Die türkische Regierung geht erneut gegen Hunderte angebliche Mitglieder der Gülen-Bewegung vor. Die Generalstaatsanwaltschaft in der türkischen Hauptstadt Ankara ordnete die Festnahme von insgesamt 1.112 Verdächtigen im Zusammenhang mit dem Putschversuch vor zweieinhalb Jahren an. In 76 Provinzen sind nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu Einsätze der Polizei geplant. Schwerpunkt der landesweiten Razzien sei die Hauptstadt Ankara.
Die Polizei führt regelmäßig Razzien gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger durch. Alleine in der vergangenen Woche wurden nach Angaben von Anadolu mehr als 370 mutmaßliche Unterstützer der Bewegung verhaftet.
Im Zusammenhang mit dem Putschversuch wurden bislang insgesamt mehr als 77.000 Menschen festgenommen. 150.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst und Militärangehörige wurden suspendiert oder entlassen.
Betrugsvorwürfe wegen Polizeiprüfungen
Die türkische Führung behauptet, der islamische Prediger Fethullah Gülen sei der eigentliche Verantwortliche des gescheiterten Putsches vom Juli 2016. Gülen weist die Vorwürfe zurück. Er lebt in den USA und die Türkei verlangt seine Auslieferung. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte erst vor Kurzem gesagt, dass der Kampf gegen die Gülen-Bewegung noch lange nicht vorbei sei. Fethullah Gülen und Erdoğan waren lange Zeit Verbündete. Ein Zerwürfnis um Machtfragen wurde 2013 öffentlich, seitdem sind die beiden verfeindet.
Die aktuell Gesuchten sollen nach Angaben von Anadolu im Jahr 2010 bei dem Polizeikommissar-Examen betrogen haben. Demnach hätten sie die Prüfungsfragen vorher erhalten. Experten gehen davon aus, dass die Gülen-Bewegung im großen Stil Prüfungsfragen für die Polizei- oder Offizierslaufbahn besorgt hat, um ihren Anhängern eine Position im gehobenen Staatsdienst zu verschaffen. So habe die Bewegung es geschafft, den türkischen Staat zu unterwandern.
Die Hintergründe des Putschversuchs von 2016 sind bis heute nicht aufgeklärt. Präsident Erdoğan lässt seitdem jedoch verschärft regierungskritische Politiker, Journalisten und allgemein kritische Teile der Zivilgesellschaft verfolgen.
Kommentare
Wenn das so weitergeht, dürfte irgendwann jeder Türke mal verhaftet worden sein.
Und die Türkei entwickelt sich dabei drastisch weiter zurück. Und hier wird das auch noch von knapp der Hälfte "unserer" Türken gefeiert. Traurig. Sehr traurig. War mal ein cooles Land.
"Großrazzia gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger"
Und es geht schon wieder los...
Unter fadenscheinigsten Begründungen werden unliebsame Personen aus dem Staatsdienst entfernt oder eingesperrt.
Ich habe auch schon in D schon beobachtet, wie von der Polizei ein Traktor mit Gülle-Anhänger angehalten wurde :-o
Seit der Wahl von Herrn Erdogan hat sich die EU-Mitgliedschaft eigentlich schon von selbst erledigt. Das ist vermutlich der Grund dafür, dass die derzeitige türkische Regierung so offen gegen die Opposition und kritische Medien vorgehen. Man hat ja nichts mehr zu verlieren. Es ist wirklich schade und besorgniserregend, dass immerhin ein NATO-Mitgliedsland so offen in Richtung islamischer Staat abgleitet. Früher war ja immerhin das Militär als korrigierender Faktor da, auch wenn das nicht demokratisch abgelaufen ist. Im Nachhinein betrachtet war das aber immer noch besser als das, was im Moment an der Macht ist.
Ach ja, darum wählen die meisten Türken die AKP
Der Absatz wechselt munter zwischen indirekter Rede und direkter Aussage:
"Die aktuell Gesuchten sollen nach Angaben von Anadolu im Jahr 2010 bei dem Polizeikommissar-Examen betrogen haben. Demnach hätten sie die Prüfungsfragen vorher erhalten. Experten gehen davon aus, dass die Gülen-Bewegung im großen Stil Prüfungsfragen für die Polizei- oder Offizierslaufbahn besorgt hat, um ihren Anhängern eine Position im gehobenen Staatsdienst zu verschaffen. So habe die Bewegung es geschafft, den türkischen Staat zu unterwandern."
Gehen tatsächlich objektiv Experten (wofür?) davon aus, dass die Fragen vorher besorgt wurden, oder behauptet das Anadolu?
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Gülens Hizmet-Organisation mit solchen Methoden den Staat unterwandert hat. Spätestens seit dem Buch "Die Armee des Imam" von Ahmet Sik aus 2011 gibt es auch eine gute öffentlich zugängliche Gesamtdarstellung. Der Punkt ist dabei, dass Erdogan und die AKP diese Unterwanderung nicht nur kannten sondern aktiv gefördert haben. Bis es 2013 zum politischen Schisma innerhalb der türkischen Islamisten kam, zum Bruch zwischen der Hizmet einerseits und den der Muslimbruderschaft-Ideologie Verpflichteten (insbesondere Erdogan und die AKP) andererseits. Dieses Schisma hatte verschiedene Gründe, wesentlich war wohl insgesondere, dass Erdogan für Gülens Geschmack zu größenwahnsinnig und zu korrupt wurde.