf Krieg. Ich habe ein Jahr in England gelebt, seit einigen Monaten bin
ich in Deutschland. Ich möchte hier mein Medizinstudium beenden und in
Frieden leben. Ich habe im Jemen viele Drohungen bekommen, von
religiösen Fanatikern wie Al-Kaida und dem 'Islamischen Staat', aber auch
von Stämmen.
Ich bin als politischer Aktivist im Jemen bekannt. Der einstige Präsident Ali Abdullah Saleh, der die Huthi-Rebellen unterstützt und sich so für seinen Sturz 2011 rächen will, hat Banden um sich herum organisiert. Sie sollen seine Kritiker verfolgen. Leute wie mich. Denn ich war sehr kritisch gegen sein Regime.
Als 2011 die Revolution im Jemen ausbrach, hoffte ich wie alle anderen jungen Leute auf eines: sozialen Wandel. 30 Jahre lang hat Ex-Präsident Saleh um sich herum ein Netzwerk von korrupten Führern aufgebaut. Mehr noch: Bestechung und Willkür waren allgegenwärtig – an den Schulen und Universitäten, in den Kliniken, Regierungsbehörden. 2011 ließ sich unsere Wut über diese Ungerechtigkeiten nicht mehr unterdrücken. Der Aufstand in Tunesien hatte uns Junge bestärkt, aufzubegehren. Dass die Proteste bald eine ähnliche Dimension wie dort haben würden, haben wir jedoch nicht erwartet.
Am Anfang protestierten die Studenten vor der Universität gegen
Korruption, aber auch gegen die vielen Waffen und Konflikte in unserem
Land. Wir sind mit dem Krieg aufgewachsen. Vier Jahre nach der
Vereinigung von Nord- und Südjemen 1990 hatten wir einen Bürgerkrieg,
auch danach gab es immer wieder blutige Konflikte zwischen den
Huthi-Rebellen und der Regierung sowie zwischen diversen Milizen und Stämmen.
Die Revolution war eine Chance für uns, zu zeigen, dass wir keinen Krieg
mehr wollen. Dass wir endlich in Sicherheit leben wollen. Die Menge der
Demonstranten auf den Straßen wuchs jeden Tag, die Fernsehkameras
brachten unsere Proteste in die Welt. Alle waren dort: Straßenverkäufer,
Geschäftsleute, Putzleute, Bauern. Es war ein großes Fest. Wir hatten
Zelte in der Innenstadt von Sanaa stehen,
zehn Monate lang. Dort haben wir diskutiert, Lieder gesungen, gemeinsam
Nachrichten geschaut.
Ich habe in der Zeit mit Freunden eine Künstlergruppe gegründet,
wir nannten sie '3 Meters away' (3 Meter entfernt). Wir haben Workshops,
Diskussionsrunden und Performances veranstaltet, aber auch Songs
komponiert. Ich habe für die Demonstranten auf der Straße gespielt.
Einige meiner Lieder wurden später zu Protesthymnen.
Die Revolution war in diesen Monaten ein Aufbäumen der jungen
urbanen Intelligenz. Wir hatten engen Kontakt zu Regierungsvertretern
und Ministern der Übergangsregierung. Sie waren offen für unsere
Anregungen. Frauen konnten sich für Posten bewerben, es wurde erstmals über Dinge
wie Gleichberechtigung diskutiert. So viel schien möglich in jener
Zeit.
Aber dann kippte die Stimmung. Erst schlugen die Sicherheitskräfte des Regimes zurück, postierten Scharfschützen auf den Dächern und Panzer an den Kreuzungen. Es gab Massaker an den Zivilisten. Dann mischten sich die Huthi-Rebellen unter die Protestierenden. Sie verwandelten den friedlichen Protest in einen bewaffneten Widerstand gegen die Übergangsregierung. Mit ihnen veränderte sich das Gesicht der Proteste. Die Studenten wurden weniger, Frauen kamen gar nicht mehr. Die Rebellen haben uns die Revolution aus den Händen genommen. Der Übergangspräsident Hadi floh nach Saudi-Arabien und fragte dort nach Unterstützung für den Kampf gegen die Rebellen.
Seit 2014 herrscht wieder Krieg im Jemen. Jeder kämpft gegen jeden. Die Koalition unter Führung von Saudi-Arabien bekämpft
die Huthi-Rebellen, die Iraner wiederum stützen die Rebellen,
dazwischen sind Milizen, Stämme, Banden, religiöse Extremisten. Es
herrscht das komplette Chaos. Einige meiner Freunde wurden gekidnappt, Bekannte von Stämmen oder Banden des abgesetzten Präsidenten umgebracht.
