Barcelona ist in Weihnachtsstimmung. Lichterketten mit Sternschnuppen und bunt blinkenden Rosetten schmücken die engen Altstadtgassen, auf dem Bürgersteig haben Blumenhändler große, tiefrote Weihnachtssterne aufgereiht. Gestresste Passanten kaufen letzte Geschenke für die geruhsame Zeit von Heiligabend bis zu den Heiligen Drei Königen am 6. Januar, die in Spanien nahezu durchgehend in der Familie begangen wird.
In vielen katalanischen Familien wird es in diesem Jahr aber nicht nur geruhsam zugehen, sondern auch zu heftigen politischen Diskussionen kommen: Seit acht Uhr an diesem Donnerstag haben die Wahllokale in der Region im Nordosten Spaniens geöffnet. Die fünf Millionen Wahlberechtigten sollen über die Zukunft der Unabhängigkeitsbewegung entscheiden. Nach den von der Zentralregierung in Madrid erzwungenen Neuwahlen wird es bis zum späten Abend Gewissheit geben, wie viele Menschen für eine Abspaltung von Spanien stimmen.
Umfragen sagen ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Unabhängigkeitsgegnern und -befürwortern voraus. Keiner weiß, wie es weitergeht. Und das drei Tage vor Weihnachten.
"Er ist mein Präsident"
An einer Metrostation im Zentrum steht Gloria, 59 Jahre alt, und wartet auf den Zug, der sie zurück nach Tarragona bringt, einer Stadt südlich von Barcelona. "Ich wähle Carles Puigdemont", sagt sie mit ernstem Blick, "er ist mein Präsident." Gloria findet wie viele Katalanen, dass ihrem Regierungschef von der Zentralregierung in Madrid übel mitgespielt wurde. Nachdem Puigdemont im Oktober im Regionalparlament von Barcelona erklärte, er werde die Unabhängigkeit anstreben, hat die zentralspanische Justiz einen Haftbefehl wegen Rebellion gegen ihn erlassen. Puigdemont floh nach Brüssel und macht von dort Wahlkampf als Spitzenkandidat seiner liberal-konservativen Unabhängigkeitsbewegung Junts per Catalunya ("Zusammen für Katalonien").
Gloria versteht den umstrittenen Schritt ihres Präsidenten: "In Spanien gibt es keine faire Justiz", sagt sie. Ihr eigener Ehemann aber halte Puigdemont für feige und gefährlich. Er werde für die Unabhängigkeitsgegner stimmen. "Wir haben viel diskutiert und nun ausgemacht, nicht mehr darüber zu reden", sagt Gloria und ihr Blick verfinstert sich weiter. Es sei schließlich bald Weihnachten.
Joan hingegen ist bis zum letzten Moment unentschlossen,
wen er wählen soll. Der Marketingstudent, der in der Mittagspause
über einen Uni-Campus in Barcelona eilt, tendiert jedoch ebenfalls zu Puigdemont – dabei will er
eigentlich gar keine schnelle Ablösung seines Landes von Spanien: "Ich bin
Europäer, ich mag keine Grenzen." Es will eher gegen die kompromisslose Rolle
des konservativen spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy stimmen: "Wir haben in Madrid eine korrupte Regierung, die stets Politik gegen
die Katalanen gemacht hat", sagt Joan. "Wenn ich für die Unabhängigkeitsgegner
stimme, stimme ich indirekt für Rajoy und lasse ihn und seine Politik der harten Hand triumphieren. Aber das will
ich nicht."
"Ich hab ein bisschen Angst, was passiert"
Auch der Kunststudent Martí will für die Unabhängigkeitsbefürworter stimmen, und zwar für die Linksrepublikaner, deren Anführer Oriol Junqueras im Gefängnis sitzt. "Ich habe ein bisschen Angst, was passiert", sagt Martí. "Aber ich möchte, dass wir ein legales Unabhängigkeitsreferendum bekommen. Dafür gebe ich meine Stimme – nicht unbedingt für die sofortige Abspaltung von Spanien." Auch Martí berichtet von teils erbitterten Diskussionen in der Familie. Besser laufe es in seinem Freundeskreis, "da sind wir alle ähnlicher Meinung".
