Das türkische Verfassungsgericht in Ankara hat die Untersuchungshaft des Welt-Reporters Deniz Yücel für rechtswidrig erklärt. Das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit sei mit der einjährigen Haft verletzt worden, urteilten die Richter, wie aus der im Amtsblatt veröffentlichten Entscheidung hervorgeht
Yücel wurde ein Schadenersatz von 25.000 Türkischen Lira (rund 3.800 Euro) zugesprochen. Eine getrennte Schadenersatzklage laufe aber noch, sagte Yücels Anwalt, Veysel Ok. Dazu stehe die Entscheidung noch aus.
Ok vertritt neben Yücel auch andere Intellektuelle und Journalisten, die in der Türkei aus politisch motivierten Gründen inhaftiert wurden.
Anayasa Mahkemesi müvekkilim İlker Deniz Yücel adına yaptığımız başvuruyu ile ilgili olarak verdiği kararda ; Deniz Yücel’in tutukluluğunun hukuki olmadığı, kişi güvenliği ve özgürlüğü ve ifade özgürlüğü hakkının ihlal edildiğini tespit etmiştir. pic.twitter.com/56pWTwQuav
— Veysel Ok (@shemmoshemmo) 27. Juni 2019
Yücel saß ein Jahr ohne Anklageschrift in der Türkei im Gefängnis, zeitweise in Einzelhaft. Erst im Februar 2018 kam er nach längerem Streit zwischen den Regierungen in Berlin und Ankara frei und durfte ausreisen. Gleichzeitig wurde Anklage wegen Terrorpropaganda und Volksverhetzung erhoben. Der Prozess gegen den Journalisten wird am 16. Juli in Istanbul fortgesetzt.
Yücel wird Ost-Reporter der Welt
Ab Juli wird Yücel über die Landtagswahlen in Ostdeutschland berichten. Das teilte Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt auf Twitter mit. Yücel soll dazu von Dresden aus arbeiten. In Brandenburg und Sachsen werden am 1. September neue Parlamente gewählt. In Thüringen findet die Landtagswahl am 27. Oktober statt.
Insbesondere seit dem Putschversuch 2016 geht die türkische AKP-Regierung unter der Führung von Recep Tayyip Erdoğan rigoros gegen politische Gegner vor. Dazu gehören kritische Journalisten, Akademiker und Intellektuelle.
Das türkische Verfassungsgericht gilt als letzte Instanz, die zumindest nicht ausnahmslos Erdoğans Anweisungen folgt. In der Vergangenheit hatte das Verfassungsgericht auch die vorzeitige Freilassung des damals inhaftierten Cumhuriyet-Chefredakteurs Can Dündar veranlasst. Daraufhin floh Dündar ins Exil nach Deutschland. In der ZEIT schreibt Dündar seitdem eine wöchentliche Kolumne über die Krise in der Türkei. ZEIT ONLINE veröffentlicht die Folgen in deutscher und türkischer Sprache.
Kommentare
Da kann man auf bessere Zeiten hoffen. Ein Lichtpunkt am Horizont
Yücel pflegt ja einen sehr pointierten Journalismus. Und dann ausgerechnet nach Dresden. Da freut man sich bei Springer schon...
Yücel in Dresden muss ich lesen.
Ansonsten keine Überraschung. Das Verfassungsgericht funktioniert noch halbwegs. Die haben auch mehrheltlich für ein AKP-Verbot gestimmt, aber die Mehrheit reichte nicht.
Ein AKP Verbot sehe ich als ein typisch türkisches Problem von spalterischer Parteilichkeit.
Ein Verfassungsgericht, das so agiert, fördert Intoleranz.
Erdogan ist angeschlagen/angezählt,
da werden die Gegner mutiger und allerorts regt sich Widerstand.
Mit der, jenseits aller demokratischen Normen erzwungenen Wahlwiederholung in Istanbul, die für Erdogan zu einer schallenden Ohrfeige geriet, hat er sich in eine prekäre Situation manövriert.
Erdogan hat sich durch seine Säuberungsaktionen unzählige Feinde (da gbit's Verwandte und Freunde) geschaffen und in Verbindung mit der katastrophalen Wirtschaftslage ist das eine Gemengelage, die durchaus das Potential hat, den kranken Mann am Bosporus zu stürzen.
"Erdogan ist angeschlagen/angezählt,"
So scheint es tatsächlich. Auch die Sprechblase Erdogans in deutschen Talkshows und Morgeninterviews, Yeneroglu, ließ schon verlauten, die AKP habe ihre moralische Überlegenheit verloren. oder so ähnlich.
Respekt allerdings nötigt mir derartiger Opportunismus nicht ab.
"die durchaus das Potential hat, den kranken Mann am Bosporus zu stürzen."
Der "Kranke Mann am Bosporus" war zur Zeit vor dem ersten Weltkrieg ein Synonym für diew Türkei, bzw das damals noch existierende Osmanische Reich.