ZEIT ONLINE: Herr Kijowski, sind Sie Polens neuer Oppositionsführer?
Mateusz Kijowski: Auf keinen Fall. Es gibt ja drei Oppositionsparteien im Parlament und einige außerhalb. Eigentlich habe ich nur eine Facebook-Gruppe gegründet, um mit ein paar Leuten zu diskutieren, was zu tun ist. Ich habe den Funken geschlagen, dann ist es explodiert.
Die Leute haben mir Vertrauen entgegengebracht, ich habe zugehört und dann das gesagt, was mir die Leute gesagt haben. Ich komme eher aus der Bewegung, als dass ich die Bewegung gegründet oder geplant hätte.
ZEIT ONLINE: War das Wahlergebnis der PiS der Auslöser für die Proteste?
Kijowski: Nein, man kann ja nicht gegen das Votum des Volkes protestieren. Auslöser waren die ersten Handlungen der Regierung: die Sache mit den Richtern am Verfassungsgericht – das war der erste verfassungsfeindliche Akt; dann die Begnadigung von Mariusz Kamiński durch den Präsidenten, der dann Geheimdienstkoordinator in der neuen Regierung wurde; dann die Sache mit dem Kulturminister, der die Aufführung des Theaterstückes von Elfriede Jelinek in Wrocław verbieten wollte, weil es angeblich pornografische Szenen enthält.
All das hat klar gezeigt, in welche Richtung es geht. Außerdem hat Ministerpräsidentin Beata Szydło ihre Wahlkampfversprechen nicht gehalten. Sie hatte gesagt, dass Jarosław Gowin Verteidigungsminister wird, aber am Ende ist es Antoni Macierewicz geworden, den die Leute nicht haben wollten. Schnell war deutlich: Dieser Regierung sind Versprechen egal, Gesetze sind ihr egal und die Leute sind ihr egal. Die PiS will allen zeigen, dass sie die Macht hat.
ZEIT ONLINE: War das überraschend? Die PiS war ja schon einmal an der Regierung.
Kijowski: Für mich nicht. Aber viele Leute haben den Wahlkampfversprechen der PiS geglaubt und waren dann enttäuscht. Uns haben sich schon Leute angeschlossen, die für das Wahlprogramm der PiS gestimmt hatten und jetzt sagen: Was sie jetzt tun, wollten wir nicht.
ZEIT ONLINE: Was haben Sie konkret getan?
Kijowski: Ich habe diese Facebook-Gruppe gegründet und KOD genannt, Komitee zur Verteidigung der Demokratie. Ich habe meine Frau, einen Cousin und zwei Freunde eingeladen. Das war am 19. November gegen Mittag, abends waren schon 100 Leute in der Gruppe. Da habe ich einen befreundeten Künstler um ein Logo gebeten, und innerhalb von ein paar Stunden haben andere Leute begonnen, ein Manifest auszuarbeiten. Mit Logo und Manifest hatte die Gruppe drei Tage später 30.000 Mitglieder.
ZEIT ONLINE: Mitglied einer Facebook-Gruppe sein, ist das eine. Wie kam es zu den ersten Demonstrationen?
Kijowski: Wir haben die Facebook-Regeln umgeworfen. Normalerweise kommen zu einem Facebook-Event zehn Prozent der Leute, die vorher zugesagt haben. Bei uns war es umgekehrt: Es waren zehnmal so viele. Zur ersten großen Demonstration am 12. Dezember kamen 50.000 Menschen.
Es war von Anfang an klar, dass es nicht virtuell sein würde. Die Leute sagten: Wir müssen auf die Straße gehen und wir brauchen eine Struktur. Damit haben wir sofort begonnen, und nach wenigen Stunden hatten wir in jeder großen polnischen Stadt Koordinatoren.
ZEIT ONLINE: Und jetzt gibt es regelmäßig Demonstrationen?
Kijowski: Am Anfang ging es um die Änderungen beim Verfassungsgericht, dann haben wir für freie Medien demonstriert. Mittlerweile hat die Regierung schon wieder lauter neue Ideen. Wir müssen gegen das neue Beamtengesetz protestieren, gegen ein Polizeigesetz, das viel mehr Überwachung ermöglichen soll, gegen das Vorhaben, den Justizminister auch zum Generalstaatsanwalt zu machen, und gegen den Plan, das Wahlgesetz zu ändern.