Die Separatisten in Katalonien sind gut
organisierte Leute. Sie fahren sogar 40.000 Demonstranten nach Brüssel, um dort Puigdemont zu unterstützen. Oder lassen 120.000 Anhänger bei einem Protestmarsch durch Barcelona marschieren. Viele Unabhängigkeitswähler in Katalonien benehmen sich zugleich bürgerlich korrekt. Sie demonstrieren zwar lautstark, trinken
dann aber ein Bier und fahren nach Hause. Ausschreitungen gibt es nie bei diesen Demonstrationen.
Die Friedfertigkeit ist das große Glück
Diese Friedfertigkeit war bislang das große
Glück der Katalanen: Auch nachdem Madrid Katalonien unter Zwangsverwaltung stellte,
blieb es weitgehend ruhig auf den Straßen. Die Katalanen wurschtelten weiter,
wie bisher. Von der unbeliebten Nationalgendamerie, der Guardia Civil, die
Barcelona nach Ansicht mancher Unabhängigkeitsfreunde "besetzt" hielt, war wenig zu sehen. Gott sei Dank, wie viele Katalanen denken, die im Oktober noch um den inneren Frieden des Landes gefürchtet hatten.
Doch die Wut der Bürger über den Umgang Madrids mit den Autonomiebestrebungen Katalonien sitzt noch tief drinnen im Bauch. "Ich war nie ein Unabhängigkeitsfan, jetzt bin ich einer", ist ein Satz, den man oft hört. Auf der anderen Seite stehen viele Katalanen, die das forsche Vorgehen ihrer eigenen Regionalregierung in Sachen Unabhängigkeit für völligen Wahnsinn halten. Es ist laut Umfragen gut die Hälfte aller Wahlberechtigten, aber sie sind leiser. Sie lassen sich ungern in der Öffentlichkeit interviewen, fotografieren schon gar nicht. "Bist Du verrückt", sagt Juan, ein Rentner, der vor einem Krankenhaus in Barcelona auf seine Frau wartet, die bald Dienstschluss hat, "in dieser politischen Situation will ich mein Bild nicht im Internet sehen."
Kommentare
Interessante Stimmen. Vielen Dank dafür.
Statt darüber zu reden, dass wir uns alle in Europa zusammenraufen und einen europäischen Bundesstaat nach US-Modell gründen, ruft man in Katalonien und auf Britannien nach Abspaltung.
Eigentlich sollten wir aus der Geschichte gelernt haben, und "divide et impera"-Strategien durchschauen.
Mit Verlaub, bei der katalanischen Unabhängigkeit geht es um die Loslösung von Spanien. Aus der EU will da niemand.
"Die Leute sind schlecht gelaunt und bleiben zu Hause".
-
Das ist genau so - oder zumindest sehr ähnlich - in jedem europäischem Land.
Aber Wahlbeteiligung ist hoch. Bei manchen Themen hilft ne schlechte Laune.
Puigdemont geht es ausschließlich um Macht, das Volk ist ihm völlig egal, aber komplett egal. Ein verantwortlicher Politiker eint sein Volk, und treibt keinen Keil in die Bevölkerung, entzweit es. Kein Mensch weiß, was der Mann eigentlich will. In einem zusammenwachsenden Europa einen eigenen Staat loslösen ? Der dann was ist ? Und für wen soll das was bringen ?
Geltungsbedürftig und machtgeil ist Puigdemont, und nur deshalb schadet der Mann seinem Volk und ganz Spanien. Es gibt nicht einen einzigen Grund, nicht ein einziges Problem, das man nicht genauso gut innerstaatlich lösen kann.
Sie meinen Mariano Rajoy.