Man mag sich noch so oft vornehmen, nicht schon wieder über Donald Trump zu schreiben, doch er lässt einem keine Wahl. Nach seinem ominösen Auftritt beim G7-Treffen in Kanada hat er sich jetzt auch durch den Nato-Gipfel in Brüssel gerüpelt. Vor allem giftete er diesmal gegen Deutschland – wegen Berlins Unterfinanzierung der Bundeswehr und wegen der Erdöl-Pipeline Nord Stream 2.
Die Bundesrepublik, prustete der US-Präsident, sei ein "Gefangener" Russlands, Deutschland werde "total von Russland kontrolliert". Es erhalte 60 bis 70 Prozent seiner Energie von den Russen und mache sie reicher, während Amerika für seine Verteidigung zahle. Das sei ungehörig. Und wie immer nahm Trump es mit den Fakten nicht so genau.
Dass
der deutsche Verteidigungsetat – wie der sämtlicher Verbündeter – kräftig
ansteigt, musste ihm erst von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg beigebracht
werden. Indes verlangte er zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt schon bis
Anfang 2019, und danach aberwitzige vier Prozent. Auch tat er wiederum so, als
ob der gesamte amerikanische Wehrhaushalt – rund 680 Milliarden Dollar – für die
Sicherheit Europas eingesetzt würde. In Wahrheit ist es nur ein Bruchteil.
Amerika gibt seine defense dollars
hauptsächlich für die eigenen Sicherheitsbedürfnisse aus, für seine Interessen
in anderen Weltgegenden also, und keineswegs ausschließlich für die EU (die
Trump jetzt zum "foe" erklärt hat, zum
Feind). Lucie Béraud-Sudreau und Nick Childs vom Londoner International Institute for Strategic Studies veranschlagten die US-Wehrausgaben für Europa
im Jahre 2017 auf 28,2 bis 30,2 Milliarden Dollar – ganze 4,2 bis 4,5 Prozent
des Pentagon-Haushalts. Die Europäer brachten selbst 239 Milliarden Dollar auf.
Trumps Manöver ist durchsichtig
An
seinen goldgelben Haaren herbeigezogen sind Trumps Zahlen über die angebliche Energieabhängigkeit Deutschlands von Russland: Nicht 60 bis 70 Prozent, sondern nur neun Prozent unseres gesamten
Energiemixes entfallen auf Russland. Von unserem Gas kommen in Pipelines 40
Prozent von dort, 21 Prozent aus Norwegen und 29 Prozent aus den Niederlanden;
sieben Prozent fördern wir selbst. Vom Erdöl lieferten die Russen 36,9 Prozent
(Norwegen 11,4 Prozent, Kasachstan 8,9 Prozent, den Rest Sonstige). Von
völliger Abhängigkeit kann da keine Rede sein.
Man muss kein Putin-Versteher sein, um auf die Idee zu kommen, dass es Trump in erster Linie darum geht, Russland als Erdgaslieferanten vom Markt zu drängen und den Deutschen dafür das teurere amerikanische Flüssiggas anzudrehen. Deswegen setzt er alles daran, den Bau von Nord Stream 2 zu verhindern. Die in einem Beschluss des US-Senats angedrohten Sanktionen gegen beteiligte Firmen, lassen wir uns da nichts vormachen, entspringen ebenfalls überwiegend geschäftlichen Interessen, nicht geopolitischen Unumgänglichkeiten.
Die neue, 1.220 Kilometer lange Pipeline soll sibirisches Erdgas vom russischen Wyborg durch die Ostsee nach Lubmin bei Greifswald bringen. Sie verläuft parallel zur Gasleitung Nord Stream 1, deren Transportkapazität – 55 Milliarden Kubikmeter im Jahr – sie verdoppeln wird. Der Bau hat begonnen, Ende nächsten Jahres soll das erste Gas fließen, das vor allem in Richtung Niederlande und Tschechien weitergeleitet wird. Kostenpunkt: zehn Milliarden Euro, wovon Gazprom eine Hälfte übernimmt; die andere Hälfte investieren Wintershall und Uniper (beide Deutschland), OMV (Österreich), Royal Dutch Shell (Niederlande und Großbritannien) und Engie (Frankreich).