Für meine Familie ist die Lage desaströs. Es gibt keine funktionierende
Elektrizität, kaum Wasser, keine Lohnzahlungen.
Ich werde für lange Zeit nicht zurückkehren können. Mein Name ist
im Jemen zu bekannt, es wäre für mich lebensgefährlich. Eines Tages aber
möchte ich zurück in meine Heimat, so wie auch alle meine Freunde,
die den Jemen verlassen mussten. Wir wollen das, was wir im Ausland gelernt
haben, unserer Gesellschaft zurückgeben. Das sind wir
unserem Land schuldig.
Natürlich sind wir enttäuscht, wie die Revolution gelaufen ist. Ich
träume noch immer von einem sozialen Wandel im Jemen. Davon, dass freie
Meinungsäußerung als Wert in unserer Gesellschaft anerkannt wird. Dass
Toleranz ein feststehender Begriff wird. Dass wir ein wettbewerbsfähiges
Land werden, in Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst. Es wird viele Jahre
und Generationen brauchen, bevor es einen wirklichen Wandel geben kann.
Eine Revolution ist kein Prozess, der heute beginnt und morgen aufhört.
Es ist ein Prozess, der über lange Zeit anhält."
Kommentare
Und so geht es in allen Ländern. Mit tödlichen Waffen kann immer die kleine Minderheit der Alphakillermächtigen die große Mehrheit vor sich hintreiben. Die Opportunisten und die Perspektivlosen folgen der (Militär-)macht.
Ich wüsste wenig Beispiele, wo das anders ist.
Und die Produktions beginnt in Stuttgart, Oberndorf, Dortmund...
Und ojah. die Russen und die Amerikaner, man kann es natürlich immer auf andere schieben...
"Mit tödlichen Waffen kann immer die kleine Minderheit der Alphakillermächtigen die große Mehrheit vor sich hintreiben. Die Opportunisten und die Perspektivlosen folgen der (Militär-)macht."
Dahin entwickelt es sich am Ende in diesen Ländern immer. Aber wer in der Wikipedia zu Jemen liest, findet dort auch Sätze wie "In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Entführungen ausländischer Touristen. Diese haben anders als im Irak oder in Afghanistan in der Regel keinen religiösen oder ideologischen Hintergrund. Den Entführern ging es meist vielmehr darum, die Geiseln als Druckmittel gegenüber der Regierung zu benutzen, so etwa für die Freilassung von inhaftierten Stammesangehörigen oder den Bau von Schulen oder Straßen in ihrer Region." (2005)
Die dortigen Regenten kennen das nicht, dass sie auch Minderheiten zu ihrem Recht kommen lassen müssen, wenn sie Frieden im Land haben wollen.
Die Übergangsregierung wäre eine Superchance für den Jemen gewesen, aber Hadi fühlte sich durch den großen Bruder Saudi Arabien so stark, dass er die Interessen der Huthi einfach missachtete. Selbst als die ihn am Regierungssitz "besuchten" und unter Hausarrest stellen, war er nicht gewillt, deren Interessen politisch zu beachten. Er floh dann nach Saudi Arabien und kam mit deren Luftwaffe zurück und machte das Land platt.
Die Minderheiten werden in der Region häufig missachtet. Eine Ausnahme war Syrien. Aber die dortige Regierung war den Russen mehr Freund als den Amerikanern. Das reichte.
also, das müssen die leute aber schon verstehen: momentan gibt es nur einen einzigen konflikt, der die welt bewegt, und das ist syrien. alles dreht sich um flüchtlinge aus syrien. vor anderen bereits bestehenden oder zukünftig mit hoher gewissheit drohenden kriegen werden die augen verschlossen.
schließlich kann man sich nicht um alle kümmern!
und wenn die saudis ihre finger im spiel haben, ist es ohnehin opportun, sich als westliches land nicht zu weit aus dem fenster zu lehnen. sollen die das doch untereinander ausmachen. solange es nicht syrien betrifft.
"... und wenn die saudis ihre finger im spiel haben, ist es ohnehin opportun, sich als westliches land nicht zu weit aus dem fenster zu lehnen."
DAS ist das Problem!
Man will nicht über den Konflikt aufklären.
