Als "großartige Nachricht" feierte Kataloniens Regionalpräsident Quim Torra auf seinem Twitter-Account die Nachricht aus Deutschland: Sein Vorgänger Carles Puigdemont wird nach Beschluss des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein zwar nach Spanien ausgeliefert, aber nur wegen Korruption und nicht wegen Rebellion. Darauf stehen zwar bis zu fünf Jahren Haft, das ist aber ein erheblich geringeres Strafmaß als die vom Staatsanwalt beantragten 25 Jahre.
Den Vorwurf der Rebellion hatten Puigdemonts Anwälte immer als politisch motiviert von ihrem Mandaten gewiesen. Er setzt die Verwendung von Gewalt voraus und die habe es im Vorfeld des Referendums im vergangenen Herbst nicht gegeben, am Tag der Abstimmung selbst überwiegend nur durch die spanische Polizei. "Wir haben die Hauptlüge des Staates zerstört", twitterte Puigdemont. Sein Anwalt Gonzalo Boye setzte nach: "Das beweist, dass es richtig war, den juristischen Streit nach Europa zu tragen."
Für eine Auslieferung wegen Rebellion muss es einen vergleichbaren deutschen Tatbestand geben. Das Gericht zog dafür das Delikt des Landfriedensbruchs heran, für das wie bei Rebellion der Einsatz von Gewalt notwendig ist. Der spanische Ermittlungsrichter Pablo Llarena hatte nachträglich Videos von Demonstrationen und Hunderte Seiten Polizeiberichte über angebliche Ausschreitungen übersandt.
Puigdemonts Verteidiger will vor das deutsche Verfassungsgericht ziehen
Die deutschen Richter hielten das Material für wenig überzeugend. Puigdemont sei weder "geistiger Anführer" von Gewalttaten gewesen noch habe er über die notwendige Kontrolle des Geschehens verfügt. Dem abgesetzten katalanischen Regionalpräsidenten kann daher in Spanien nur noch wegen Untreue der Prozess gemacht werden. Als sogenannte "Katalogtat" ist für eine Auslieferung wegen Korruption kein Vergleich mit dem deutschen Strafrecht notwendig.
Für Gonzalo Boye, der die Verteidigung des abgesetzten Regionalpräsidenten koordiniert, ist der Beschluss ein Etappensieg. Der wichtigste Kampf sei gewonnen. Jetzt will er vor dem deutschen Verfassungsgericht Einspruch gegen die Auslieferung wegen Untreue einlegen, sagte er dem katalanischen Fernsehen. Strafrechtsexperten wie Jordi Nieva-Fenoll glauben zwar nicht, dass der Gang nach Karlsruhe Erfolg haben wird, schließlich habe Deutschland keines seiner Grundrechte verletzt. Aber selbst wenn die Polizei in den nächsten Wochen bei Carles Puigdemont klingelt und ihn ins nächste Flugzeug bittet, dürfte das die Laune der Anwälte nur unerheblich trüben.
Denn der Beschluss aus Schleswig-Holstein ist für die spanischen Richter schon jetzt ein schwieriger Fall. Voraussichtlich im Herbst wird fünf ehemaligen Politikern aus Puigdemonts Kabinett sowie den Anführern der Unabhängigkeitsplattformen Òmmnium und Assemblea Nacional wegen Rebellion der Prozess gemacht. Sie befinden sich alle in Untersuchungshaft. Können sie wegen einer gravierenderen Straftat belangt werden als ihr Anführer? "Für die anderen inhaftierten Politiker hat der Beschluss zunächst keine direkten Auswirkungen", sagt Strafrechtsexperte Jordi Nieva-Fenoll, "aber es scheint wenig vernünftig, ihnen wegen Rebellion den Prozess zu machen, nachdem die deutschen Richter konstatiert haben, dass es kein Hochverrat war."
Kommentare
Meiner Meinung nach steht es den deutschen Richtern nicht zu, über das Verfahren in der Sache zu urteilen. Lediglich ob die Auslieferung zulässig ist oder nicht ist hier zu klären. Und das macht sich unter anderem daran fest, ob es einen vergleichbaren Straftatbestand auch bei uns gibt. Und das hat das Gericht bejaht.
Aus meiner Sicht ist alles weitere eine unzulässige Anmaßung. So kann der europäische Haftbefehl nicht funktionieren. Der orientiert sich an klaren Vorschriften und nicht an der Gesinnung oder Moralvorstellung einzelner Richter die andere Länder erziehen wollen. Ohne es zu bedenken wird hier ein weiterer Nagel in den Sarg der europäischen Idee getrieben. Schrecklich.
Der Europäische Haftbefehl muss genau so funktionieren. Es gibt eine Liste allgemeiner Tatbestände, für die ohnehin ausgeliefert wird. Alles andere muss in beiden Ländern strafbar sein. Rebellion findet sich zwar im deutschen Strafrecht als Hochverrat, dieser setzt aber Gewalt voraus, und so wie ich das verstanden habe ist die Definition von Gewalt im spanischen und deutschen Recht unterschiedlich. Daran scheitert es.
Es ist natürlich bizarr, dass Puigdemont, sofern er denn nun ausgeliefert wird, nur wegen Veruntreuung angeklagt werden darf, während seine in Spanien verbliebenen Ministerinnen und Minister sich wegen Rebellion verantworten müssen (die, die nach Belgien gegangen sind, werden wohl gar nicht ausgeliefert).
Der Vorsitzender der spanischen Volkspartei PP im Europaparlament hat den spanischen Präsidenten Sánchez schon aufgefordert die Anwendung des Schengener Abkommens auszusetzen, da der europäische Haftbefehl offensichtlich nicht funktioniert.
Na da ist es ja nur gut, dass die PP immer weniger zu sagen hat und man wieder einen vernünftigen Präsidenten hat, der Politik nicht mit Polizeigewalt und Justizmissbrauch macht und das Land vielleicht doch noch zusammenhalten kann.
Und am europäischen Haftbefehl wird man wohl noch arbeiten müssen, damit echte Verbrecher effizient ausgeliefert werden können, ohne dass gleichzeitig das europäische Ausland in Justizskandale zieht.
Welch ein Zynismus. Puigdemont verstößt gegen die spanische und die katalanische Verfassung, sowie mit seinem Ermächtigngsgesetz gegen jeden demokratischen Anstand. Danach erkärt er, auf das Recht zu vertrauen.
Nachdem Sie Ihre 100 Godwin-Punkte für den vorbelasteten Begriff "Ermächtigungsgesetz" eingestrichen haben, können Sie auch sagen, wozu genau sich Puigdemont da "ermächtigen" ließ?
Deutschland will ihn loswerden und nimmt den Anlass der Untreue, um nicht in politische Mühlsteine zu geraten. Ob ihm nur deshalb in Spanien der Prozess gemacht wird, sei dahingestellt. Es könnte hier auch leicht zu einem Akt der Rechtsbeugung kommen. Niemand hierzulande würde sich beschweren. Dafür ist man viel zu weit weg von der Sache. Ein gefährlicher Akt.
Puigdemont hat vielleicht Glück, dass die politische Großwetterlage gerade auf Entspannung in Spanien steht, eine Garantie ist es nicht für ihn. Er ist ein Seperatist. Das schlimmste also, was man sich in Europa vorstellen kann. Müsste man ihn akzeptieren, so müsste man Separatisten generell ernst nehmen. Auf die Weise würde schlussendlich auch die gesamte Argumentation zur Krim und anderen Regionen des sich vergrößernden Imperiums wie ein Kartenhaus zusammenbrechen.