Alles das ist gegen unsere Freiheit, gegen unser demokratisches System. Wir müssen zeigen, dass wir für unsere Freiheit kämpfen und unsere Demokratie verteidigen.
ZEIT ONLINE: Wer ist wir? Wer kommt zu den Demonstrationen?
Kijowski: Anfangs waren es vor allem die, die den Kommunismus noch erlebt haben, also die etwas ältere Generation. Diesen Menschen war sofort klar, als sie die ersten Symptome des Wandels gesehen haben, in welche Richtung es geht. Dass das gefährlich ist. Die Jungen, die ihr ganzes Leben in einem freien, demokratischen Land gelebt haben, erkannten die Gefahr nicht so schnell. Aber jetzt gibt es auch eine Jugendbewegung innerhalb der KOD.
ZEIT ONLINE: Sie selbst sind auch auf der Straße?
Kijowski: Ich laufe mit, rufe ein bisschen, spreche, vor allem aber lächle ich. Das ist wichtig bei unseren Demonstrationen: Wir sind positiv, wir mögen uns, wir lächeln uns an. Keine negativen Emotionen!
ZEIT ONLINE: Das klingt ein bisschen harmlos.
Kijowski: Wir setzen uns so von unseren Gegnern ab. Von PiS-Anhängern auf der Straße, von rechten Publizisten kommt so viel Hass. Und natürlich aus dem Internet. Meine Frau und ich haben Morddrohungen bekommen.
Kommentare
Ja, die Opposition gegen die Regierung von ultraconservative Polen! ......... Eine neue Regierung: Gemeinsam werden wir gewinnen! (Polen braucht eine andere Regierung, offenen demokratischen und progressiven)
In vier Jahren gibt es noch mal die Wahlen. Vor 3 Monaten haben die Polen eben in freien, demokratischen Wahlen ihre Regierung gewählt.
"Vor 3 Monaten haben die Polen eben in freien, demokratischen Wahlen ihre Regierung gewählt."
Und die kriegt jetzt glücklicherweise Gegenwind.
@Gottloser Radfahrer,
nennen Sie diese ca. 55000 Gegenwind? Als Antwort auf die Luegen von Herrn Kijowski ist im Internet auch eine Gegengruppe entstanden. Erst gestern habe ich davon erfahren. Dort haben sich 62 000 angemeldet.
"Ich habe den Funken geschlagen, dann ist es explodiert."
Die überwältigende demokratische Mehrheit der Polen hat die linke Regierung abgewählt. Wieso begreift die deutsche Presse es nicht? Die Mehrheit der Polen wollen Leute, wie der Herr Kijowski auch ist, nicht im politischen Leben sehen! In 4 Jahren haben die Wähler in Polen die Möglichkeit, ihre Zustimmung oder Ablehnung zum Ausdruck zu bringen.
4 Jahre lang sollen die Bürger und die EU brav und ohne Protest zusehen, wie die demokratischen Institutionen unterhöhlt werden, in der Hoffnung, dass die Wahl in 4 Jahren dann noch demokratischen Ansprüchen genügt?
Sie haben ein erstaunliches Demokratieverständnis!
"Wir müssen jetzt unsere Freiheit verteidigen"
Seltsam, mit welchen Maßstäben und welchem Pathos Sie an die Berichterstattung über Polen herangehen und mit welcher Selbstverständlichkeit die Aussetzung aller denkbaren Rechtsnormen ohne Parlamentsbeschluss im oppositionslosen Deutschland journalistisch durchgewunken wird.
Es ist diese speziell deutsche Form der nationalen Selbstlosigkeit. ;-)
Leider macht sie in Europa keine Schule, wir bekommen nicht die ersehnte Schützenhilfe von den Auslandsmedien. Und ob die Polen sich davon beeindrucken lassen, ist fraglich. Wir werden es erleben.
Von der deutschen Presse hochgelobte "oppositionelle" Kräfte werden es in Polen künftig noch schwerer haben, große Menschenmengen zu überzeugen.
Friendly Fire.
Vielleicht täuschen Sie sich, Deutschland wird in Polen nicht (mehr) so gehasst, wie Sie das hoffen. Die Kritik kommt übrigens aus ganz Europa und auch den USA.