Die Huthi waren Teil einer friedlichen Protestbewegung gegen z.B. Korruption und allgemein die Hadi-Regierung. Bei der Wahl von Hadi gab es nur einen Kandidat; ihn. Anderswo hat man Revolutionen auch unterstützt, hier geht es aber um ein Regime, dass zu Saudi-Arabien stand. Eine größere Einflussnahme der 35-40% Zaiidi im Jemen, die den Schiiten nahestehen, wollte man wohl nicht. Die wollten keineswegs den Staat übernehmen, sondern auf eine Übergangsregierung hinarbeiten, wobei die aktuellen Minister/Beamte im Amt blieben. Man forcierte wohl den Kampf gegen Korruption und verlangte Nachforschungen über die verschwundenen Gelder.
Solange das alles weitgehend friedlich blieb, war das alles vollkommen legitim. Wie man an den Kämpfen aktuell erahnen kann, haben die Huthi große Unterstützung in Bevölkerung, Militär und jemenitischer Politik. Von "Rebellen" zu sprechen, wäre also korrekter als von "Huthi", die nur ein Teil ausmachen.Sonst könnten sie sich garnicht so gut in großen Teilen des Landes halten. Interessanterweise ist der aktuelle Frontverlauf ungefähr der Grenzverlauf des ehemaligen Nordjemen.
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Die Hirakbewegung von der hier so schön geschrieben wird, ist eine Seperatistenbewegung! Die wollen das Land teilen!
https://en.wikipedia.org/...
Intellektuelle Leute mit westlicher Ausrichtung wie Frau TARFAH AL-FADHLI sind wohl nur eine Promille Minderheit im Jemen - darum können sie demonstrieren soviel sie wollen, sie werden die Geschicke des Landes kaum mitbestimmen können. Meine Eindrücke sind, dass die Saudis gegen Stammeskrieger aus dem geistigen Mittelalter kämpfen - teils barfuss, ernähren sich mir einer Handvoll Nüsse und Bethel - aber zu allem entschlossen.
Diese Leute leben auf einem anderen Planeten als Hauptstadt-Aktivisten
"Meine Eindrücke sind, dass die Saudis gegen Stammeskrieger aus dem geistigen Mittelalter kämpfen"
Die Al Kaida kämpft im Jemen eher auf Seiten der Gegner der Huthis. Das ist die Seite des geflohenen Präsident Hadi.
Bei so jungen Leuten wie im Artikel, bin ich mir nie sicher, wie die die Politik um sich herum wahrnehmen. Wenn Hadi nicht taub gegen sämtliche Bedürfnisse im Land gewesen wäre, wären auch die Studenten nicht auf die Straße gegangen, die sich nachher darüber beklagten, dass auch die Huthis mit einigem nicht zufrieden waren und mit noch mehr Nachdruck ihre Interessen eingefordert haben.
Die dortigen Leute kennen keinen Interessenausgleich. Wenn da einer die Macht hat, dann drückt er sie gegen alle Widerstände durch und wird dann irgendwann geputscht. Dann sitzt eine neue Regierung an den Hebeln der Macht und revanchiert sich erst mal für das zuvor erlittene Leid.
Exakt das gleiche Spielchen lief im Irak, als die Amerikaner die Sunniten entmachteten und die Schiiten ran ließen. Wobei die Amerikaner das Spielchen sogar noch unterstützten, indem sie die Sunniten wirklich gänzlich von allen staatlichen Stellen entfernten. Die heutige IS-Führung besteht fast ausschließlich aus Sunniten, die von den Amerikanern nach 2003 auf die Straße gesetzt wurden.
Was sich die Amerikaner dabei dachten, weiß Gott. Dass sie nicht wussten, was sie taten, schützen sie immer dann vor, wenn die Spur des Chaos bis zu ihnen zurückverfolgt wurde. Ich glaube das nicht mehr.
Und noch was:
Der Jemen wird in hundert Jahren nicht mehr funktionieren. Das ist in mindestens 12 anderen Ländern der Region ebenfalls der Fall.
Deutschland ist der drittgrößte Waffenproduzent. Wir reden von Islam hin und Islam her und Kultur und alles mögliche.
Nur: Ohne Waffen hätte kein Islamist der Welt, keine Machokultur der Welt und kein verbohrter Islam Hundertausende und Millionen von Leuten in die Flucht treiben können.
Und in Deutschland beschwert man sich jetzt, dass Flüchtlinge kommen.
Diese Fanatiker würden sich auch mit Faustkeilen gegenseitig totschlagen. Die Waffen sind überhaupt nicht das Problem. Es ist der Hass in den Köpfen der Krieger. Bei uns gibt es diese Waffen ja auch und wir schlagen uns nicht (mehr) die Köpfe gegenseitig ein.
Nein, man muss das grundlegende Problem schon beim Namen nennen: die islamistische Ideologien (Mehrzahl).