Kommentare
" es sind einige Oligarchen, die sich daran gesundstoßen. Eine Lösung sollte sich da finden lassen. "
=> Das klingt ja für mich eher wie ein Widerspruch in sich ....
Wieso?
In Kiew herrschen die Oligarchen, das ist doch kein Geheimnis...
Und wir füttern sie mit Euro-Milliarden!
(NIe vergessen: Die Russen sind die Bösen!)
Was ich nicht ganz verstehe:
Was interessiert Russland UND Deutschland die Ukraine?
Kann deren Gezeter uns nicht völlig egal sein?
In der Ukraine wohnen etwa 20 % Russen, in der Ostukraine ist der Anteil wesentlich höher. Eine deutsche Minderheit gibt es praktisch nicht. In Deutschland gibt es weder ein anerkannte ukrainische noch russische Minderheit.
Ein gelungener und realistischer Artikel des Autors Theo Sommer, der alle Aspekte auflistet. Auch nennt er schonungslos die Eigeninteressen der Kritiker. Es kann natürlich nicht die Aufgabe der hiesigen Gaskunden sein, die Einnahmen der Transitländer zu steigern, nicht nur mit Blick auf die sehr hohen Energiepreise hier. Oder gar das Umwelt unverträgliche Frackinggas der Amerikaner zu importieren. Ist durchaus zu verstehen, dass Trump den Deal gerne selbst gemacht hätte, aber wir sind hier nicht der Wurmfortsatz der Amerikaner, hoffe ich zu mindestens.
Ich finde Ihre Antwort naiv. Glauben Sie denn wirklich, für den Endkunden wird das Gas auch nur einen Cent billiger, wenn Sie statt der Transitländer dem Transportkonsortium die Taschen vollstopfen? Tatsächlich ist es ökologisch nicht sinnvoll, Öl über Ozean zu schippern, wenn man es auch nebenan bekommen kann. Aber wie glaubwürdig ist die europäische Position, wenn man gegen russische Invasionspolitik wirtschaftlich Front macht, aber bei der Energiepolitik langfristige Entscheidungen fällt, die die russischen Einnahmen erhöhen?
"Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche!"
Gerade die Russenphobiker und größten Kritiker des Projekts, in PiS-PL, sind infolge ihrer extrem steinkohlebasierten Wirtschaft total von russ. Kohleimporten abhängig: ca. 70% stammen aus RU - wegen der hohen Qualität dieser Kohle und des günstigen Preises mit steigender Tendenz.
Und gewiss fahren die Kohlezüge von RU nicht über die Ukraine nach PL, damit die UA "Durchleitungsgebühren" kassieren darf...
Zitat: " "Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche!"
Gerade die Russenphobiker und größten Kritiker des Projekts, in PiS-PL, sind infolge ihrer extrem steinkohlebasierten Wirtschaft total von russ. Kohleimporten abhängig: ca. 70% stammen aus RU - wegen der hohen Qualität dieser Kohle und des günstigen Preises mit steigender Tendenz. Und gewiss fahren die Kohlezüge von RU nicht über die Ukraine nach PL, damit die UA "Durchleitungsgebühren" kassieren darf..."
Fast wäre man versucht, Ihre Zuschrift manipulativ zu nennen.
Sie schreiben, Polen wäre "total von russischen Kohleimporten abhängig: ca 70 % davon stammen aus Russland" [Gemeint sind gewiss 70 % der gesamten polnischgen Importen].
Geht man der Sache auf den Grund, zeigt sich folgendes Bild:
Im Jahr 2016 förderte Polen selbst 73,6 Mio. Tonnen Steinkohle und 60,2 Mio Tonnen Braunkohle. Der Verbrauch an Steinkohle lag bei 69,7 Mio. Tonnen.
In den entsprechenden Tabellen zum Steinkohle-Export bzw. Import der Länder wird Polen gar nicht aufgeführt. Folglich kann die polnische Import-Größe gemessen am eigenen Verbrauch auch nur sehr gering sein und damit auch der 70 %-Anteil aus russischer Förderung.
Das nennen Sie eine totale Abhäbgigkeit?
https://de.wikipedia.org/...