Emmanuel Macrons Ministerinnen und Minister sind ihm ähnlicher als dem französischen Volk: Es sind überdurchschnittlich verdienende Workaholics, die das jetzige System nicht infrage stellen. Mit dem Präsidenten ist nicht die versprochene zivile Gesellschaft in den Pariser Élysée-Palast eingezogen. Alle 15 Mitglieder des Kabinetts sind weniger neu als sie erscheinen: Sie gehören zur alten Elite.
Nur einige Beispiele:
Wissenschaftsministerin wird die Präsidentin der Universität in Nizza, Frédérique Vidal. Intern
ist sie umstritten, weil sie eine Exzellenz-Initiative unterstützt, die
Frankreichs Hochschulen noch stärker einem Ranking aussetzt, wodurch kleinere Unis
Ansehen und Studierende verlieren könnten. Ein wissenschaftlicher Angestellter
oder eine Forscherin hätte sicherlich andere Prioritäten.
Die neue Arbeitsministerin Muriel Penicaud muss Macrons umstrittenste Reform durchsetzen: Unternehmen soll es möglich sein, ihre Mitarbeiter über Arbeitszeiten, Löhne und die Bezahlung von Überstunden abstimmen zu lassen, statt branchenweite Regelungen zu übernehmen. Penicaud war Personalchefin beim Weltkonzern Danone und bei der Rüstungsfirma Dassault, sie sitzt in mehreren Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen – und ist in ihrem Alltag sicherlich sehr weit entfernt von Millionen Angestellten und Arbeitern in Frankreich, die unter dem neuen Arbeitsgesetz ihr Geld verdienen werden. Und über die Bildungspolitik wird mit Jean-Michel Blanquer ein Mann bestimmen, der eine elitäre Privatuniversität leitete, die Studierende rund 13.500 Euro im Jahr kostet.
Macron hat zwar formal sein Ziel erreicht und die Hälfte der Posten mit Menschen besetzt, die zuvor nicht in der Politik waren. Aber sie kommen alle aus derselben Gesellschaftsschicht wie typische Top-Politiker jetzt schon. Der 39-Jährige hat das obere ein Prozent der Zivilgesellschaft verpflichtet, die meisten kommen aus Paris und sind schon in die akademische Oberschicht hineingeboren. Der Durchschnittsfranzose verdient rund 1.700 Euro im Monat – und damit nur einen Bruchteil des Gehalts, das jedes einzelne Kabinettsmitglied vor seiner Berufung bezogen hat. Macrons Minister werden die gängige Politik weiterführen. Weniger Auflagen für Arbeitgeber. Beamtenstellen streichen. Kleinere Schulklassen. Mehr Polizisten. More of the same.
Taktisch klug vor der Parlamentswahl
So ist Macrons Politik weit weniger
spektakulär und noch weniger ein Neuanfang, als der aktuelle Hype um seine Person
glauben lässt. Sein Kabinett ist – würde man es auf Deutschland übertragen – eine Art schwarz-gelbe Koalition mit einigen sozialdemokratischen Ministern und einem grünen Umweltminister. Neoliberal in der Wirtschaft und
gesellschaftlich offen, etwa bei Fragen der Homoehe.
Die Schlüsselressorts Wirtschaft und Finanzen, die über das Budget für alle weiteren Ministerien entscheiden, sind in der Hand ultraliberaler Republikaner. Mit Bruno Le Maire wird ein Mann Wirtschaftsminister, der noch vor wenigen Wochen 500.000 Beamtenstellen und die Vermögenssteuer streichen wollte. Die Ministerien der "Zivilgesellschaft", etwa Kultur und Gesundheit, werden nicht viel Geld erwarten können.
Keine Frage, um seine Macht bei der Parlamentswahl im Juni zu erhalten, hat Macron taktisch klug gehandelt. Während er vor der Präsidentschaftswahl die Sozialisten durch zahlreiche Überläufer spaltete, hat er es nun mit einem konservativen Regierungschef und zwei konservativen Ministern geschafft, die Republikaner drei Wochen vor der Parlamentswahl zu entzweien: Die Moderaten unter ihnen wollen Macron "die Hand reichen", die Hardliner wollen außerhalb der Regierung bleiben. Der schwelende interne Streit zwischen den beiden Lagern bricht nun auf, die Republikaner könnten dadurch Wähler an Macrons Kandidaten verlieren.
Die einfachen Leute finden sich nicht wieder
"Unsere Herkunft aus unterschiedlichen Parteien wird uns
nicht daran hindern, intelligent zusammenzuarbeiten", sagt
Regierungssprecher Christoph Castaner. Das mag stimmen. Aber die größte Kluft
in Frankreich ist nicht zwischen Politikern von rechts und links, sondern
zwischen der Elite und der großen Mehrheit in Frankreich.
