Gastautor Wolfgang Pusztai ist österreichischer Sicherheits- und Libyenexperte. Hier schreibt er über die Folgen der Zerissenheit des Landes.
Weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit sind in Libyens Hauptstadt Tripolis die schwersten Kämpfe seit der Revolution im Jahr 2011 ausgebrochen. Seit dem Sturz des Gaddafi-Regimes kommt dieses Land nicht mehr zur Ruhe. Verschiedene internationale Initiativen zur Befriedung Libyens haben nicht die erwarteten Ergebnisse gebracht. Heute ist es je nach Definition in der Nähe eines gescheiterten Staates – oder es ist bereits ein solcher. In mehreren Teilen des Landes herrscht Bürgerkrieg. Es gibt auf keiner der Seiten eine wirklich durchsetzungsfähige, zentrale Führung. Woran liegt das? Warum kann sich in Libyen, trotz der Nachbarschaft zum reichen Europa, kein handlungsfähiger Staat ausbilden?
Die Ursachen
Die international als einzig legitime Regierung anerkannte und von der UN geförderte sogenannte Einheitsregierung Libyens ist ein Fehlschlag. Der Regierung zugrunde liegt das von der UN vermittelte und am 17. Dezember 2015 in Marokko unterzeichnete Libyan Political Agreement (LPA). Das Problem der in Tripolis residierenden Regierung ist aber, dass sie niemals von den Libyern gewählt oder von einer legalen libyschen Institution ernannt wurde. Eine im LPA vorgesehene Anerkennung des Abkommens und der Einheitsregierung durch das in Tobruk im Osten des Landes befindliche Parlament, das House of Representatives (HoR), fand niemals statt.
Das hat im Wesentlichen zwei Gründe. Erstens will das Parlament das Oberkommando über die Libysche Nationalarmee nicht in die Hände einer von der Einheitsregierung ernannten Person legen. Das Kommando über die Nationalarmee hat der im Osten als Held verehrte General Khalifa Haftar, der sich im Kampf gegen radikale Islamisten einen Namen gemacht hat. Zweitens wollen sich die meisten Menschen im Osten Libyens keiner Regierung unterwerfen, die den verschiedenen, mehr oder weniger verbrecherischen Milizen in Tripolis ausgeliefert ist. Die Milizen von Tripolis stützen theoretisch die dortige Einheitsregierung.
Eine wesentliche Schwäche des Abkommens von 2015 ist, dass die Delegationen, die an den Verhandlungen teilnahmen, nicht repräsentativ für die tatsächlichen Machtverhältnisse in Libyen waren. Darüber hinaus wurden nach Ansicht vieler Libyerinnen und Libyer der Premier der Regierung, Fayez al-Sarraj, sowie Mitglieder des mitherrschenden Präsidialrats nicht von ihnen, sondern vom damaligen UN-Sonderbeauftragten Bernardino León ausgewählt.
Um den festgefahrenen Friedensprozess wieder in Bewegung zu bringen, hat der aktuelle UN-Sonderbeauftragte Ghassan Salamé im Oktober 2017 einen Aktionsplan vorgelegt, an dem am Ende die Abhaltung allgemeiner Wahlen stehen soll. Sein Aktionsplan ist theoretisch zwar fehlerfrei, praktisch aber unrealistisch. Dennoch wurde bei einem vom französischen Präsidenten Macron vermittelten Gipfeltreffen am 29. Mai 2018 in Paris von Premier Sarraj, General Haftar und anderen libyschen Vertretern erklärt, dass am 10. Dezember 2018 allgemeine Wahlen stattfinden werden.
Nur ist Libyen in keiner Weise für Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen bereit, weder politisch, noch organisatorisch, noch von der Sicherheitslage her. Würden diese trotzdem durchgeführt, ist dies ein gefährliches Spiel, das wahrscheinlich zu einer weiteren Verschlechterung der Sicherheit führen wird.
Kommentare
Und womit will Deutschland sich beteiligen, was fahren soll fährt nicht, was fliegen soll fliegt nicht und was schießen und treffen soll... usw. usf.
Alles eine Frage des Geldes.
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Vergesst mal nicht Saif al islam al Gaddafi, den Sohn Gaddafis, der wieder auf der Bildfläche erschienen ist (der Freitag berichtet regelmäßig).
Der wird hoffentlich das Erbe seines Vaters antreten und wieder für Wohlstand und Frieden eintreten.
Mit dem Aufbau eines diktatorischen Regimes, Mord, Folter und Unterstützung von Terroristen?
Und übrigens. Stalin hat auch einige 10 Millionen Menschen umgebracht.
Schon interessant, welche Form eines Regimes Sie für erstrebenswert halten...
wie soll das bitteschön gehen: "regionale waffenstillstände, die in einem nationalen waffenstillstand münden" ; "der kampf gegen terroristen muss fortgeführt werden". daran scheitert er es schon, die anderen sind jeweils die terroristen, es wird also keine waffenstillstände geben. damit ist die basis des kompletten plans perdu.
Sie haben völlig recht! Daher ist es auch notwendig, vorab festzulegen, was unter diesem Begriff verstanden wird. Der Islamische Staat, AQ nahe Gruppen und AQIM sind schon jetzt der gemeinsame Nenner.
Man kann den Menschen und Kulturen Afrikas und Asiens nicht westliche Staatsformen verordnen.
Das funktioniert nicht.
Dieser postkolonialistischer Erkenntnis verweigern sich aber nach wie vor viele Politiker, die gerne "ihre Werte" in die ganze Welt exportieren möchten.
Deutschland sollte seine Truppen weltweit zurückholen.
Es kann ja noch nicht einmal seine eigenen Grenzen schützen und Recht im Inland durchsetzen.
Da haben Sie zwar grundsätzlich Recht, aber leider befindet sich Libyen momentan nur sehr eingeschränkt in der Lage, sich eine eigene Staatsform zu geben. Der Plan, erstmal auf einen breiten Waffenstillstand hinzuarbeiten ist darum nicht verkehrt. Soblad der erreicht ist kann in Libyen der Dialog darüber beginnen, wie das Land sich in Zukunft entwickeln soll. Ohne internationale Unterstützung und evtl. auch die Einrichtung von demilitarisierten Zonen wird das aber kaum funktionieren.