Deshalb konnte Marine Le Pen mit ihren Schimpftiraden gegen die bisherigen Politiker jeden fünften Wähler gewinnen. Und fast ebenso viele Französinnen und Franzosen haben sich für den radikalen Linken Jean-Luc Mélenchon entschieden, weil er eine neue Verfassung versprach und in seinem Team Arbeitslose, Geringverdiener und Arbeiter vertreten sind. Nach neuesten Umfragen sind genau diese gesellschaftlichen Klassen schon jetzt mehrheitlich unzufrieden mit der neuen Regierung. Weil sich der Krankenpfleger, die Sozialarbeiterin, der Bauarbeiter und die Alleinerziehende nicht in ihr wiederfinden.
Emmanuel Macron hat so gehandelt, wie es die meisten Personal- und Regierungschefs tun: Sie wählen Menschen aus, die ihnen in Herkunft und Lebenslauf gleichen. Das ist in der Psychologie als Ähnlichkeitseffekt bekannt und nichts Ungewöhnliches. Aber es ist nicht der Neuanfang, den der jüngste Präsident Frankreichs versprochen hatte.
Kommentare
Aber sie kommen alle aus derselben Gesellschaftsschicht wie typische Top-Politiker jetzt schon.
Dazu passt auch dieser Artikel, der den rasanten Aufstieg Macrons und vor allem seine reichen/mächtigen Förderer sehr gut aufzeigt:
Die Bande des Monsieur Macron
https://monde-diplomatiqu...
Das Fazit des Artikels lautet:
Fazit: Emmanuel Macron, der als der neue Mann ohne Vergangenheit und ohne Beziehungen posiert, verkörpert mit seiner Person und mit seiner Umgebung das kompakte Aufgebot der Staatsaristokratie (Abteilung Finanzministerium) und der Hochfinanz, kurz: das „System“ schlechthin.
"Die Bande des Monsieur Macron"
Und hierzulande wird Macron von einigen linksliberalen Nachtwächtern schon als der Messias Europas gefeiert.
Ziehmlich blauäugig, wie ich finde.
Was wäre die Alternative? Einen ungebildeten [...] als Arbeitsminister? Oder einen hochgebildeten, die gibt es auch.
Gekürzt. Bitte verzichten Sie auf herabwertende Äußerungen. Danke, die Redaktion/ms
Eben genau das dachte ich auch als ich die ersten Sätze las:
"Emmanuel Macrons Ministerinnen und Minister sind...überdurchschnittlich verdienende Workaholics, die das jetzige System nicht infrage stellen."
Man hat doch gesehen, was dabei herauskommt, wenn ein Präsident Personen in Ämter beruft, für die sie nicht qualifiziert sind. Wie Trump, der eine Bildungsministerin hat, die Bildung abschaffen will, einen Umweltminister, den Umweltbestimmungen nicht im mindesten interessieren, usw.
Jetzt lasst den jungen Mann und seine Mannschaft mal machen.
Womöglich kann ganz Europa von ihm und seinem neuen Kurs lernen. Denn er hat Minister nach Qualifikation berufen - und nicht nach Parteizugehörigkeit.
Das wär doch mal was: Minister, die Ahnung von ihrem Job haben...
Was haben Sie denn erwartet? Das plötzlich ein gewöhnlicher Arbeitsloser zum Innenminister ernannt wird?
Um einen Kabinettsposten zu besetzten, benötigen die Minister auch eine gewisse Expertise, gewisse Fähigkeiten. Sie müssen hervorragend über ihr Ressort informiert sein, da ist es leider politisch nicht sinnvoll (sehen sie sich die Trump-Administration an, die Posten nur nach persönlichen beziehungen verteilt hat) "normale" Menschen von der Straße einzustellen. Macron hat die Parteigrenzen aufgebrochen. Und, und das ist nicht zu vernachlässigen, seine Kandidaten für die Parlamentswahl sind tatsächlich gewöhnliche Menschen, die die Probleme der Bevölkerung aus eigener Hand kennen. Das ist ein Schritt nach vorne. Ein Kabinett der gewöhnlichen Staatsbürger ist aber leider eine ziemliche Utopie...
Das plötzlich ein gewöhnlicher Arbeitsloser zum Innenminister ernannt wird?
Was ist ein "gewöhnlicher Arbeitsloser". In Deutschland gibt es viele arbeitslose Juristen, BWLer, VWLer, MINTler etc. In Frankreich dürfte es nicht anders sein.
Wer hätte das erwartet...
Macron ist genausowenig "Anti-Establishment" wie Trump. Nur nicht so vulgär-dumm wie Agent Orange.
Je nachdem, wie weit man die Begriffe "Establishment" und "Elite" auslegt, ist es auch schier unmöglich, Minister zu ernennen, die nicht dazu gehören. Es sei denn man nimmt politische Laien, die auch keine Erfahrungen an der Spitze der Wirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaften oder sonstigen Organisationen gesammelt haben.